Neulich irgendwo, mitten in der Stadt auf einer Parkbank: Eine x-beliebige Person diskutiert mit einer y-beliebigen anderen Person über das Weltgeschehen. Klar, es wird sich entrüstet über Trump geäußert, Erdogan wird als angehender Diktator beklagt und auch an Putin wird kein gutes Haar gelassen. Sogar vor der eigenen Haustür wird so manches entdeckt, was nicht so sein müsste. Wenn nur, ja wenn, und da sind sich beide einig, die Politik es doch mal richtig angehen würde. Dann wäre das Leben hier im Vergleich zu anderen Ländern so richtig prima. Verständlich ist es aber doch, dass viele von anderswo nur zu gerne zu ‚uns‘ kommen wollten, so wie es bei denen aussieht. Mit dem erneuten Blick auf das Anderswo stellt sich wohlige Genugtuung ein. Sie fühlen sich als Teil einer Gemeinschaft, die es zu einem gewissen Erfolg gebracht hat. Ihnen ist aber auch bewusst, dass das Erreichte nicht vom Himmel fällt, sondern tagtäglich von allen abverlangt, für das demokratische Gemeinwohl sich einzusetzen und es zu verteidigen. Und als aufgeklärte Bürger_innen stellt sich daran anknüpfend die Sorge ein, wie es denn um den Willen der Hinzugezogenen bestellt ist, an ‚unserem‘ Projekt mitzuarbeiten. Anlässe zur Sorge gibt es zuhauf: Da muss bemerkt werden, wie einige liebgewonnene Nachbar_innen doch tatsächlich den Despoten Erdogan wählen, ein deutscher Nationalspieler sich mit eben diesem trifft oder Putin als großer Staatsmann verehrt wird. So ist Vielfalt nicht gemeint. Da sind bei denen noch Defizite vorhanden, die behoben werden müssen. Und auch könnten, vorausgesetzt, dass sie nur wollten.
Ganz selbstverständlich wird in dieser Allerwelts-Diskussion die ausgemachte Abweichung vom hiesigen Blick auf die Welt der konkurrierenden Staaten als noch nicht gelungene Integration gesehen und eine Diskussion über die Maßnahmen zu Behebung des Problems losgetreten. Dass Integration unerlässlich wäre, wird von sehr vielen Leuten anerkannt und eingefordert. Doch was heißt das genau?
Die Forderung „Integriert euch“ ergeht an alle Menschen, die aus anderen Herkunftsstaaten hierhergezogen sind und denen es staatlicherseits über die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft erlaubt wurde ein Teil seines Staatsvolkes zu werden.
Allerdings wird es nicht dabei belassen, dass sie eben, wie alle anderen auch, mit den Widrigkeiten der Konkurrenzgesellschaft zurechtkommen müssen und sich an erlassene Gesetze halten sollen. Mit Integration ist viel mehr gefordert. Wenn an Eingewanderten oder deren Kindern und Enkeln die Frage aufgemacht wird, ob sie sich überhaupt integrieren wollen, dann aufgrund einer besonderen Skepsis ihnen gegenüber: Es wird davon ausgegangen, dass das, was hiesigen Bürger_innen ganz selbstverständlich unterstellt wird, bei Menschen aus fremden Herkunftsstaaten nicht einfach vorhanden ist: die Loyalität zum deutschen Staat. Bei Eingewanderten und deren Nachfahren wird im Grunde das Gleiche unterstellt, wie bei einem selbst, nur in eine verkehrte Richtung: dass die Loyalität sich eben auf einen anderen – 'ihren' Herkunftsstaat – richtet. Nahrung findet diese Skepsis überall dort, wo Eingewanderte sich den Standpunkten eines anderen Staates wohlwollend interessiert zuwenden oder gar zu eigen machen. Die Beschäftigung mit in Deutschland als Organe der fremden Staatspropaganda eingestuften Medien, dem Zuhören von durch Fremdstaaten finanzierten Predigern oder das vorgetragene Desinteresse an der deutschen Politik sind Belege für die beklagten Integrationsdefizite. Für die Problemlagen des deutschen Staates, die von den richtigen Leuten zu solchen erklärt werden, hat man sich zu interessieren.
Bei der Frage der Integration geht es also im Kern um das bereitwillige „Ja“ zur hiesigen Herrschaft. Dabei soll das Dafür-Sein sich nicht von besonderen Interessen abhängig machen oder davon, ob der Staat hier und da was für einen tut. Die Parteilichkeit soll eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit sein, quasi zu einer Charaktereigenschaft werden. Am Ende einer erfolgreichen Integration soll die unbedingte Parteinahme für Deutschland stehen.. Vorrangig sollen sich alle um das Wohl Deutschlands sorgen und kümmern, bei vorhandener Kritik an den Entscheidungen der Regierung konstruktiv-kritische Vorschläge machen und durch die verordnete Verfolgung ihres Eigennutzes den Reichtum mehren. Von politisch rechts bis links sind sich hierüber alle einig. Schließlich bestehen sie auf einen starken deutschen Staat, zu dem sich alle hier lebenden Bürger_innen im Grundsatz bekennen sollen.
Neulich irgendwo am Rande der Stadt auf einer Parkbank: Eine Person diskutiert mit einer anderen über das Weltgeschehen. Da wird Trump für seine Härten gegen Eingewanderte gelobt, Erdogan für seine Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands kritisiert und Putin als starker Staatsmann respektiert. Und auch vor der eigenen Haustür wird vieles entdeckt, was nicht so sein sollte. Wenn nur, ja wenn, die Politik sich endlich grundsätzlich ändern würde. Dann wäre Deutschland wieder ihr Land. Verständlich ist ihnen, dass viele hierher kommen wollten, um am deutschen Vollkornbrot zu knabbern. Mit dem erneuten Blick auf das Anderswo regt sich Stolz in ihrer Brust. Sie fühlen sich als Teil eines Volkes, dass es zu Erfolg gebracht hat. Ihnen ist aber auch bewusst, dass der Erfolg der Nation nicht vom Himmel fällt, sondern tagtäglich von allen abverlangt, für das nationale Wohl sich einzusetzen. Und als ständig besorgte Bürger_innen stellt sich daran anknüpfend die Sorge ein, wie es denn um Volk und Vaterland bestellt ist. Sorgenvoll blicken sie auf die Straße und sehen viele ‚Fremde‘, die es ganz augenscheinlich mit ihrer Integration nicht ernst meinen, es an nötiger Anpassung an die hiesigen Sitten und Gebräuche mangeln lassen.
Und darauf kommt es ihnen entschieden an: Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass ein parteilicher Charakter für Deutschland in alltäglichen Bräuchen sich ausdrückt oder ausdrücken müsste. Alles was für sie nicht hierher gehört, nicht ihrer eingebildeten Leitkultur entspricht, wird als Material herangezogen, um daran die mangelnde Parteinahme für Deutschland zu entdecken. Wenn ein_e Ausländer_in ein_e Inländer_in werden will, dann hat er_sie von sich aus alles ‚Fremde‘ an sich abzustreifen. Dies ist eine Erweiterung der oben genannten Anforderung.
Der Wille zur Integration bemisst sich am endlosen Abarbeiten an der angelegten Leitkultur. Denn jegliche Besonderheit wird skeptisch beäugt und gilt als Ausweis für die unvollständige Anpassung und Unterordnung und wird als Verweigerung verstanden, im hiesigen nationalen „Wir“ vorbehaltlos und dauerhaft aufgehen zu wollen. Die Maßlosigkeit dieses Anspruches an die potentiell neuen Inländer_innen sorgt dann auch dafür, dass ihnen permanent unterstellt wird, sie würden es nicht ernst meinen und die Integration verweigern.
Von einem solchen Gedankengang ist es nicht mehr weit, Ausländer_innen prinzipiell die ‚Fähigkeit‘ zur Integration abzusprechen. Als ehemalige Teile eines anderen Volkes wären sie schon von ihrem Charakter her ganz grundsätzlich verschieden von dem hiesigen. Und als solche könnten sie, so sehr sie auch wollten, kein Mitglied einer anderen nationalen Gemeinschaft werden. Und letztendlich haben sie durch ihr Herkommen und Bleiben-Wollen bewiesen, was für Vaterlandsverräter_innen sie seien. Loyale Volksgenoss_innen dienen nämlich der Herkunftsnation bis zum Letzten.
Die Loyalität zum deutschen Staat ist allen verflucht wichtig. Die Sorge, wie es um diese bestellt ist, treibt sie an. Die einen begegnen den ausgemachten Integrationsdefiziten mit Angeboten an die Defizitären, so dass sich die unbedingte Parteinahme schon einstellen möge. Die anderen pochen auf die bedingungslose Unterordnung und Parteinahme und bekämpfen alles ‚Fremde‘ als Gefahr für die Nation.
Der Frage, ob Ausländer_innen sich der Integration verweigern würden, geht die Forderung nach ihrer Integration voraus. Sie sollen „Ja“ sagen zu der hiesigen Herrschaft, sich mit dieser Gesellschaft und diesem Staat identifizieren und somit eine geistige Grundhaltung sich aneignen, die selbstverständlich für Deutschland ist. Eben ungeteilte Loyalität beweisen, um - wie die vollständig Integrierten - zu brauchbarem Material für das Vorankommen der Nation zu werden.1 Der harte rechte Standpunkt spricht allen von ihnen als nicht-deutsch Einsortierten prinzipiell ab, in das nationale „Wir“ aufgehen zu können und landet bei der Forderung: „Ausländer raus“. Die Hingabe zur Nation soll für alle „Volksgenossen“ unhintergehbar, selbstverständlich, ihnen zur zweiten Natur werden und unbeirrt lebendig sein. Dieser politische Anspruch drückt sich entsprechend in der Ideologie einer angeblich vorhandenen ‚Rassen-‘ und ‚Volksnatur‘ aus. Das Kriterium der Abstammung eines Menschen gilt ihnen als das Entscheidende bei der Frage, mit welchen Menschen sie in einer Gesellschaft zusammenleben können und mit wem nicht. Dass an der Abstammung viel hängen würde, diesen Gedanken müssen die völkischen Rassist*innen nicht neu erfinden, er ist in der Demokratie weit verbreitet. Er passt aber zu ihrem politischen Anspruch wie Arsch auf Eimer. So ist bei ihnen aus rassistischen Gründen Integration kein Thema mehr.
Dieser Text ist der fünfte in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.
1Dabei wäre es doch mal was, wenn nicht nur ehemalige Ausländer und ihre Nachfahren die Integration aus den richtigen Gründen verweigern würden.