10.04.2022 PDF

Text und Audio aktualisiert: Si vis pacem para bellum – Wer Frieden will rüste sich zum Krieg (Platon, Cicero, Russland, Ukraine, NATO, EU)

Dieser Text ist eine Aktualisierung des gleichnamigen Textes vom 21.02.2022 und bezieht den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine und die Reaktionen darauf bis zum 30.03.2022 mit ein.

 

 „Wer redet, der schießt nicht“, sagt die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Da könnte man ja mal beruhigt sein, denn so viele Spitzentreffen und Videoschaltungen von Staatschefs aller Herren Länder, wie im Frühjahr 2022, gab es selten. Nur ist der Zusammenhang von Diplomatie und Krieg ein völlig anderer als er von den zuständigen Kriegsherren und -damen immer mal wieder behauptet wird. Diplomatisch teilen sie sich nämlich wechselseitig mit, was sie voneinander wollen und definieren dabei „rote Linien“, bei deren Überschreitung sie gewillt sind, einen Krieg gegeneinander zu führen. Und mitten im Krieg wird weiter verhandelt, wie man aktuell sieht. Über die Gründe, warum Russland und die Ukraine Krieg führen, und die NATO-Staaten die Ukraine militärisch ausrüsten und Russland mit einem „totalen“ Wirtschaftskrieg überziehen, geht es in diesem Text. Dafür muss man nicht nach geheimen Interessen suchen, die hinter den Kulissen wirken, sondern kann sich ganz auf die offiziellen Verlautbarungen stützen. Die geben alles her, was man zum Verstehen braucht. Freilich muss man da trennen zwischen dem, was sich die Staatschefs wechselseitig mitteilen und dem, was mehr an die eigene Bevölkerung gerichtet ist. Dass die gegnerische Seite lügt, betrügt, alleine aggressiv ist und damit letztlich einfach „böse“ ist, das bekommt jeder in seiner Heimatpropaganda zu hören. Damit weiß man dann nichts über den Krieg, sondern bekommt so mitgeteilt, dass der eigene Staat „gut“ ist und gar nicht anders kann als mit Kriegsvorbereitungen oder gleich Kriegshandlungen zu „reagieren“, obwohl er das echt nicht will. Für das Fußvolk sind das also lauter moralische Gründe, dem eigenen Staat die Daumen zu drücken, den andern zu verteufeln, die kommenden wirtschaftlichen Schäden opferbereit anzunehmen oder sich selbst als Kanonenfutter bei der Musterung anzubieten.

Diese Legitimationen des Krieges behandelt der Text nur am Rande. Hier soll nur dazu aufgefordert werden, sich einmal fünf Minuten die Frage, wer gut oder böse ist, zu verkneifen und sich nüchtern zu fragen: Was ist hier los? Danach kann man sich wieder Fragen widmen, wem man die Daumen drücken will – wir meinen, dass die Antwort dann ist: Niemandem.

Am 24.02.2022 marschieren russische Truppen in die Ukraine ein. Zuvor hat drei Monate lang eine intensive Diplomatie zwischen Russland und der NATO stattgefunden. Dieser Zeitraum soll nocheinmal betrachtet werden, bevor auf die aktuellen Kriegsereignisse eingegangen werden soll.

Was forderte Russland, was forderte der „Westen“?

Wechselseitig teilten sich die staatlichen Protagonisten mit, was sie voneinander wollen. Diese Forderungen und die Antworten darauf seien hier am Anfang nochmal aufgelistet, um zum einen den Umfang dessen zu beschreiben, was alles eine Rolle spielt und zum zweiten um deutlich zu machen: keine der Forderungen ist neu, sie sind seit langem bekannt. Das ist wichtig festzustellen, weil damit klar ist, dass die potentiellen Kriegsgründe tiefer liegen, als in irgendwelchen konkreten Ereignissen im Frühjahr 2022.

Russland forderte:

- Eine Beendigung der Ostausdehnung der NATO. Mindestens die Ukraine darf nicht NATO-Mitglied werden. Mitgemeint sind aber auch: Georgien, Republik Moldau, Schweden, Finnland.

- Umsetzung des Minsker-Abkommens, d.h. für Russland vor allem: direkte Verhandlungen mit den Separatisten und Sicherstellung des Autonomiestatus. Der Westen müsse auf die Ukraine Druck ausüben, um dies zu befördern.

- Stopp der Aufrüstung der Ukraine durch westliche Mächte.

- Stopp mit der Aufrüstung anderer osteuropäischer NATO-Staaten und der dortigen Abhaltung von NATO-Manövern.

- Insbesondere Stopp der Stationierung bestimmter Waffensysteme in den osteuropäischen NATO-Staaten – begleitet mit dem Vorwurf, dass damit irgendwelche Verträge der Vergangenheit unterlaufen werden.

Zusammengefasst ist das in der Forderung nach Sicherheitsgarantien in Europa und für Russland.

Hinzu kommen dann Forderungen in Sachen Formfragen:

- Direkte Verhandlungen mit den USA (statt nur mit Deutschland oder Frankreich).

- Direkte Verhandlungen mit der NATO statt etwa im Rahmen der OECD.

Was der Westen von Russland forderte bzw. wie der Westen auf diese Forderungen reagierte:

- Kein Ende der „Open Door Policy“: Wenn ein Staat will und den Antrag stellt, und die NATO-Mitglieder das gut finden, dann bekommt der Staat auch die Perspektive einer NATO-Mitgliedschaft.

- Russland soll das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennen = Rückzug der russischen Truppen aus der Krim, aus der Ostukraine sowie aus Georgien (aus Sicht Russlands: Abchasiens und Südossetiens) und Moldawien (aus Sicht Russlands: Transnistrien.)

- Manöver Russlands in der Nähe der osteuropäischen Staaten müssen aufhören.

- Insbesondere Stopp der Stationierung bestimmter Waffensysteme an den Grenzen zu den osteuropäischen NATO-Staaten – begleitet mit dem Vorwurf, dass damit irgendwelche Verträge der Vergangenheit unterlaufen werden.

Wie bereits angemerkt, keine dieser Forderungen von Russland oder der NATO sind neu. Mit ihnen belämmern sich die Kontrahenten seit Jahren. Eine Sache mag eine gewisse Veränderung gewesen sein:

Die USA bzw. der neue Präsident sprach tatsächlich mehr direkt mit Putin und nahm sich der Sache verstärkt an – ohne einen Kompromiss in der Sache anzudeuten.

Alle Seiten beteuerten, dass sie keinen Krieg wollen. Aber Drohungen wurden reichlich ausgesprochen.

 

Russland: „Wir wollen keinen Krieg, wir brauchen ihn überhaupt nicht“1

Der russische UN-Botschafter wird am 01.02.2022 vom Handelsblatt wie folgt zusammengefasst:

„Russland will nach Angaben seines UN-Botschafters auch dann keinen Krieg in der Ukraine beginnen, wenn die Forderungen nach Sicherheitsgarantien seitens der Nato und USA scheitern sollten. „Ich kann das ausschließen“, sagte der Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, der Agentur Interfax zufolge in New York. Auch wenn die Verhandlungen über die Sicherheit in Europa scheitern würden, werde es keinen Überfall Russlands auf die Ukraine geben. Nebensja hatte den USA in der UN-Sitzung am Montag vorgeworfen, einen Krieg in Europa herbeireden zu wollen. Russland sieht sich durch US-Waffen und die Nato bedroht und fordert deshalb Sicherheitsgarantien. Zugleich schließt die Führung in Moskau ein Eingreifen im Konflikt um die Ostukraine nicht aus, sollte Kiew mit einer Militäroperation versuchen, sich die abtrünnigen Gebiete im Donbass mit Gewalt zurückzuholen. Russland könnte unter Berufung auf seine Militärdoktrin zum Schutz seiner Bürger dort einmarschieren.“

Der russische UN-Botschafter tut kund, dass die Forderungen an die NATO nicht mit einer Kriegsandrohung verbunden sind, um am Ende ein ABER einzufügen:

Mit der Militäraktion seitens Kiew gegen die Ostprovinzen hat Russland freilich einen recht dehnbaren Kriegseintrittsgrund ausgesprochen: Denn, dass die Regierung in Kiew die abtrünnigen Republiken zurückholen will, dafür auch Militär einsetzt und sich aufrüstet, ist klar. Dass an der Konfliktlinie ständig Kriegshandlungen durchgeführt werden, ist Fakt.

Auf dieser Grundlage ist von Russland sehr wohl eine Kriegsandrohung ausgesprochen. Und die Frage, wann Russland meint, dass die Ukraine die Ostprovinzen mit Militäroperationen zurückholen will, ist damit schlicht in die Entscheidungshoheit Russlands gesetzt. Russland hätte das schon vor einigen Jahren als Fakt feststellen können oder erst in näherer oder fernerer Zukunft.

In der Verbindung von Forderungen an die NATO mit diesem dehnbar zu interpretierbaren Kriegseintrittsereignis, macht Russland dem Westen deutlich: Reagiert auf unsere Forderungen, sonst nehmen wir uns die Freiheit, die Lage in der Ukraine nicht nur indirekt vermittelt über Waffenlieferungen an die Separatisten, sondern direkt mit der russischen Militärmacht entscheidend zu ändern.

Die NATO: „NATO does not seek confrontation“2

Die NATO will also auch keinen Krieg, aber „verteidigen“ wollen sie einiges und das mit deutlicher Vorwärtsbewegung. Hier gehen die Standpunkte innerhalb der NATO aber auch ein wenig auseinander.

Niemand will Russland jetzt angreifen. Aber an einer Aufrüstung Osteuropas inklusive neuer NATO-Staaten, die irgendwann erlaubt, sich aus einem atomaren Patt herauszuarbeiten und einen Krieg gegen Russland durch Überlegenheit in diversen Waffensystemen ohne immense Kollateralschäden realistisch gewinnbar zu machen, daran arbeiten mit Hochdruck die USA, Polen und die baltischen Länder.3 Alle europäischen Staaten arbeiten daran mit, aber mit leicht angezogener Handbremse – dazu gleich mehr, wobei hier schon anzumerken ist, dass Deutschland mit dem Beschluss 100 Mrd Euro extra in seine Aufrüstung zu investieren die Handbremse gelockert hat.

Die Ukraine lässt sich gerne aufrüsten von ihren erhofften NATO-Partnern in spe. Die USA, Großbritannien und die baltischen Staaten kommen dem Begehren mit Verve nach. Andere Länder waren da vorsichtiger (auch dazu gleich mehr) und sind es jetzt kaum noch.

Die NATO-Position ist aber klar: Direkt wird sie die Ukraine bei einer militärischen Aktion Russlands nicht unterstützen. Wenn die Ukraine zu einem noch größeren Schlachtfeld werden sollte (und dieser Fall ist nun eingetreten), dann ist nur eins versprochen: harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis hin zur Drohung mit der wirtschaftspolitischen „Atombombe“: dem Ausschluss aus dem SWIFT-System, also dem Ausschluss aus dem in Brüssel beheimateten internationalen Zahlungssystem, mit dem weltweit die Überweisungen der Privatbanken gemacht werden. Unmittelbar wäre damit Russland aus fast jedem internationalen Handel ausgeschlossen.4

Hinsichtlich der Wirtschaftssanktionen ist vor allem Europa selbst gefragt und dann betroffen. In dieser Hinsicht sind einige Staaten zunächst zögerlich, insbesondere Deutschland mit seinem Nord Stream 2-Projekt. Vieles dreht sich um die Disziplinierung dieser NATO-Partner durch die USA unter Anfeuerung seiner europäischen Scharfmacher. Mittlerweile ist der Westen hier fast eine geschlossene Einheit.

Den Forderungen Russlands in Hinsicht „hört auf Osteuropa aufzurüsten“ begegnet die NATO vor wie nach dem 24.02.2022 mit geschlossener und demonstrativer zusätzlicher Truppenverlegung in diese Gebiete. Hier sind fast alle Mächte engagiert mit dabei.

Für welchen Frieden sind alle Seiten jeweils bereit einen Krieg zu führen bzw. aktuell: die Ukraine führen zu lassen?

Sowohl Russland als auch der NATO geht es um nicht weniger als die Friedensordnung in Europa. Beide setzen das gleich mit einer „Sicherheitsarchitektur“. Den Frieden gibt es also nur, wenn die Waffengewalt, die alle Seiten mobilisieren, richtig abgestimmt und richtig eingesetzt wird. Und was „richtig“ ist, darüber gehen die Positionen aufgrund der nationalen Interessenlagen auseinander. Zwischen Russland und der NATO prinzipiell, aber auch zwischen den NATO-Staaten selbst gibt es nicht unerhebliche Unterschiede.

Nicht wenige Kriege in letzter Zeit legitimierte der Westen mit den Menschenrechten. Das Volk müsse gegen einen Diktator oder ein Unrechtsregime unterstützt und verteidigt werden. Gegen diese Kriege hat dann Russland immer das Selbstbestimmungsrecht der Völker hochgehalten (Jugoslawien, Syrien). Hier in der Legitimationsschlacht um die aktuelle Friedensordnung in Europa stellt die NATO hingegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker heraus, wenn sie von Russland verlangt, dass Entscheidungen von Regierungen, sich der NATO anzuschließen, respektiert werden müssten (wobei man sich klar machen muss, dass dann letztlich die NATO entscheidet, ob der NATO-Beitritt auch Wirklichkeit wird).

Die Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker sind zwar keine inhaltsleeren Formeln, sie sind durchaus Prinzipien der internationalen Weltordnung. Aber internationale Vereinbarungen werden von Staaten eben beachtet oder nicht. Und niemand als Staaten selbst sind die Richter, ob die Verletzung des einen oder anderen Prinzips vorliegt. Letztlich kommt es im konkreten Fall auf die wirtschaftspolitische und militärische Wucht der Staaten an, ob das eine oder andere Prinzip zur Geltung kommt oder die Verurteilung eines Staates überhaupt irgendeine praktische Konsequenz nach sich zieht. Auf jeden Fall eignen sich die Prinzipien, um einen Krieg, wahlweise ins gute oder schlechte Licht zu rücken.

Hinsichtlich der Ordnung in Europa macht Russland bei dem Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht unbedingt mit. Dort, wo durch einen Aufstand, wie dem Maidan, die alte Regierung abgesetzt wurde, erkennt Russland die neue Regierung nicht ohne weiteres an. Letztlich bestreitet es überhaupt, dass eine Regierung sicherheitspolitisch machen kann, was sie will, ohne die Sicherheitsinteressen Russlands zu beachten und wirft der Ukraine und NATO vor, selber völkerrechtliche Verträge gebrochen zu haben. Mit militärischen Mitteln hat es der friedlichen Osterweiterung der NATO im Fall der Ukraine bereits Knüppel zwischen die Beine geworfen. In Moldawien und Georgien wiederum unterstützt Russland schon länger Provinzen, die sich gegen eine West-Orientierung auflehnen. Am 21.02.2022 erkennt Russland Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als unabhängige „Volksrepubliken“, also quasi als eigene Staaten an und beendet damit offiziell die Minsker Vereinbarungen. Mit dem 24.02.2022 hat Russland den Übergang gemacht, mittels militärischen Einmarsch einen Regime-Change in der kompletten Ukraine durchzuführen. So will es die NATO- und EU-Erweiterung auf dieses Gebiet verhindern.

Um die Gemengelage aufzudröseln, lohnt es sich diesmal bei der EU anzufangen:

Die EU und die friedliche Erweiterung gen Osten.

Die Auflösung der Sowjetunion beinhaltete die Gründung vieler neuer Staaten und die Loslösung der Ostblockstaaten aus alten Verbindlichkeiten. In der Kalkulation der diversen kommunistischen und anderer neuer Parteien, aber vor allem in Russland, wurden die alten zwischenstaatlichen ökonomischen Regeln der sozialistischen Länder (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe - RGW) als Balast für die neuen kapitalistisch orientierten nationalen Aufbruchsprogramme verbucht. Zugleich wurde auf die alten Verflechtungen der Ökonomien so spekuliert, wie es sich für kapitalistisch orientierte Staaten gehört: Sie sind Material, um der nationalen Wirtschaft Vorteile herauszuholen, im Zweifelsfall auf Kosten der anderen Nation.

Dies und die Umstellung der ehemaligen Planwirtschaft auf eine kapitalistische Wirtschaft hat erstmal viel nationale Ökonomie kaputt gemacht. Gerade neu gegründet oder aus den alten Verpflichtungen entlassen, sind alle Staaten ein Fall für den IWF geworden.

Hier haben die EU-Staaten Potential gesehen. Nach und nach wurde den Staaten in diversen Erweiterungswellen der EU folgendes Angebot gemacht:

Arbeite darauf hin, bei uns Mitglied zu werden. Dafür musst du alle Regeln der EU, die es schon gibt, als Komplettpaket übernehmen. Das hat den Vorteil, dass dann das Kapital aus der EU (wenn es will) zu dir kommt. Der Preis dafür: Du musst die Freihandels- und Produkt-Standard-Regeln der EU übernehmen, was unvereinbar ist mit deinen alten ökonomischen Beziehungen zu deinen weiter östlich gelegenen Nachbarn. Denn wer Teil des Binnenmarktes der EU ist, darf keine eigenständige Zollpolitik mehr machen, sondern muss gegenüber den Nicht-EU-Ländern die von der EU festgelegten Zölle beachten. Kompromisse sind ausgeschlossen – so funktioniert „nunmal“ die EU.

Wenn sich die Staaten darauf eingelassen haben, dann haben sie damit den Druck auf die weiter östlich gelegenen Partner erhöht. Immer ist bei denen ein weiteres Stück nationaler Ökonomie darüber kaputt gegangen, dass der Nachbar der EU beigetreten ist und damit zugleich die bisherigen Handelsregeln gekündigt waren. Das ist dann eine gute Grundlage für das Angebot der EU an diese Nachbarn gewesen.

Ein EU-Beitritt (bzw. das Hinarbeiten darauf) ist ziemlich gleichbedeutend mit einem NATO-Beitritt. Das ist ein weiterer „Vorteil“, den die EU als Angebot in die Waagschale werfen kann.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die mit der EU-Mitgliedschaft winkt, ist ein Vorteil für Staaten, die darauf spekulieren, zumindest Devisen (= Weltgeld wie Euro oder Dollar) über die Überweisungen der Arbeitsmigranten in die Heimat zu bekommen. Für viele lohnabhängige Menschen erscheint die Freizügigkeit wie eine Verheißung, weil sie in Massen arbeitslos geworden sind aufgrund der Umstellung der realsozialistischen Planwirtschaft hin zur freien Marktwirtschaft.

Zumindest bei Teilen der Bevölkerung (insb. Studierenden) wird zudem die VISA-freie Bewegung in der EU und die Durchsetzung gewisser Rechtsstandard in Sachen Meinungsfreiheit so verstanden, dass „go West“ eine gute Sache ist. Das sei hier erwähnt, weil das für die „Maidan“-Aufstände eine Rolle spielt.

Ganz im Osten hat die EU mit ihrem Verfahren der friedlichen Eroberung Osteuropas gewisse Probleme. In der Ukraine, Weißrussland, der Republik Moldau und Georgien gibt es nennenswerte Anteile der politischen Elite und auch in der Bevölkerung, die nicht ohne weiteres überzeugt sind, sich der EU umstandslos anzuschließen. Im Westen wird das als „Schaukelpolitik“ bewertet. Selbst wenn eine als „prowestlich“ betitelte Regierung an der Macht ist, kann sie sich nicht durchringen, sich umstandslos Pro-EU zu entscheiden, weil das mit einem Bruch der ökonomischen Beziehungen zu Russland gleichbedeutend ist (wegen des jeden Kompromiss ausschließenden Angebots der EU – Übernahme aller EU-Regeln). Oft profitieren die Staaten insbesondere von vergleichsweise billigem Öl und Gas aus Russland.

Russland hat diesen Staaten aber ökonomisch auch keinen Entwicklungsweg zu bieten, so dass die Regierungen im nationalen Interesse immer zwischen Russland und der EU hin und her lavieren.

In dieser Gemengenlage kommt es zu sogenannten „Volksaufständen“, die der Westen als gerechtfertigt anerkennt, mit Infrastruktur und sobald an der Macht, mit Geld und schließlich mit Waffenlieferungen unterstützt.

Und hier ist Russland mehrfach militärisch reingerätscht. Es hat diejenigen Landesteile, die sich mehr Pro-russisch fühlen, militärisch unterstützt. Im Fall Weißrussland unterstützt Russland gleich die Regierung.

Jede EU-Erweiterung war ökonomisch ein Abtrag an Russlands Interessen. Immer mehr Staaten wurden aus den gewohnten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen herausgebrochen. Das ist schon Grund genug für Russland, der EU-Osterweiterung ablehnend gegenüber zu stehen. Ein noch stärkerer Grund für die Ablehnung ist aber die Verknüpfung von EU=NATO.

Mit der militärischen Unterstützung bestimmter Teilgebiete von Staaten hat Russland damit folgendes klargestellt:

Die „friedliche“ Eroberung Osteuropas, die Russlands Interessen entgegensteht, beruhte einerseits auf der ökonomischen Überlegenheit der EU bzw. ihrer potenten Nationalökonomien. Die EU-Staaten konnten gemeinsam ökonomische Angebote für und Notlagen bei anderen Staaten herstellen, die auszuschlagen für die ehemaligen Ostblockstaaten einfach nicht drin waren, während Russland hier außer vergünstigtes Gas und Öl kaum etwas entgegen stellen konnte.

Andererseits: Frechheiten gegen Russland konnte sich die EU und auch die östlichen EU-Anwärter auch nur erlauben, weil und solange die Konkurrenz der Waffen nicht zum Tragen kam. Ganze Staaten mit Hilfe ökonomischer Angebote und Erpressung geopolitisch an sich zu binden, beruhte schon die ganze Zeit darauf, dass Russland die Freiheit eines Nachbarstaates zu tun und zu lassen, was es will, respektiert.

Das ist die eine Grundlage des Friedens und der Sicherheitsarchitektur, die insbesondere die EU in Europa will. Nur so kann die EU ihre „Soft Power“ machtvoll entfalten.

Russland

Russland hat mit Georgien, Moldawien, der Ost-Ukraine und schließlich mit der Annektion der Krim der EU vor Augen geführt, worauf ihr Eroberungsweg beruhte: Friedlich geht es nur voran, wenn der Gegner die Frechheiten aushält, weil er davon absieht, seine ökonomische Unterlegenheit durch eine militärische Überlegenheit zu kompensieren.

Russland hat da eine Weile nur klagend zugeschaut, mit Putin an der Macht dann aber einen Strategiewechsel vollzogen. Russland hat zwar kein alternatives Wirtschaftsblock-Konzept, das es mit der Wucht in Sachen Angebote und Erpressung mit der EU aufnehmen könnte und so Osteuropa wieder an sich binden könnte. Russland hat aber aufgrund der sowjetischen Geschichte (denn im Grunde ist es ein Widerspruch, dass ausgerechnet ein kapitalistisch schwaches Land die Militärmacht Nr. 2 in der Welt ist) einen Trumpf und leitet daraus einen Anspruch ab:

Ein Land – etwa die Ukraine – darf seine eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Interessen eines anderen Staates – also Russlands – festigen. Darauf habe Russland ein Recht und dieses Recht habe die Ukraine, die EU und die NATO anzuerkennen.

Dieses Prinzip ist die russische Friedensordnung und Sicherheitsarchitektur für Europa, die der europäischen und NATO-mäßigen Art diametral entgegensteht.

USA

Die USA verfolgen wirtschaftspolitisch einerseits ein ähnliches Konzept wie die EU, nur auf globalem Maßstab: Auf Grundlage der ökonomischen Potenz (insbesondere als Stifter des Weltgeldes Dollar) der Staatenwelt Angebote machen und in Notlagen rein bugsieren, damit diese die Freihandelsregeln (institutionalisiert in der Welthandelsorganisation) übernehmen. Freihandel, da war sich die USA sicher, würde dem US-Kapital gute Wachstumsbedingungen in der Welt schaffen und damit die Überlegenheit in der weltweiten Konkurrenz immer wieder herstellen.

Wo sich souveräne Staaten dem Dialog über die wirtschaftliche Benutzung prinzipiell entziehen wollten (und das hat der ehemalige Ostblock getan), da ging die USA dazu über, kriegerisch eine Änderung der dortigen Staatsräson zu erzwingen. Damit ist für die USA folgende Gleichung zur Staatsräson geworden: Um in der Staatenwelt Regeln durchzusetzen, die dafür sorgen, dass sich die Überlegenheit des US-Kapitals immer wieder herstellt, muss man als Nation zugleich die militärisch überlegende Macht sein.5

Und in dieser Hinsicht gab es nach dem Wegfall des ehemaligen Ostblock einen ganz anderen Blick auf die europäischen EU-Erweiterungsbemühungen: Sie sind gut, weil die helfen, einen gewichtigen Störfaktor zu schwächen: die militärische Weltmacht Russland, das bislang einzige Land, dass militärisch noch soviel Kapazitäten hat, das gegen dieses ein Krieg nicht ohne immensen Kollateralschaden zu gewinnen wäre.

Exkurs zu den verschiedenen Politiken der US-Präsidenten:

Obama hat Russland als „Regionalmacht“ bezeichnet. Das war natürlich nicht die Wahrheit des Zustandes, sondern drückte einen Anspruch aus, was der richtige Zustand für Russland wäre und den die USA herbei führen sollte.

Trump hat einen anderen Blick auf die Sache geworfen. Für ihn war die EU und hier insbesondere Deutschland ein Gegner, weil diese die ökonomische Überlegenheit der USA nicht umstandslos reproduzieren, sondern ankratzen würden. Deutschland nutze die Regeln, die die USA für sich in die Welt gesetzt hat, schamlos aus. Und militärisch wolle Deutschland dann nichts beisteuern. In diesem Lichte hat er folgende Linie verfolgt: Soll Europa doch selbst mit seiner Raumergreifung gen Osten klar kommen. Dafür werden keine US-Steuern mehr verschwendet. Die braucht man vor allem im Kampf gegen China.

Freilich wurden auch unter Trumps Herrschaft die miliärischen Fähigkeiten der USA massiv weiterentwickelt und so kann Biden die alte Linie gegenüber Russland wieder bruchlos auf die Tagesordnung setzen: „NATO remains firmly committed to the fundamental principles and agreements underpinning European Security.“6

USA und EU

Die EU braucht für ihr Eroberungsprogramm die NATO, und hiermit ist wesentlich die USA gemeint. Die USA brauchen für ihr Programm der unbestrittenen militärischen Überlegenheit die EU-Erweiterung als Schwächungsmittel für Russland. Aus dieser Interessenidentität ergibt sich das gemeinsame Auftreten und Handeln.

Prinzipiell war die EU aber immer schon gedacht als ein Mittel der Mitgliedsstaaten (insbesondere der zentralen Mächte Deutschland und Frankreich) sich langfristig von der USA zu emanzipieren. Insofern ergibt sich für Deutschland und Frankreich eine unangenehme Seite: Sobald es bei der EU-Erweiterung um militärische Fragen gegenüber Russland geht, liegt die Handlungsfähigkeit voll bei den USA. Diese bestimmen dann den Takt – das hat man bei Trump bemerkt, das merkt man jetzt bei Biden.

Unterhalb des Projektes – keine Kompromisse mit Russland bei der EU-Osterweiterung – ergibt sich das Ungemach: Die Kontrolle über die Eskalation mit Russland hat man gar nicht in der Hand.

Aus diesem Widerspruch des EU Projektes ergaben sich dann die relativen Uneinigkeiten im NATO-Bündnis – die derzeit allerdings in der Prioritätensetzung allseitig zurückgestellt wurden:

Macron sagte, dass man die Sicherheitsinteressen Russlands auch verstehen könne. Zugleich betätigt sich Frankreich als größter Waffenlieferant an die Ukraine und wird nicht müde zu betonen, dass Europa (unter der Führung Frankreichs) militärisch eigenständig gegenüber der USA werden müsse.

Deutschland wollte keine „Angriffswaffen“ in die Ukraine liefern. Deutschland wollte in der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen am liebsten Nord Stream 2 raushalten. Die EU ist die zentrale Machtbasis für die ökonomische Weltmacht Deutschland. Dass aber die USA und Frankreich darauf drängen, auf ihre Weise die EU militärisch abzusichern, gefällt Deutschland nicht so sehr, weil der Führungsanspruch dann nicht bei ihm liegt. Hier sucht Deutschland sich durch eine neue Aufrüstungsanstrengung aus dem Drangsal zukünftig ein wenig mehr zu befreien.

Und: Jede geopolitische Über- und Unterordnungsfrage verästelt sich weiter. Polen und die baltischen Staaten sehen dort, wo die USA sich deutlicher einmischt, wiederum eine Gelegenheit, um Deutschland und Frankreich deutlich zu machen: Innerhalb der EU wollt ihr Führungsmächte sein, das erkennen wir aber nicht grundsätzlich an.

Großbritannien steht traditionsgemäß der USA mehr bei Seite als Deutschland und Frankreich. Diese Stellung war schon immer der Versuch, die Hegemoniefrage in Europa mehr zugunsten Großbritanniens zu ändern. Mit dem Brexit folgt das Vereinigte Königreich dieser Strategie umso mehr und betätigt sich als Anheizer gegen Russland.

Mit dem aktuellen Krieg gibt es neue (Unter-) Kriegsziele und Forderungen

 

Russland

Mit der Anerkennung der Volksrepubliken sagt Russland: Es gibt zwei neue Staaten. Russland unterstützt damit – aus seiner offiziellen Sicht – nicht mehr zwei Bürgerkriegsparteien innerhalb der Ukraine, sondern zwei Staaten gegen die Rest-Ukraine. Die Blaupause für diesen Schritt bildet im Grunde die Zerlegung Jugoslawiens, z.B. die Anerkennung Kroatiens durch Deutschland.

Angesichts einer Regierung in Kiew, die auf die Unterwerfung der Volksrepubliken und der Krim unter die Zentralgewalt in Kiew besteht, ist der Schritt Russlands durchaus als Festigung der vorangegangenen Strategie zu sehen: Solange die NATO sich an das selbst gewählte Prinzip hält, nach dem ein Land, das sich im Bürgerkrieg oder Krieg befindet, nicht aufgenommen wird, wird die Ukraine kein NATO-Mitglied.

Hinzu kommt, dass Russland, wie die bisherigen Selbstverwaltungen auch, die neu zu gründenden Staaten den Grenzen nach an die Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk ausrichtet, die dreimal so groß sind, wie die seit 2014 von den Separatisten militärisch kontrollierten Gebiete. An der Kontaktlinie, die durch diese neu beanspruchten Gebiete geht, hatte die Kiewer Regierung nach eigenen Angaben 40.000 Soldaten stationiert. Diese müssen entwaffnet, vertrieben oder getötet werden, damit die Staaten das werden, was sich Russland und die Selbstverwaltung unter den neuen Staaten vorstellt.

Für den Rest der Ukraine hat Russland mutmaßlich das Ziel, einen Regime-Change durchzuführen. Gegenüber seiner Bevölkerung sagt Putin, dass es um die „Demilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine geht. Gen Westen sagt Russland:

„Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu warf der Ukraine laut der Agentur Interfax seinerseits vor, Zivilisten als Schutzschilder zu benutzen. Er bekräftigte, Russland sei entschlossen, die ‚Spezialoperation‘ fortzusetzen, bis das gewünschte Ziel erreicht sei. Das Wichtigste sei, Russland‚ vor der militärischen Bedrohung durch westliche Länder zu schützen, die versuchen, das ukrainische Volk im Kampf gegen unser Land einzusetzen‘, sagte Schoigu.“7

Russland hat also offenbar vor, die aktuelle Regierung in Kiew zu stürzen, bzw. eine (neue) Regierung nur unter der Vorgabe zuzulassen, dass sie die Krim als Teil Russlands und die Volksrepubliken als eigene Staaten anerkennt und darüber hinaus, von dem Ziel Abstand nimmt, NATO-Mitglied zu werden.

Folgender Wechsel hat also stattgefunden: Russland bedroht die Ukraine nicht mehr, wie vor dem 21.02.2022, mit grenznahen Militärmanövern, um die NATO dazu zu bewegen, ihre Pläne bezüglich der Ukraine fallen zu lassen und auf die Kiewer Regierung Einfluss zu nehmen. Es will stattdessen mit eigener militärischer Stärke für eine Ukraine sorgen, deren Staatswesen nicht mehr russlandfeindlich ist und daher die NATO draußen hält. Zugleich ist diese Aktion als eine Machtdemonstration gedacht. Wenn die NATO alle Anträge Russlands bezüglich der Sicherheitsarchitektur vor der Haustür Russlands zurückweist, dann behauptet Russland sich als militärische Weltmacht nur, wenn es zeigt: Ich muss auf die NATO keine Rücksicht nehmen.

Begleitet wird dieser Krieg mit einer großen Drohung an den Westen: Sollte die NATO sich nicht raushalten, dann ist Russland bereit, seine Atommacht einzusetzen. Hier konkretisiert Russland bislang nicht, was die roten Linien exakt sind.

Der Westen

Der Westen hält die Anerkennung der Volksrepubliken im Fall Ukraine für einen klaren Bruch des Völkerrechts. Die Regierung in Kiew ebenso. Der Einmarsch der russischen Truppen ist für sie ein Angriffskrieg, also ebenso ein Völkerrechtsbruch.

Mit diesen Verurteilungen stellt die NATO klar, dass sie gedenkt, alle Wirkungen der russischen Macht rückabzuwickeln.

Diese Kriegsansage an Russland wird eigentümlich umgesetzt. Wirtschaftspolitisch wird fast alles aufgefahren, was der kapitalistische Westen an Sanktionen auffahren kann. Das Ziel ist klar: Die russische Ökonomie soll kaputt gehen. Das hat einen doppelten Charakter: Einerseits soll Russland aufgrund der wirtschaftlichen Schäden zu Hause irgendwann einknicken. Andererseits sollen die Schäden nachhaltig genug sein, dass sie das allgemeine Ziel der NATO, nämlich die Herabstufung Russlands von einer Weltmacht auf eine Regionalmacht, kräftig vorantreiben.

Mit eigenen Soldaten und Flugzeugen in den Krieg in der Ukraine eingreifen wollte die NATO vor dem 24.02.2022 nicht und will sie aktuell nicht (Stand 30.03.2022).

Auf einer abstrakten Ebene anerkennt die NATO Russland als militärische Weltmacht an. Sie will nicht mit eigenen Soldaten und eigenem Kriegsgerät in den Ukraine-Konflikt eingreifen. So versteht sie die rote Linie von Russland. Ansonsten liefert sie Kriegsgerät in die Ukraine und feuert die Ukrainer im Freiheitskampf ordentlich an. Damit betreibt die NATO ein Stück unmittelbare Schwächung der russischen Streitmacht, indem ihre Kräfte in der Ukraine womöglich auf länger gebunden und abgenutzt werden und ihr ein „Afghanistan“ bereitet werden soll, so dass Russland sich irgendwann wieder rauszieht, nach massiven Verlusten.

Ob die NATO mit ihrer Interpretation der roten Linie von Russland bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen richtig liegt, wird man sehen.

Die Ukraine

Die Regierung in Kiew mobilisiert alle Männer von 18-60 für den Krieg und verhängt ein Ausreiseverbot für diese Gruppe. Die Regierung ist ernsthaft bereit, die Männer für eine „unabhängige Ukraine“, die sich in die EU und NATO einordnet, zu opfern. Die Forderung nach einem größeren Engagement des Westens durch die Einrichtung einer NATO-gewährten No-Fly-Zone über der Ukraine werden von der ukrainischen Regierung (und ihren diplomatischen Vertreter*innen) laut und vehement gestellt – bislang erfolglos. Der ukrainischen Regierung ist die Existenz des eigenen Staates mit westlicher Ausrichtung offensichtlich so wichtig, dass sie dafür eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der NATO geradezu herbeiwünscht – obgleich das kriegerische Ergebnis einer solchen Konfrontation sicherlich nicht viel vom Staat Ukraine – und vermutlich auch von umliegenden Staaten – übrig lassen würde. Unterhalb der bislang erhaltenen Abfuhr vom Westen was das angeht, stellt sich die ukrainische Regierung auf einen langjährigen, vom Westen unterstützten Guerillakrieg ein.

Was nun?

Russland, Deutschland, die USA sind Staaten, die ihre Macht aus den Geldgeschäften bei sich ziehen. Um diese zu verbessern und das Ausland dafür in Beschlag zu nehmen, gehen sie internationale Verträge ein, die auf Kosten des Interesses anderer Staaten gehen. Daher müssen diese Verträge (und entsprechende Bündnisse) militärisch abgesichert werden und die Interessenkollisionen heben sich auf die Ebene der Konkurrenz der Waffen, was wiederum einschließt, dass die militärischen Bündnisse mit Gewalt abgesichert werden müssen. Das ist der allgemeine Grund für die eskalierende Kriegslage in der Ukraine. Sie ist ein Stellvertreterschauplatz für Rechte in der Welt, die die Staaten für sich beanspruchen und von den Kontrahenten anerkannt haben wollen. Hier geben und nehmen sich die Kontrahenten nichts und eine Parteilichkeit ist völlig fehl am Platze. Gegen lauter Gesellschaften, deren Produktionsweise auf der Unterordnung fremder Staatsgewalten beruht, spricht dagegen einiges.

Für das deutsche Publikum, das sich in Sachen Hetze gegen Russland und Parteilichkeit für den deutschen Standpunkt gerade besonders hervortut, sei noch einmal betont:

Eine deutsche Regierung (egal in welcher Konstellation), die sich rühmt, dass die deutsche Wirtschaft mal wieder irgendwo Weltmeister ist oder werden soll, eine Technologieführerschaft hat oder anstrebt, für die neue Wasserstoffstrategie ganze Weltregionen als Rohstoff-Zulieferer einplant, mit dem Euro ein Weltgeld platzieren will, – eine solche Regierung weiß, dass sie das gegen China und die USA nur mit der EU zuwege kriegt. Dazu die allseits geschätzte Alt-Bundeskanzlerin Merkel:

„Scheitert der Euro, scheitert Europa. (…) ich sage, dass wir damit mittel- und langfristig Schaden nehmen würden. Wir würden Schaden dahingehend nehmen, dass wir kein relevanter Faktor mehr in der Welt wären (…). Wir werden, obwohl wir sowieso schon ein immer kleinerer Teil der Welt werden, nicht mehr die Bedeutung haben, dass wir uns durchsetzen können mit dem, was uns wichtig ist. Deshalb ist der Gedanke eines einigen Europas von so großer Bedeutung.“ (Rede von Merkel auf dem Festakt zum 70-jährigen Bestehen der CDU, 29.06.2015)

Merkel will, dass Deutschland ein relevanter Faktor in der Welt bleibt, also eine Weltmacht. Das geht für sie nur mit der EU. Nur so kann Deutschland sich durchsetzen. Und genauso sieht es die aktuelle Regierung.

Und die weiß, dass Deutschland die EU nur mit der NATO zu Wege bekommt. Dieses nationalistische Projekt tritt natürlich an für „Frieden und Freiheit“. Was auch sonst? Globalen Frieden für die Freiheit des deutschen Staates, seine Interessen durchzusetzen, darunter die Freiheit der deutschen Wirtschaft die Welt als Markt für sich zuzurichten. Das Projekt schließt den Krieg auf die eine oder andere Weise ein.

Ein Text von den Gruppen gegen Kapital und Nation (gegner.in), 30.03.2022.

1Sekretär des russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew laut Handelsblatt am 30.01.2022;

https://www.handelsblatt.com/politik/international/ukraine-krise-news-ukraine-will-durch-osze-mit-russland-verhandeln-keine-sperrung-des-ukrainischen-luftraums-geplant/27982126.html; eingesehen am 13.02.2022.

2Aus der Antwort der NATO und der USA an Russland Ende Januar/Anfang Februar. Geleakt von der spanischen Tageszeitung El Pais:

https://elpais.com/infografias/2022/02/respuesta_otan/respuesta_otan_eeuu.pdf; eingesehen am 13.02.2022.

3Für die Bemühungen der USA ist hier ein empirisch sehr reichhaltiger Artikel des GegenStandpunktes empfohlen:

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-treiben-entmachtung-ihres-russischen-rivalen-voran; eingesehen am 14.02.2022.

4Zum Zweck und zur Wirkung der Sanktionen siehe „Deutschland im Kriegstaumel – eine Zwischenbemerkung“;

https://gegen-kapital-und-nation.org/deutschland-im-kriegstaumel-eine-zwischenbemerkung/

5Über Freihandel als Mittel der ökonomisch überlegenen Staaten und über die Notwendigkeit der militärischen Absicherung solcher Regeln siehe den Text: „Was ist Imperialismus?“

https://gegen-kapital-und-nation.org/was-ist-imperialismus/

6Antwort der NATO und der USA an Russland:

https://elpais.com/infografias/2022/02/respuesta_otan/respuesta_otan_eeuu.pdf; eingesehen am 13.02.2022.