31.08.1999 PDF

Verbrechen lohnt sich nicht!

Wie die Wehrmachtsausstellung sich um die Kritik an Krieg und Faschismus drückt

Die Wehrmachtsausstellung (im folgenden WMA) des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat sowohl Betroffenheit hervorgerufen als auch eine breite Auseinandersetzung mit Krieg und Faschismus angeregt, indem sie den von der Wehrmacht 1941 bis 1944 verübten Terror und Massenmord dokumentiert. Die Debatte macht sich in erster Linie an der Ausstellung selbst, ihrem programmatischen Titel:“Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944? und den Ausstellungsstücken fest. Der Streit zwischen den Verteidigern der Ausstellung und ihren Gegnern wird darum geführt, ob die gezeigten Dokumente die Taten als Taten der Wehrmacht erkennen lassen und, wenn dies zugestanden wird, ob es sich dabei um “Verbrechen? handelte. Die Kontrahenten der Ausstellung beharren darauf, daß das, was die Ausstellung als die “Legende von der sauberen Wehrmacht? widerlegen will, gar keine Legende sei, sondern die Wahrheit. Die Ausstellung stellt dem entgegen dar, daß die Taten der Wehrmacht verschwiegen und vertuscht und daß in der Nachkriegszeit Legenden gebastelt wurden. Sie bewirkt Betroffenheit und zwingt zur Kenntnisnahme der Fakten. Doch weder die Ausstellung selbst noch diese Debatte weisen über die Forderung nach korrekter Dokumentation von Tatsachen hinaus — kaum einer fragt, warum die “Legende von der sauberen Wehrmacht? gebastelt wurde. Der Zweck der Legendenbildung wird ebensowenig zum Gegenstand der Auseinandersetzung wie der besondere Zweck, den der faschistische Krieg hatte.


In der WMA wird das Interesse, eine Armee — in diesem Fall die Wehrmacht — als eine saubere Sache darzustellen, nicht thematisiert: Eines der Druckmittel, die Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen gegen andere Staaten nutzen, ist ihre militärische Stärke. Ihr Militär wollen Staaten als notwendigen Bestandteil ihrer selbst akzeptiert wissen. Diese Akzeptanz versuchen sie nicht nur durch Verweis auf die Nützlichkeit der Armee beim Kampf mit Naturgewalten oder die Dringlichkeit ihrer ,Friedensmissionen?zu erhalten, sondern auch unter Berufung auf eine lange und saubere Tradition der nationalen Armee. Dazu aber muß davon abstrahiert werden, daß Krieg generell eine grausame Angelegenheit ist, und daß diese Grausamkeit zumeist Morde und Vergewaltigungen einschließt. Als eine solche Abstraktion war die Legende von der sauberen Wehrmacht, die die Greueltaten des faschistischen Krieges der SS zuschreibt, in der Nachkriegszeit grundlegende Bedingung für die Rechtfertigung der Bundeswehr.
Über die Tatsache, daß Kriege und Armeen zu den ganz normalen Mitteln und Bestandteilen von Staaten rechnen, schweigt die WMA. Vielmehr meint sie an einem gegebenen Kriterium, der Haager Landkriegsordnung, den verbrecherischen Krieg der Wehrmacht unterscheiden zu müssen von normalen Kriegen, die von sauberen Armeen geführt werden. So verweigert die WMA der Wehrmacht die Rechtfertigung, die für alle anderen Kriege und Armeen überhaupt nicht in Frage zu stehen scheint. Die WMA kritisiert nicht Krieg überhaupt, sondern nur “Vernichtungskrieg?, das vermeintliche Spezifikum des Krieges der deutschen Wehrmacht zwischen 1941 und 1944.
Der Ausstellung geht es darum, die Glaubwürdigkeit der deutschen Vergangenheitsbewältigung besser zu gewährleisten. Vermittels der Verurteilung der Taten der Wehrmacht als “Verbrechen? soll gezeigt werden, daß die Deutschen sich den Maßstab einer internationalen Vereinbarung, wie normale Kriege auszusehen haben, mittlerweile zu eigen gemacht haben. Das gibt in den Augen der Aussteller ein besseres Bild der neuen BRD ab als ein Festhalten an den nunmehr mit Bildern des Schreckens widerlegten Legenden, die in den Nachkriegsjahren so eifrig geschmiedet wurden.
Die Nazis reagieren in verschiedener Weise auf die Widerlegung der Legenden. Manche gestehen die Taten der Wehrmacht nicht nur ein, sondern halten ihr Vorgehen und dessen Ziele für richtig: Deutsche Soldaten, Heldentaten! Andere leugnen das Geschehen und behaupten nach wie vor, die Bilder seien gefälscht. Die gängigste rechte Replik lautet, das habe nicht die Wehrmacht getan, sondern die SS oder nur einzelne Soldaten ohne Befehl von ganz oben — die Institution Wehrmacht soll reingewaschen und die Schuld an andere Stelle geschoben werden. Die letzte Variante macht sich denselben Maßstab zu eigen wie die WMA, umstritten ist nur das richtige Deutschlandbild: Nach Auffassung der Nazis stellt sich Deutschland mit einer reingewaschenen Wehrmacht besser dar als mit einer für schuldig befundenen.
Mit der Schuldzuweisung macht die WMA die Haager Landkriegsordnung nicht nur zum Kriterium der Verurteilung der Taten der Wehrmacht als ?Verbrechen?, sondern darüber hinaus zum Kriterium ethischer Verwerflichkeit. Eine solche Landkriegsordnung dient jedoch nicht dazu, Kriege zu verhindern, sondern Kriegen — die somit stillschweigend gebilligt werden — Regeln zu geben. Dazu, wie jeder Mensch sich vernünftigerweise verhalten wollen kann, steht Krieg überhaupt im Widerspruch. Die WMA kritisiert aber nicht Krieg überhaupt, sondern nur solche Kriege, die nicht nach den normalen Spielregeln ablaufen — sie mißversteht diese Kriegsspielregeln als Maßstab vernünftigen Verhaltens und als staaten- und interessenübergreifendes Recht im Interesse der Menschheit. Dieses Recht ist aber nur von einigen Staaten untereinander festgelegt und von keiner außer der siegenden Gewalt garantiert, und zwar genau solange, wie sie selbst Interesse daran hat. Eine Landkriegsordnung entspringt nicht einem Interesse der Menschheit, sondern dem Interesse, wohlgeordnet Krieg zu führen.
Die kriegerische Auseinandersetzung ist ein durchaus eingeplantes Mittel der Austragung von Interessenkonflikten zwischen bürgerlichen Staaten, und jeder Staat behauptet eine saubere Armee zu haben, mit der er gegebenenfalls einen ganz normalen Krieg macht. Ein internationales Abkommen zwischen Staaten, die Krieg in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen, dient nicht nur dazu, sich gegen spätere Anschuldigungen, der Krieg sei nicht sauber gewesen, zu versichern, sondern ist den Interessen, die einen Krieg zwischen in Konkurrenz zueinander stehenden kapitalistischen Staaten motivieren, geschuldet: Diese Interessen sind ,normalerweise? politische, territoriale, geostrategische oder andere ökonomische. Wenn nicht gewisse Bestandteile des gegnerischen wie des eigenen Staates von Kriegshandlungen verschont blieben, wäre die Absicht, das Eroberte zum eigenen, letztlich ökonomischen Gewinn zu nutzen, nicht mehr zu verwirklichen. Ein solches Kalkül motiviert Vereinbarungen wie das Haager Kriegsabkommen: Die gewaltsame Auseinandersetzung gestatten Staaten sich gegenseitig, aber eben nur in gewissem Rahmen. Bis einer der beiden Gegner aufgeben muß oder doch dazu bereit ist, ist die Vernichtung von soldatischem Menschenleben und Kriegsmaschinerie erlaubt, um den politischen Willen des je anderen zu brechen. Vernichtung ist in jedem Krieg einem Staat Mittel zum Zweck, den eigenen politischen Willen durchzusetzen, indem er den anderen zur Kapitulation bewegt.
Die WMA verharmlost Krieg, wenn sie, dies ignorierend, den Krieg der Wehrmacht 1941 bis 1944 als “Vernichtungskrieg? gegen andere, normale Kriege abgrenzt. Weil sie sich nicht um die Gründe kümmert, aus denen Staaten Kriege anzetteln, verfehlt die WMA letztendlich die Besonderheit des faschistischen Krieges. Jeder Krieg stellt den Versuch dar, die Machtmittel des gegenerischen Staates — und damit notwendigerweise Teile seiner Bevölkerung — zu vernichten. Das eigentümliche Kriegsziel der Faschisten war die Vernichtung der ,Juden? als des personifizierten Bösen. Zudem war die Versklavung der als minderwertig betrachteten ,slawischen Untermenschen? zusammen mit der Kolonisierung Osteuropas durch die ,germanische Herrenrasse? beabsichtigt. Diese Ziele gehen über den ganz normalen Wahnsinn von Kriegen zwischen kapitalistischen Staaten hinaus. Andere Kriegsziele hatte der faschistische Krieg mit den als ,normal? klassifizierten Kriegen durchaus gemein, so die Absicht, den sowjetischen Staatssozialismus als permanente Bedrohung der eigenen Herrschaft zu zerschlagen.
Die WMA benennt zwar die besonderen faschistischen Kriegsziele — doch nur, um sie ebenso wie die Taten der Wehrmacht als verbrecherisch zu betiteln. Die Besonderheit im Verstoß gegen internationales Recht zu sehen, ist zu kurzsichtig. Doch die eigentliche Besonderheit der faschistischen Kriegsziele zu erfassen erforderte, über Kriegsziele überhaupt nachzudenken, was auf eine Staatskritik hinausliefe. Und es erforderte, die Kriegsziele des faschistischen Staates als dessen Bestandteil zu begreifen — das hieße Faschismusanalyse. Beides wollen die Aussteller vom Hamburger Institut für Sozialforschung nicht leisten. Stattdessen zeigt die WMA Bilder des Schreckens. Bilder können Betroffenheit auslösen und eine Auseinandersetzung mit Faschismus anregen, aber Analyse und Kritik des Faschismus nicht ersetzen, denn was Faschismus ist, ist nicht zu sehen, sondern nur zu begreifen. Und nicht nur, daß die WMA lediglich betroffen macht, ist zu kritisieren: Zudem verharmlost sie den ,normalen? Krieg, indem sie den faschistischen nur gemessen an den internationalen Spielregeln für Kriege verurteilt. Und sie verharmlost den faschistischen Krieg, indem sie ihn lediglich als regelwidrig und besonders grausam darstellt. Die WMA benennt zwar die besonderen Kriegsziele der Faschisten, aber regt keine weitere Kritik des Faschismus an.
Eine Analyse des Faschismus, die kein einzelnes Flugblatt leisten kann, sowie eine Analyse des nachfolgenden Staates fehlen im Ausstellungskonzept. Eine Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, die darauf verzichtet, muß in bornierter Betroffenheit befangen bleiben. Entsprechend dient die WMA tatsächlich der?Bewältigung? der Vergangenheit: Indem Geschichte wie Gegenwart des deutschen Staates unbegriffen bleiben, wird gerade nicht erreicht, daß so etwas nicht sich wiederhole.