Wenn es um den Wahlerfolg der AfD geht, wird viel von „besorgten Bürgern" gesprochen. Mensch müsse deren Sorgen ernst nehmen und dürfe sie nicht leichtfertig „in die rechte Ecke" stellen. Der besorgte Bürger scheint also eine ziemlich sensible Gestalt zu sein, dessen Sorgen mensch viel ernster nehmen muss als z.B. die sehr konkrete Furcht von Menschen mit dunkler Hautfarbe, Opfer von körperlichen Übergriffen zu werden.
Wenn mensch sich anschaut, welche Sorgen die „besorgten Bürger" umtreiben, dann ist es erstaunlich schwer, die Grenze zwischen ihnen und den Figuren zu ziehen, die auch von Politik und Presse als Rechtsextremist*innen oder Nazis bezeichnet werden. Sie haben etwas gegen die Zuwanderung von nichteuropäischen Menschen, weil sie zu „Überfremdung" führe. Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft werden als Brutstätten von Kriminalität gesehen. Und wenn die Zugewanderten fremde Gebräuche und Religionen mitbringen, dann ist endgültig das Abendland in Gefahr. Eigentlich also Grund genug, diese Gestalten als Gegner im „Kampf gegen Rechts" zu sehen, der immer beschworen wird.
Wer diese Leute mit der Bezeichnung als „besorgte Bürger" aber unbedingt von den „echten" Nazis unterscheiden will, weigert sich, ihre rassistischen Gedanken zu kritisieren. Das hat eine volkspädagogische Stoßrichtung: Mensch dürfe sie nicht zu hart angehen, um sie nicht weiter auszugrenzen und in die Arme der Nazis zu treiben. Das ist der Versuch, eine rechte Bewegung in einen verfassungsfeindlichen Kern und – zwar von der herrschenden Politik enttäuschte, aber noch erreichbare – Bürger*innen zu spalten. Letztere sollen für die Demokratie zurückgewonnen werden.
Das fällt regierenden Demokrat*innen auch inhaltlich nicht schwer. Denn entgegen den Behauptungen der AfD, dass die herrschenden Parteien an einem „großen Austausch" der heimischen Bevölkerung arbeiteten und ohnehin nur Büttel der Islamisierung des Abendlandes seien, sehen auch die etablierten Parteien von Grünen bis CDU Zuwanderung als „Herausforderung" an, die gesteuert – sprich: begrenzt – werden müsse. Weil sie also den Standpunkt der Rechten, dass Ausländer*innen grundsätzlich erstmal ein Problem seien, teilen, sehen regierende Demokrat*innen und die vierte Gewalt gar keinen guten Grund dafür, AfD zu wählen. Für alle Abschiebungen und Repressionen, die möglich und geboten sind, ist die etablierte Politik ja tatsächlich der bessere Ansprechpartner: Immerhin können die Regierungsparteien (und nur sie) „Handlungsfähigkeit beweisen", indem sie jene Abschottungspolitik durchsetzen, von der eine AfD mangels Macht nur schwadronieren kann (und die schon für zigtausend armselig im Mittelmeer Ersoffene gesorgt hat).
Damit eine*r als Rassist*in oder Nazi identifiziert wird, muss er/sie schon in Thor-Steinar-Shirt und Springerstiefeln einen Brandsatz in ein Flüchtlingsheim werfen und ist dann ein Fall für den Staatsschutz. Die Kritik seines/ihres Standpunktes ist für Politik und Presse mit der Einsortierung als Rassist*in/Nazi und den Verweis auf die Gesetzesverstöße erledigt. Alle anderen sind nur „besorgte Bürger", also potentielle Wähler*innen, die mensch von ihrer Gefolgschaft für die falschen Parteien abbringen will, indem mensch ihnen glaubhaft darlegt, dass die etablierten Parteien schon alles Notwendige für die nationale Selbstbehauptung erledigen.
Dieser Text ist der sechste in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.