Die deutsche Öffentlichkeit steht Kopf: Die Bundeskanzlerin hat zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben und sich dafür entschuldigt. Bekanntlich hatten die MinisterpräsidentInnen der Länder und die Kanzlerin beschlossen, einen verschärften Oster-Lockdown durchzuführen, weil sie sich auf sonst nichts einigen konnte. Handlungsbedarf gibt es aber angesichts der hochschnellenden Neuinfektionen und der absehbaren Überlastung der Intensivstationen.
Dass der Plan – Gründonnerstag alle und Karsamstag/Ostersonnabend viele Geschäfte zuzumachen, am Ostersonnabend den Lebensmittelhandel aber wieder auf – genau das Gegenteil von dem bewirkt hätte, was damit beabsichtigt war, war dann schon bald gar kein Thema mehr.
Alle Welt fragt sich nur noch: darf die das? Darf eine Führungsfigur einen Fehler zugeben und damit noch mehr Vertrauen verspielen? Oder zeigt die Kanzlerin gerade wahre Führung dadurch, dass sie einen Fehler zugibt. Wie immer wenn Demokrat*innen sich über die Prinzipien guter Herrschaft streiten, sind sich alle in der Sache weitgehend einig, stehen sich aber unversöhnlich gegenüber: Zum einen gibt es den Standpunkt, dass die Politik ja auch von Menschen gemacht wird, und wir alle fehlerhafte, zerbrechliche kleine Menschlein sind, die demütig ihrer eigenen Fehlbarkeit gegenüberstehen sollten. Zum andern besteht der Anspruch, dass die beste Nation der Welt auch das Anrecht hat, von den Besten geführt zu werden, die darum mit „klarer Kante“ „durchregieren“. Und das bedeutet, dass sie sich vom Gegreine kurzsichtiger Interessenvertreter*innen so wenig beeindrucken lassen, wie von irgendwelchen Prinzipienreiter*innen, und darin ihrem Volk das bestmögliche Beispiel geben, wenn sie von ihm Opfer verlangen. Zwischen den Polen des menschelnden Anwanzens und der kruppstahlharten Erfolgsgeilheit ist zwischen Mitleid mit den gestressten Verantwortungsträger*innen und der Rücktrittsforderung alles drin.
Ein bisschen aus dem Blick gerät dabei, warum die erlauchte Runde in ihrer übernächtigten Verzweiflung auf die kuriose Idee gekommen ist. Die bisherige Strategie ist offensichtlich gescheitert: Das Impfen der über 80-Jährigen garantiert zusammen mit den Einschränkungen in Sachen Gastronomie und Kultur und der verschärften Maskenpflicht nicht, dass bei weiterlaufenden Fabriken und Büros und darum geöffneten Kitas und Schulen, die Todesquote von Covid19 schon irgendwie für das Gesundheitssystem verdaulich ist. Die Mutanten führen zu höheren Infektionszahlen, und das führt zu jüngeren Patient*innen auf der Intensivstation, die dort deutlich länger bleiben als die Senior*innen, weil es länger dauert, bis sie sterben. Also muss etwas passieren. Oder um die Bundeskanzlerin zu zitieren: „man muss irgendwas machen.“ Weitere Beschränkungen im Privatbereich waren mit den Ländern nicht durchzusetzen und an das eigentlich große Thema wollte keiner ran. Denn dass Fabriken und Büros, und darum auch Kitas und Schulen, geöffnet bleiben sollen, daran will keine*r rühren. Nicht einmal eine wirkliche Testpflicht bei größeren Betriebsstätten wollten die Lenker*innen von Staat und Ländern den Unternehmen zumuten, sondern nur eine etwas schärfere Aufforderung und „Selbstverpflichtung“. Das eben ist die Güterabwägung der deutschen Politik zwischen den notwendigen Voraussetzungen des Kapitalismus (Volksgesundheit und funktionsfähiges Gesundheitssystem) und dem staatlichen Interesse am Prinzip dieser Wirtschaftsweise (nämlich dass sich die ganzen schönen Gewinne deutscher Unternehmen zu Wirtschaftswachstum in echtem, weltweit gültigen Geld verwandeln). Dieser Güterabwägung verdanken die Menschen in Deutschland die halbherzigen Lockdowns mit integrierten Teillockerungen und -verschärfungen, steigende Infektions- und Todeszahlen und haufenweise moralische Vorwürfe gegen die EU-Kommission, die USA und Großbritannien, Mallorca-Urlauber und Party-Jugendliche.
Wetten, dass sich dafür niemand entschuldigt?