31.12.1997 PDF

Stoffkundebroschüre - Purindrogen

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KAFFEE, SELBSTVERSTÄNDLICH!
Wer heute, egal wo auf der Welt, über koffeinhaltige Getränke schreibt, trägt damit Eulen nach Athen. Sie sind zu Alltagsgenussmitteln ersten Ranges geworden: So wird in Deutschland heute mehr Kaffee als selbst Bier verbraucht, und in den allermeisten Haushalten finden wir eine Kaffeemaschine vor. Dass durch Kaffee- und Teegenuss eine Wirkung zu erzielen ist, die sich von der aller anderen Getränke spezifisch unterscheidet, gehört zum Alltagswissen bereits kleiner Kinder. Auch diese sind ins Ritual der Substanzen einbezogen: durch den Ausschluss von deren Verzehr. Nicht unähnlich dem ersten Nippen am Alkohol (ob nun durch die Erziehenden positiv oder negativ sanktioniert), scheint auch der erste Schluck vom Sud des an den Geruchssinn rührenden, sorgfältig verpackten dunklen Pulvers oder Laubes zu bestätigen, dass dies zurecht in eine fremde Welt, die der Erwachsenen, gehöre. Oft lässt erst das Ritual des Trinkens, vor allem die Kombinationen mit Milch, Zucker und Gebäck, die Aufnahme des Stoffes schätzen lernen. Durch diese Arrangements kommt es zur traulichen Unmittelbarkeit dieser Pflanzenprodukte, die deshalb bemerkenswert ist, weil sie hierzulande nur als Weiterzuverarbeitendes kennen gelernt werden. Mit ihr gemeinschaftlich tritt die Erfahrung dessen auf, was als Wirkung identifiziert werden kann. Sie erst macht es so lohnenswert, sich an einen Geschmack zu gewöhnen, der - zumal wenn es der des Getränks ohne alle weitere Zutaten ist - offenbar dieser Gewöhnung bedarf.
Kaffee und Tee halten so wach, dass es den Gebrauchern geradezu eine Euphorie ist; gleichzeitig jedoch wirken sie nicht halluzinogen und sind, wie man inzwischen weiß, für den halbwegs Gesunden frei von Nebenwirkungen. Schließlich handelt es sich noch um ein außerordentlich sicheres Genussmittel: Die als angenehm empfundene Wirkstoffdosis beträgt nicht einmal ein Hunderstel der letalen. Die Gebrauchspraxen, die heute überall verankert sind, lassen riskante Fehldosierungen oder ähnliche Probleme kaum noch zu. Denkmal der Domestizierung koffeinhaltiger Drogen zum Genussmittel der Normalen, Anständigen und Bürger schlechthin ist es, selbst das unvermeidlich andere der Wirkung des Kaffees, deren Träger nämlich, als eigenes zu identifizieren, zu verkaufen, zu gebrauchen: den entkoffeinierten Kaffee.


WOHER KOFFEIN KOMMT UND WOHER KAFFEE
Die Resultate naturwissenschaftlicher Identifikation sind schon vorausgesetzt, wenn von Kaffee und Tee überhaupt in einem Atemzug geredet wird: dem hohen tropischen Klappgewächs, dessen dunkelrote Früchte mit ihren Kernen den Ausgangsstoff des Vermahlens und Röstens hergeben; und den niedrigen blättrigen Kameliensträuchern verschiedenster Klimate, deren Laub gleich benutzt oder, ähnlich wie Tabak, zunächst fermentiert wird. Über ihren gemeinsamen Nenner gibt die Pharmakologie Auskunft: Es ist ihr Hauptwirkstoff; das Alkaloid Koffein (1,3,7- Trimethylxantin).(1) Die Pharmakologie ist in keinem bestimmten Klimat zuhause, sondern überall dort, wo es ein Interesse daran gibt, den Produzenten von Kaffee und Tee ihr Erzeugnis abzukaufen oder sie zum Anbau derselben zu nötigen (was historisch über weite Strecken nur schwer auseinander zuhalten ist). Sie identifiziert Kaffee und Tee als das natürliche Vorkommen dieses Stoffs Koffein; aber noch bevor das auf den Begriff gebracht werden konnte, wusste das Bürgertum der sich entfaltenden imperialen Welt seit dem siebzehnten Jahrhundert, was es an diesen Produkten hatte (s.u.). Als koffeinhaltig klassifizierbar ist übrigens eine ganze Reihe von Pflanzenarten, neben Tee und Kaffee etwa Yoco, Yaupon, Mate, Guarana, Kolanuss und Kakao. Zu wissen, wie die Wirkung all dieser Pflanzen funktioniert, bedeutet, auf das zufällige Vorkommen ihrer Exemplare nicht mehr angewiesen zu sein: Koffein kann man längst synthetisieren.


KAFFEEPOLIZEI UND KAFFEEPOLITIK
Wenn es eine klassische Drogengeschichte gibt, so ist es die der so unscheinbar gewordenen 'vorindustriellen' Purindrogen. Mit rassistischen Stereotypen besetzt und Symbol bürgerlicher Weltläufigkeit, pseudo- wissenschaftlich verdammt und stilisiert als Allheilmittel, staatlich verboten und Kleinbürgerstolz. Allein in Preußen war der Kaffee im Laufe von zwei Jahrhunderten all dies. Kristallisationspunkt einer Öffentlichkeit neuen Typs, der bürgerlichen, die darin bestand, sich in Lokalen zu treffen, um nach leicht erlernbaren, aber umso strikter eingehaltenen Regeln (Unterhaltung mit gedämpfter Stimme etc.) unter anderem das ebendort gekaufte Getränk zu konsumieren, wurde der Kaffee in Preußen allerdings kaum. Diese Ausnahme von vielen anderen europäischen Gegenden liegt begründet in einem zeitweilig recht strikt gehandhabten Kaffeeverbot im 18. Jahrhundert, mit dem einer negativen Außenhandelsbilanz entgegengewirkt werden sollte. Kombiniert wurde das Verbot (zu dessen Durchsetzung tatsächlich sogenannte 'Kaffeeschnüffler' durch die Gassen zogen) mit einer Propaganda, die auf vermeintliche Gesundheitsschädigungen durch Kaffee sowie die Fremdartigkeit des noch relativ neuen Produkts setzte. Aber es nutzte alles nichts: Die Macht der Gewohnheit erwies sich als so stark, dass die Verbotsdurchsetzung bald als unrealistisch erachtet wurde.


BLITZKRIEG, KINDERGARTEN, BOHNENKAFFEE
Nicht zufällig gehört 'Bohnenkaffee' zu jenen Worten, die die ganze Welt auf deutsch spricht: Es ist schlicht ein Pleonasmus, und als solcher überflüssig. Der Ausdruck entstand im Zusammenhang mit allgemeiner Armut und Kriegsökonomie, angesichts derer für viele der Kaffee über lange Zeiträume ein kaum erreichbares Luxusimportprodukt blieb. Sobald er aber einmal irgendwelchen Deutschen zur Verfügung stand, übten diese sich in einem merkwürdigen Dünkel gegenüber denjenigen, die auf billigen Kaffeeersatz aus Zichorien u.ä., 'Muckefuck' genannt, angewiesen waren. Zum Beweis dafür, dass man sich den Echten leisten konnte, wurde der Kaffee oft so dünn aufgegossen, dass man das Blümchenmuster auf dem Tassenboden sah, denn der Zichorienkaffee war dafür zu trüb: Blümchenkaffee. Seitdem trinken Deutsche ihren Kaffee zu dünn, zum Beweis, dass sie ihn immerhin der Möglichkeit nach genießen könnten, da sie ihn ja besitzen.


ZUM KAFFEE AUSGEHEN UND ZUM KAFFEE DAHEIMBLEIBEN
Ganz anders der Kaffeegebrauch zum Beispiel in Italien. Hier führten Espresso-Bars zur Öffnung des Kaffeekonsums für die proletarische Öffentlichkeit: Nicht ganz unvergleichbar dem Schnaps, den man schnell, nach Feierabend, an der Bar stehend kippen kann, da eine wünschenswerte Wirkstoffdosis in einer verhältnismäßig geringen Menge Flüssigkeit enthalten ist. Anders als der Schnaps kann der Espresso aber eben auch in der Arbeitspause genossen werden; eine Konsumform, mit der in Deutschland erst sehr spät, innerhalb der letzten zwanzig Jahre, begonnen wurde. Und der Kaffeeautomat im Betrieb, durch den sie sich hierzulande durchsetzen konnte, ist immer noch etwas anderes als das Thekenlokal mit Espressomaschine; diese ist eher äquivalent zum Zapfhahn, man prostet sich zu, sieht nicht unbedingt nur Kollegen aus dem eigenen Betrieb etc.
Nicht zuletzt in der Verbotsgeschichte dürfte begründet sein, dass sich in Deutschland der Kaffee eher als eine Art Genussmittel des engeren Privatbereiches, konsumiert jeweils beim Kaffeekränzchen, als Frühstückskaffee o.ä. durchsetzte.


SAFER USE
Angesichts des bisher Ausgeführten setzen wir uns unweigerlich dem Verdacht aus, nur Tautologien auszusprechen, Sprachspiele zu treiben, wenn wir uns nun zum sicheren Gebrauch des Kaffees äußern. Aber warum nicht dem mangelhaften Gebrauch dieses Genussmittels in dem Sprachraum, in dem unsere Broschüre verstanden werden kann, durch Reflexion auf die Sprünge helfen?
Dass man von dünn aufgegossenem Kaffee trinken kann, ohne mehr als eine bestenfalls eingebildete Wirkung zu verspüren (die physiologisch nachweisbare setzt bereits wenige Minuten nach dem Verzehr ein), mag einen dazu verführen, sich an ihm zu erwärmen, ähnlich wie man es bei kaltem Wetter vor allem mit Glühwein zu tun pflegt. Während bei diesem die berauschende Wirkung durch das Trinken entsprechend großer Mengen schlicht gewollt sein kann und auch sonst ein Alkoholrausch nicht unbedingt stören muss, kann bei jenem die Bekanntschaft mit einer ungewohnt hohen Dosis schon mal unangenehm überraschen. Pauschal lässt sich zur Vermeidung dessen (wer mag, soll' s natürlich ausprobieren - noch bevor die Wirkung in relevante Körperschäden umschlägt ist man ohnehin nicht mehr dazu in der Lage, sich weiteren Kaffee zuzuführen...) nur anraten, Kaffee wie in Italien, oder besser noch in Italien zu trinken. Nicht nur deshalb, weil sich dort die Erfahrung mit dem mäßig-miefigen deutschen Kaffeegebrauch um die eines hedonistischen erweitern lässt, sondern auch, weil es sich schlicht um ein Klima handelt, in dem man nur selten glauben wird, sich am Espresso erwärmen zu müssen. Wie eigentlich jede brauchbare Droge von jedem vernünftigen Gebraucher wird dort das Kaffeeprodukt aus nur einem Grund zu sich genommen: Wegen der Bekanntschaft mit seiner angenehmen Wirkung.


KEIN TEE LÄSST DEM SCHLAF EINE CHANCE
Meist wird nur chinesischer Tee grün getrunken (in Japan werden übrigens nach wie vor ausschließlich grün belassene Tees produziert); für die im Rest der Welt eher verbreiteten fermentierten Tees, ob sie nun aus Darjeeling, Ceylon oder Assam kommen, stellt sich immer wieder die Frage: Wie lange soll er ziehen? Bringt man die Teeblätter um die Gelegenheit, etwas ganz besonderes loszuwerden, wenn man sie zu früh herausnimmt, oder sich selbst um einen Genuss, wenn man sie zu lange drinnen lässt? Die Frage lässt sich einfacher beantworten, als die meisten glauben: Das Teehandelskapital lässt seit Jahrzehnten die Mär verbreiten, die Wirkung des Tees, den man länger hat ziehen lassen, schlage ins Beruhigende um. Das ist nicht der Fall. Lässt man den Tee länger als zwei bis vier Minuten ziehen, haben sich die anregenden Stoffe praktisch vollständig aus den Blättern gelöst; danach verändert er Farbe, Geruch und Geschmack nur noch durch die weiterhin sich lösenden Gerbstoffe. Aber weder im Kaffee noch im Tee hat die Wirkung irgend etwas mit dem Geschmack des Getränks zu tun. Die - im Kaffee grundsätzlich in größerer Menge enthaltenen - Gerbstoffe schmecken bitter, reizen empfindliche Mägen, aber das zentrale Nervensystem zeigt ihnen die kalte Schulter. Und auch sonst ist nichts im Tee, was seine anregende Wirkung aufzuheben vermöchte, geschweige denn beruhigend wirkt.


COLA, GESUND FOR DICH UND FOR MICH...
Wir werden auch in Hinsicht auf den folgenden Gegenstand, mit dem wir historisch wie textlich zum Schluss des Themas kommen, zunächst eine falsche Vorstellungen über Purindrogen kritisieren müssen. Um es unseren Lesern kurz zu machen und uns die Mühe zu ersparen, irgend ein wirres Zeug so zu paraphrasieren, dass es dazu hinreicht, einen würdigen Gegenstand der Kritik abzugeben, fassen wir hier lediglich kurz die Wahrheit über Cola zusammen, wohlbemerkt kaum übertriebener, als es ihre von allen guten Geistern verlassenen Kritiker zu tun pflegen: Coca-Cola ist gesund. Im Grunde wurde es schon von den Schamanen der Urvölker reichlich genossen.
Wem übrigens noch nicht klar war, dass es sich auch bei der Coca- Cola Company nur um ein kapitalistisches Unternehmen handelt, dem dürfte bei der Einführung von light, coffeinfree u.ä. Cola der Groschen gefallen sein. Jeder Unsinn, der sich irgendwie auf die eigene Ware bezieht, muss unbedingt reproduziert werden, und koste es selbst die einzigen Gründe, warum man sie gebrauchen wollen könnte.


COLA IST FOR ALLE DA!
Nun aber endlich zur Sache. Coca-Cola ist zunächst einmal die (erste, am weitesten verbreitete, mit Abstand bekannteste etc.) industriell produzierte Purindroge; ihrer vorab einheitlichen Zusammensetzung verdankt sich ihre ebenso einheitliche Wirksamkeit. Cola muss zum Gebrauch nicht noch erhitzt werden und verheißt seinen KonsumentInnen auch in anderer Hinsicht, kulturelles Reglement abschütteln zu dürfen. Cola trinken kann, wer eine Münze in den Automatenschlitz werfen kann, und niemand außer dem Automaten muss ihm beim Verzehr vor die Augen treten; das Etikett auf dem Flaschenhals behauptet uns gar, wir hätten nur den Inhalt der Flasche käuflich erworben; das Gefäß selbst bleibe, unbeschadet seines Gebrauchs, "Eigentum der Coca-Cola GmbH". Damit sind Möglichkeitsbedingung und Anweisung gegeben, sich des Mittels in trivialster Weise zu bedienen: Es in unmittelbarer Reichweite des Kaufortes, ohne Zuhilfenahme weiterer Gefäße oder Geräte, zu verzehren. Kaffeegeschirr musste an die Orte des kapitalistischen Alltags geholt werden; die Kaffeemaschinen waren ein Zugeständnis des Kaffeerituals an die Bedingungen dieser Orte; mit Cola jedoch wurde erstmals nicht einem Genussmittel zur Verbreitung verholfen, sondern ein Genussmittel zur Verbreitung geschaffen.


Verwendete Literatur:
Scheerer/Vogt. Drogen und Drogenpolitik. Frankfurt am Main I New York 1989
Schivelbusch. Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Frankfurt am Main 1990.





1 Die Bezeichnung des selben Wirkstoffs in Tee als "Teein" ist ein Reklamegag für diejenigen, denen der Teetrunk schon immer suspekt war. Es gibt kein "Teein".