Jedes Jahr aufs Neue: Während der ersten Kalendermonate gibt das Statistische Bundesamt die amtlichen Daten bekannt, wie es ausschaut mit der deutschen Wirtschaftsleistung. Je nachdem, wie diese Zahlen ausfallen, dürfen sich alle freuen‚ wie gut es ‚unserer Wirtschaft’ geht oder in Sorge darüber verfallen, was nun ansteht, um ‚unsere‘ Wirtschaft wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Von den rechten bis hin zu den linken Parteien erhält die Wirtschaft, die ‚unseren‘ Reichtum produziert, besondere Aufmerksamkeit, hängt doch die staatliche Handlungsfähigkeit nach Innen und Außen wesentlich von ihrer Potenz ab. Bei allen Parteien, aber auch bei einem Großteil der Bevölkerung, ist dabei die Vorstellung verbreitet, dass es sich bei den verschiedenen Anstrengungen, Geld zu verdienen, um ein Gemeinschaftsprojekt handelt, dem ‚wir‘ uns verschrieben haben, um ‚unsere‘ Wirtschaft voranzubringen. Alle sollen sich der Steigerung der Wirtschaftsleistung verpflichtet fühlen, ihre Lebenszeit dafür hergeben und ihren Beitrag für das Große und Ganze leisten.
Aus der Verpflichtung auf dieses angebliche Gemeinschaftsprojekt wird auch schnell die Drohung: Nur wer seinen Anteil leistet, hat auch ein Anrecht auf Teilhabe am Reichtum der Gesellschaft. Diese weit verbreiteten Vorstellungen, wie in dieser Gesellschaft Reichtum entsteht, wem dieser nutzt und wie dieser verteilt wird, führt die AfD auf ihre Weise fort. Für sie kommt ‚unser’ Reichtum nämlich viel zu sehr denjenigen zu Gute, denen er nicht zusteht:
„Die Soziale Frage der Gegenwart ist nicht primär die Verteilung des Volksvermögens von oben nach unten, unten nach oben, jung nach alt oder alt nach jung. Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen.“ (Höcke, B., (AfD) gepostet auf seiner Facebook-Seite am 01.05.2016)
Höcke spricht soziale Gegensätze innerhalb der Gesellschaft an, er weiß, dass es einen Gegensatz zwischen Arm und Reich gibt, erklärt das aber ohne Weiteres für nebensächlich. Er will die Gegensätze gerade nicht thematisieren, und es interessiert ihn auch nicht, wie soziale Notlagen sowie oben und unten eigentlich zustande kommen. Etwa: Warum gibt es denn unten und oben, und warum gibt es da einen Gegensatz? Oder: Warum gibt es den (durch die spezielle Form der gesetzlichen Rentenversicherung in der BRD bewirkten) Gegensatz von Jung und Alt? Er lenkt weg von den sozialen Gegensätzen. Die mag es zwar geben, sie sind aber völlig unwichtig in Anbetracht dessen, dass das „Volksvermögen“ ans Ausland und an Ausländer_innen transferiert wird. Höcke denkt sich dabei den Reichtum, der in dieser Gesellschaft hervorgebracht wird, als gemeinsamen Topf, aus dem alle ihren Anteil bekommen. Diesen Fehler machen nicht nur die Rechten, auch bei den anderen Parteien und in der öffentlichen Meinung wird stets von ‚unserer‘ Wirtschaft, ‚unserem‘ BIP oder Wohlstand gesprochen.
Wie Reichtum entsteht
Das so gedachte „Volksvermögen1“ gibt es freilich so gar nicht. Der Reichtum wird in dieser Gesellschaft nicht als gemeinsames Projekt, sondern in Konkurrenz produziert: Arbeiter_innen konkurrieren um Arbeitsplätze, kämpfen also gegeneinander darum, für Kapitalist_innen arbeiten zu dürfen. Kapitalist_innen konkurrieren gegeneinander um Marktanteile. Dafür ist der Preis ihrer Waren das entscheidende Mittel, und so strengen sie sich fortlaufend an, die Stückkosten zu senken. Ein Weg dies zu erreichen, ist Lohndrückerei oder mehr Leistung und Überstunden durchzusetzen - also ein Kampf gegen die Arbeiter_innen. Ein weiterer Weg sind Rationalisierungen, mit denen die Kapitalist_innen die Arbeiter_innen außer Lohn und Brot setzen.
An einer anderen Front haben es die Lohnarbeiter_innen mit den Grund- und Immobilienbesitzer_innen zu tun, wenn Letztere ihnen mit immer höheren Mietforderungen das Leben schwermachen. Der Weg, wie der Reichtum in dieser Gesellschaft hervorgebracht wird, ist also gekennzeichnet durch ein Gegeneinander. Das Resultat, also der Reichtum, der dann bspw. in einem Jahr produziert wird (in dieser Gesellschaft in Geld bemessen), liegt in Privathänden vor. Privateigentum zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass alle anderen von ihm ausgeschlossen sind. Der Ausgangspunkt für alle Bemühungen um Reichtum ist dann wieder genau dieser Privatreichtum, der geschickt gegen andere eingesetzt sein will. Von einem gemeinsamen „Volksvermögen“ kann also keine Rede sein. Nur weil die Resultate der Konkurrenz in Form von neuen privaten Vermögensbeständen hinterher statistisch zusammenaddiert werden können, ergibt sich daraus kein gemeinsamer Topf.
Die Tätigkeit des Staates
Wenn überhaupt, dann macht diese Rechnung nur für eine Instanz Sinn: den Staat. Er beschließt die Höhe der Steuern und nimmt so den Privateigentümer_innen eine gewisse Summe qua gesetzlichen Gewaltakts weg und finanziert damit seine Staatstätigkeiten. Alles, was die Privateigentümer_innen (sein Volk) in seinem Herrschaftsbereich wirtschaftlich so hinbekommen, ist für ihn potentielle Machtquelle (seiner „Handlungsfähigkeit“). Insofern könnte man vielleicht von „Volksvermögen“ sprechen, aber sicher nicht von ‚unserem‘ Volksvermögen. Denn wenn der Staat die Steuern eingezogen hat, dann sind sie eben nicht mehr Eigentum irgendeines Steuerzahlers. Dass Politiker_innen dennoch gerne im Namen des Steuerzahlers eine andere Steuerpolitik fordern oder dass ein Finanzminister seine Kolleg_innen bei den Ausgaben bremsen will und dabei im Namen des Steuerzahlers argumentiert, kommt zwar häufig vor; auch dass Bürger_innen spiegelbildlich gerne von ‚unseren’ Steuern reden und sich im Namen des Steuerzahlers beschweren. Sachlich stimmt das aber überhaupt nicht. Dass Steuern kein Tauschgeschäft sind, das hat sich die BRD sogar explizit ins Gesetzbuch geschrieben: „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen (…)“ (Abgabenordnung §3, 1). Wofür der vom Staat angeeignete Privatreichtum dann also ausgegeben wird, ist seine Sache, bzw. die der Regierung und des Parlaments. Nun könnte dagegen eingewandt werden: Die jeweils amtierende Regierung ist doch ‚unsere‘ Regierung, sie und das Parlament müssten die Steuern irgendwie ‚in unserem Sinne’ ausgeben. Auch von dieser Vorstellung sollte man Abstand nehmen, denn: Die Parlamentarier_innen „(...) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ (Grundgesetz, Art. 38, 1). Der ganze Witz der Wahl besteht ja gerade darin, dass einmal gewählte Politiker_innen in ihren Entscheidungen frei sind und sich nicht ‚dem Druck der Straße’ beugen müssen. Sie üben Ämter aus, die auf jeden Fall nicht zur Wahl, sondern die schon vorher feststanden. Und diese Ämter haben den Auftrag, den nationalen Erfolg herbeizuführen. Sie sind damit von Beruf aus Nationalist_innen und so vertreten sie das ‚ganze Volk’. Und Letzteres besteht nun mal - wie oben dargestellt - aus lauter Konkurrent_innen, die klassengemäß den geldwerten Reichtum in der Gesellschaft herstellen, um dessen private Aneignung sie zugleich konkurrieren. Der Berufsauftrag der Politiker_innen besteht also darin, die gesellschaftliche Konkurrenz so zu fördern, dass immer wieder ein steigendes BIP oder Volksvermögen zusammengerechnet werden kann. Genau dabei ist es völlig sachgerecht, dass die Politiker_innen von allen Unterschieden - ob man nun bei der Konkurrenz als Unternehmer_in erfolgreich das Geld vermehrt oder dauerhaft als Lohnarbeiter_in mit der Existenz kämpft - einerseits abstrahieren. Wenn Löhne und Gewinne der Unternehmen zeitgleich steigen, dann wird dies als gut befunden. Wenn die Löhne sinken oder immer mehr Überstunden anfallen und die Unternehmensgewinne steigen, ist das ebenfalls gut. Einerlei, Hauptsache hinterher ist ein Mehr da. Sie dienen ja dem Volk und in dieser Kunstfigur werden die Unterschiede der kapitalistischen Klassengesellschaft ja nicht beseitigt, sondern stehen gelassen bzw. auf deren Grundlage Politik gemacht. Andererseits beziehen sich Politiker_innen aufgrund ihres Zwecks - Mehrung des nationalen Reichtums - sehr bewusst auf die Klassenunterschiede und helfen da politisch ggf. auch mal nach: Wenn mäßige Lohnerhöhungen scheinbar die Binnenkonjunktur stabilisieren und damit als gute Grundlage für flächendeckende Unternehmensgewinne eingeschätzt werden, dann gehen sie in Ordnung. Überzogene Lohnerhöhungen darf es aber nicht geben. Die Gewinne der Unternehmen dagegen können nicht hoch genug ausfallen. Spätestens, wenn mal wieder eine Rezession ins Haus steht oder aber gewünscht ist, dass die Unternehmerschaft sich international gegen ihre Konkurrenz besser durchsetzen soll, dann heißt es von Seiten der Volksvertreter_innen: Löhne runter (Sozialstaatsausgaben inklusive), länger, intensiver und flexibler Arbeiten! Für dieses Projekt - den nationalen Reichtum befördern - haben Parteien unterschiedliche Strategien und werfen sich wechselseitig vor, Fehler zu machen oder Potentiale zu vergeuden. Das rechtfertigt aber nicht die Vorstellung von ‚unserem’ Staatshaushalt. Wenn weniger für Geflüchtete ausgegeben würde, heißt das überhaupt nicht, dass sich Renten für biodeutsche Arbeiter_innen erhöhen. Ganz im Gegenteil können sie sich darauf einstellen, dass ein Staat, der den Lebenserhalt von Menschen (hier Geflüchtete) immer wieder als nutzlose Last für das Wirtschaftswachstum der Nation diskutiert, den Lebensabend von Arbeiter_innen ebenso ins Auge fasst.
‚Unser’ Volksvermögen gibt es also weder in der Gesellschaft noch beim Staat. Diese Vorstellung sollte man schleunigst fallen lassen und sich der Frage zuwenden, wie der Reichtum in dieser Gesellschaft produziert wird und warum dabei die relative Armut der Arbeiterklasse funktionaler Bestandteil ihrer kapitalistischen Benutzung ist.2 Davon will die AfD nichts wissen. Sie unterstellt die in der Demokratie übliche falsche Vorstellung von ‚unserem’ Volksvermögen und agitiert dafür, den Reichtumstransfer vom Inland ins Ausland als die entscheidende Frage aufzufassen. Damit kündigt sie an, dass sie mit der Art und Weise, wie Deutschland bislang die Welt für den nationalen Erfolg benutzt hat, unzufrieden ist.
Wenn Arbeiter_innen so ein Programm einleuchtend finden und bei der AfD ihr Kreuz machen oder bei Pegida mitmarschieren, dann muss man ihre Vorstellungen ernst nehmen, wenn man sie kritisiert. Und dazu gehört eben auch, mit der falschen Vorstellung von ‚unserem‘ Volksvermögen aufzuräumen und klar herauszustellen, dass, wo immer so geredet wird, es garantiert nicht um das eigene Wohlergehen geht, sondern um Opfer- und Dienstbereitschaft für die Nation.
„Deutsches Geld nur für Deutsche“
Jede Regierung verschreibt sich ganz dem Vorankommen des eigenen Landes. Die ihr zur Verfügung stehenden Mittel setzt sie ein, um in der Staatenkonkurrenz erfolgreich zu sein. Neben der Bewirtschaftung des eigenen Standortes nimmt die deutsche Regierung auch das Ausland ins Visier, betreibt Entwicklungshilfe, gewährt Auslandskredite oder alimentiert Geflüchtete. Nur täuschen sollte man sich über den Zweck dieser Maßnahmen nicht: Entwicklungshilfe oder Auslandskredite dienen der Absicherung des eigenen wirtschaftlichen Erfolges und der politischen Einflussnahme auf die jeweiligen Länder. Auch die Aufnahme von Menschen aus anderen Staaten und deren Lebenserhaltung am Existenzminimum dient dem deutschen Staat u. a. als Anspruch, in der Welt mitzumischen3. All diese, für einen modernen Staat üblichen und von den etablierten Parteien praktizierten, politischen Strategien zur Nutzbarmachung der Welt wertet die AfD als skandalösen Reichtumstransfer vom In- ins Ausland. Von ihrem rechten Standpunkt aus profitieren viel zu sehr andere Staaten und deren Bürger_innen von den derzeitigen politischen Programmen. Diesen politischen Gesichtspunkt bedienen nicht nur die ganz Rechten. Vorbehalte gegenüber den Zahlungen an Asylbewerber_innen oder bei der Bereitstellung von Krediten ans Ausland kennen auch die anderen Parteien. Da sich die AfD eindeutig auf den Standpunkt „Deutsches Geld nur für Deutsche!“ stellt, nimmt sie die Diskussion um das Für und Wider von Zahlungen schon als einen Hinweis auf den Verrat der amtierenden Regierung am deutschen Volk. Die von der AfD geforderte Dienstbereitschaft des Staates am deutschen Volk läuft dann auf demonstratives oder konsequentes Schlechterstellen derjenigen hinaus, die nicht zum Volk gehören.
Nach Innen wird den Leuten, die dazu gehören, ordentlich viel Leistung abverlangt, damit das „Volksvermögen“ steigt und der Staat über entsprechende Mittel verfügt. Dass das klassenmäßig unterschiedliche Konsequenzen hat, sollte klar sein: Wenn Kapitalist_innen in die Pflicht genommen werden, jetzt ordentlich Gewinne zu machen, dann müssen sie eben das machen, was sie sowieso wollen; wenn Arbeiter_innen in die Pflicht genommen werden, die Nation stark zu machen, dann sollen sie arm und ehrlich bleiben und Opfer für die Arbeitsschlacht bringen. Das schließt nicht aus, dass sich rechte Politiker_innen gegen eine Verelendung von Deutschen z. B. im Alter einsetzen. Wer 45 Jahre lang brav für die Nation (d. h. im Wesentlichen für Kapital und Staat) gearbeitet hat, der soll am Lebensabend nicht Flaschen sammeln müssen. So heißt denn der Titel der AfD Thüringen-Fraktion zum Thema Rente „Wertschätzung“. Dass hier der Fleiß, der Dienst, die Opferbereitschaft durch eine erhöhte Grundsicherung materiell geehrt werden soll, wird in dem Papier deutlich4. Ein anderes Konzept in der AfD wiederum fordert die Zwangsarbeit für Arbeitslose, was modern dann so heißt: „Daher setzt sich die AVA e.V. (eine Arbeitnehmervereinigung innerhalb der AfD) für eine Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit - unter Berücksichtigung des Lebensalters und der vorherigen Arbeitsleistung in Deutschland - ein.“5 Wenn eine Arbeitervertretung Zwangsarbeit fordert, könnte man das für einen schlechten Scherz halten. Ist es aber nicht. Dies ist die Konsequenz der Forderung „Deutsche zuerst“: Das Versprechen an alle, ganz abgesehen von der Klassenlage, ist, dass die AfD sie in den Dienst der Nation bringen will.
Dieser Text ist der neunte in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.
1Das Volksvermögen ist nicht nur einfach eine umgangssprachliche rechte Macke. Diese Kategorie kommt aus der Volkswirtschaftslehre. Es stellt den Versuch dar, Sachbestände (Fabriken, Maschinen etc.), Vorräte, Gelder, Schuldforderungen, Schuldverpflichtungen, Ländereien und teilweise sogar Arbeitsvermögen in einem aufsummierten Geldbetrag auszudrücken. Im Gegensatz dazu erfasst das BIP (Bruttoinlandsprodukt) nur Wertgrößen, die innerhalb eines Zeitraums (z.B. ein Jahr) produziert wurden. Hier gilt das Inlandsprinzip. Alles, was im Inland an Waren, Dienstleistungen und Zinsen eingefahren wird, wird addiert – egal ob Ausländer_innen (oder Firmen mit Rechtssitz im Ausland) oder Inländer_innen das gemacht haben. Dennoch reden Politiker_innen gerne von ‚unserem‘ BIP.
2Eine verständliche Erklärung der kapitalistischen Ökonomie findet sich in dem Buch: „Die Misere hat System: Kapitalismus“ von den Gruppen gegen Kapital und Nation.
3Ausführlicher in: „Was „Merkels kurzer Sommer der Menschlichkeit“ über die deutsche Realität aussagt“.
4Siehe https://afd-thl.de/wp-content/uploads/sites/20/2018/06/Rentenpapier.pdf; eingesehen am 19.09.2018.
5Quelle: http://www.ava-bund.de/THESENPAPIER/; eingesehen am 19.09.2018.