Rechte Parteien in der EU, wie die AfD, propagieren ein „Europa der Vaterländer“. Sie wollen „(…) die EU zurückführen zu einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten in ihrem ursprünglichen Sinne“ (AfD, Programm für Deutschland, 2016, S. 16) Ihr Konzept für Europa grenzt sich von der EU ab und präsentiert sich als eine Alternative. Was missfällt ihnen an der EU? Für die Antwort ein kurzer Rückblick:
Deutschland hat versucht, seine nationale Größe in der Welt dadurch zu mehren, dass es mit anderen europäischen Mächten ein Bündnis geschlossen hat: die EU und mit vielen Staaten davon die Euro-Gemeinschaft.
Schon immer in der Geschichte der EU galt: Jedes Land will die EU für den eigenen nationalen Erfolg benutzen, z.B. als Absatzmarkt für die heimische Exportwirtschaft. Dabei kam aber kein Staat daran vorbei, mehr oder weniger Kompromisse zu machen. Verhandlungen in der EU liefen nie ohne Streit ab, insbesondere welche heimischen Branchen einen gewissen Schutz genießen sollten in dem zunehmend freien europäischen Binnenmarkt. Die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Länder, die mit der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der EU einhergingen, sind dabei immer wechselseitig als Druckmittel eingesetzt worden. Das provozierte weiter Gegenwehr bei den betroffenen und beteiligten Staaten, und der anhaltende Streit drohte das Gesamtprojekt zu schwächen. So standen die Länder immer wieder vor folgender Entscheidung: a) Mehr Kompetenzen an die EU abtreten und die Gemeinschaft gegen die vielen nationalen Einzelinteressen stärken. Oder aber b) die vielen nationalen Einzelinteressen verstärkt berücksichtigen und dafür das Projekt EU rückabwickeln. Letzteres bedeutet dann: Auf die Stärke der Gemeinschaft (z.B. Verhandlungsmacht mit Nicht-EU-Staaten), die doch jede EU-Nation für sich benutzen will, muss ein Stück weit verzichtet werden. Die im Grunde anhaltende Finanz- und Staatsverschuldungskrise, die im Jahr 2007 begann, war und ist mal wieder so eine Situation:
Insbesondere in der CDU, aber teils auch in den anderen Parteien wurde sich im Zusammenhang mit dieser Krise darüber geärgert, dass man Erfolge, die sich Deutschland erwirtschaftet hatte, nicht rein für sich genießen konnte, sondern teils für andere Länder hergeben musste – also für diejenigen Länder, die in der Konkurrenz der Volkswirtschaften schlecht abgeschnitten oder verloren hatten. Vor allem sahen sie die Gefahr, dass Deutschlands Kreditwürdigkeit leidet, wenn Deutschland für einen großen Teil der Kredite haftet, die bspw. an Griechenland vergeben wurden oder die für zukünftige Rettungsaktionen eingeplant waren. Das wurde als substantielle Gefahr für Deutschlands zukünftigen nationalen Erfolg angesehen. Dies alles wurde von Politiker*innen der etablierten Parteien und den sie begleitenden deutschen Zeitungen herausgestellt. Nur: Das völlige Hängenlassen von Griechenland und ggf. weiteren Staaten hätte für die EU eine derartige Schwächung bedeutet, dass Deutschlands Größe dadurch ebenso beschädigt worden wäre. Daher wurde den Rettungspaketen und neuen EU-Mechanismen zähneknirschend zugestimmt.1
In der AfD versammelten und sammeln sich anhaltend Politiker*innen, die die wirtschaftliche Gefahreneinschätzung für Deutschland bzgl. der EU mit ihren Kolleg*innen nach beiden Seiten teilen: Sie sehen die nationale Größe durch die Kreditzusagen in Gefahr und wissen zugleich, dass ein Austritt aus dem Euro ebenfalls einen starken Schaden für Deutschland nach sich ziehen würde. Sie sind dann aber zu einem anderen Fazit kommen: Lieber Griechenland und sonstige andere Verliererstaaten hängen lassen, als dauerhaft neue Mechanismen zu schaffen, die die Gefahren nicht beseitigen, sondern aufrechterhalten. Insofern fordert die AfD eine alternative Konsequenz aufgrund einer abweichenden Bilanzrechnung von nationalen Vor- und Nachteilen. Das ist aber erst der Anfang für ein radikal anderes europapolitische Programm:
Angesichts der Tatsache, dass die deutsche Regierungspolitik sich schließlich auf weitere EU-Mechanismen zur Krisenbewältigung eingelassen hat, fällt den AfDlern und anderen Rechten auf, dass immer mehr Souveränitätsrechte des Nationalstaates an die EU-Institutionen übertragen werden. Und zumindest diese Beobachtung stimmt schon: Die Geldpolitik wird durch die Europäische Zentralbank (EZB) gestaltet, auf die die Staaten zwar prinzipiell Einfluss haben – aber nur, wenn sie sich einig werden. Die nationalen Parlamente müssen sich ihre Haushaltsplanung von der EU kontrollieren und ggf. genehmigen lassen. Und gerade Deutschland arbeitet hart daran, die EU-Länder erneut auf einen einheitlichen Umgang mit Flüchtlingen so zu verpflichten, dass jedes Land von der EU Flüchtlinge nach einem Schlüssel zugeteilt bekommen solle. Und Deutschland würde sich damit natürlich auch selbst auf diese EU-Beschlüsse verpflichten.
In diesem Sinne kommt den Rechten das Verhältnis von Deutschland zur EU fälschlicherweise so ähnlich vor, wie das Verhältnis von Hessen zu Deutschland: „Wir sind dagegen, die EU in einen zentralistischen Bundesstaat umzuwandeln.“ (S. 16) Der Vergleich hinkt natürlich, weil Hessen aus Deutschland nicht austreten kann, Deutschland aber aus der EU.
Die AfD stört sich daran, dass die deutsche Politik so gar nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit ohne Rücksicht auf Verträge von heut auf morgen das tun könne, was für den nationalen Erfolg am besten ist. In den weltweiten politischen Manövern, die Deutschland machtvoll mit der EU anstellt (etwa ein Investitionsabkommen mit China), können die AfDler gleich kein deutsches Interesse mehr entdecken.
Mit diesem Blickwinkel emanzipiert sich die AfD von den Vor- und Nachteilsrechnungen. Sie stellt nicht mehr die Frage, ob und was die EU Deutschland bringt. So steht die EU nicht mehr nur dafür, dass deutsche Kreditwürdigkeit leiden könnte oder einige Wirtschaftswachstumsprozente verlustig gehen, sondern dafür, dass der deutsche Staat selbst ausgehöhlt würde. Deutschland schneidet aus der Sicht der AfD also nicht einfach schlecht ab mit seiner Teilnahme an der EU, sondern gerate zum Spielball supranationaler Institutionen. Für die AfD steht damit gleich die ganze Nation auf dem Spiel. Entsprechend wird den Pro-EU-Politiker*innen nicht mehr nur Politikversagen vorgeworfen – also der Vorwurf, dass sie durchaus an der richtigen Sache interessiert seien, dabei aber ungeschickt oder unfähig vorgehen würden. Den Pro-EU-Politiker*innen wird vielmehr gleich unterstellt, dass sie Landesverräter*innen seien.
So steht dann das „Europa der Vaterländer“ nicht mehr für einen rechtskonservativen Standpunkt, wie ihn der Urvater des Konzeptes, der französische Staatspräsident Charles de Gaulle, 1960 vertreten hat. „Europa der Vaterländer“ steht für einen rechtsradikalen Standpunkt: Deutschland schaffe sich mit der EU ab, der Staat löse sich auf, das Volk löse sich auf, die Nation stecke also in einer Existenz-Krise. Und das Volk lasse das mit sich machen, weil die Politik für einen „Bevölkerungsaustausch“ sorge: Das Volk fühle sich schon gar nicht mehr als Volk. Von dem außenpolitischen Drangsal geht der rechtsradikale Standpunkt also zum Programm der „Rettung des Volkes“ über und macht für das Ziel kultureller oder abstammungsmäßiger (d.h. rassistischer) Homogenität lauter Feindschaftsansagen gegen nennenswerte Bevölkerungsanteile.2
Eine Politikerin wie Angela Merkel hält dem entgegen: Ohne die supranationalen Institutionen gibt es keine internationale Ordnung, über die man Grundlegendes zu Deutschlands Gunsten weltweit durchsetzen kann. Sie betont in Abgrenzung zur AfD die andere Bedeutung von Souveränität: Was nützt es, wenn man jederzeit und völlig autonom selbst Entscheidungen treffen kann, aber dabei in der Welt gegen China, gegen Russland und auch gegen die USA gar nicht wirklich Dinge zum Nutzen Deutschlands durchsetzen kann?
Für die Durchsetzungsfähigkeit Deutschlands gegen andere Staaten, ist die Inanspruchnahme der Menschen, über die Merkel gerade regiert und über die die AfD oder die Grünen gerne regieren wollen, bei allen Seiten eingekauft. Auch in Sachen dominanter Anspruchshaltung gegenüber anderen Staaten nehmen sich die AfD und die aktuelle Regierungspolitik nichts. Alle streben deutsche Machtvollkommenheit an – die Wege unterscheiden sich.
Dieser Text ist der achte in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.
1Siehe den Text „Staatsverschuldung und die Krise im Euroraum“
2Vom Rettungskampf um die Volksidentität kommt die AfD dann wiederum auf mehr rücksichtslose staatliche Gewalt als Allheilmittel. Dieser Übergang ist in folgender ausführlichen Erklärung und Kritik des rechten Standpunktes dargestellt:
„Von Schland nach Gauland – Das Krisenprogramm der AfD und seine demokratische Grundlage“;