31.12.1997 PDF

Stoffkundebroschüre - Amphetamin und Weckamine

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PRODUKT
Amphetamin und Amphetaminderivate, auch Weckamine genannt, sind 'ne recht neue Sache und bis auf Ephedrin und Khat, die man ebenso der Gruppe der Stimulantien zurechnet, ziemlich synthetisch unterwegs, was nicht gegen sie spricht. Sie sind das schillernde Abbild gesellschaftlicher Leistungs- und Schlankheitsideale, und auch der Nutzen, dank ihrer über mehr Stunden freier Zeit zu verfügen, bleibt der Unrast unterworfen und kam nie im Mantel hedonistischer Muße daher. Doch auch dies ist kaum als prinzipieller Einwand gegen die Legitimität ihrer Verwendung im falschen Bestehenden ins Feld anführbar.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert hergestellt und unter den Markennamen Benzedrin und Pervitin an den/die KundIn gebracht, fristeten sie jedoch bis zur Stigmatisierung von Kokain ein Schattendasein. Als die Kampagnen gegen dieses sich verbreiteten, wechselten im Zeichen von abflauendem Wohlstand und Toleranz nicht wenige der um Unauffälligkeit und Anpassung bemühten KonsumentInnen Ende der Zwanziger Jahre zur neuen Leistungsdroge über. Der Durchbruch auf dem legalen Pharmamarkt, dem die mittlerweile erfolgte Unterstellung unter das Opiumgesetz geradezu selbstverständlich keinen Abbruch tat, fand erst im Zweiten Weltkrieg statt. Damals bedienten sich offiziell Briten wie Nationalsozialisten systematisch des Stoffes zur Kampfvorbereitung. Die Erfolge dieser Medikationen - die Truppenärzte waren in der Tat zuständig - überzeugten in der Folgezeit auch die Amerikaner: im Korea-Krieg waren Speedballs (Mix mit Heroin) zur Anregung des Kampfeswillens üblich. Besondere Furore machte Methamphetamin in Japan, wodurch seinen faschistischen Waffenbruder kameradschaftlich überversorgt - nach der Kapitulation die anscheinend beachtlichen Restbestände dieser Mittel in der wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Umbruchs- und Krisensituation reißenden Absatz fanden und vorwiegend intravenös appliziert wurden. Doch auch hier schwand der massenhafte Zuspruch im Zeichen regierungsamtlicher Stigmatisierungskampagnen Mitte der 50er Jahre.
In der Folgezeit Amphetamine als Drogen der illegalen Szene zu besprechen, wäre irreführend. Grund dafür ist weniger die immer noch bestehende Möglichkeit der ärztlichen Verschreibung dieser Stoffe in Form von Zubereitungen in geringen Dosen auf Betäubungsmittelrezepte, als mehr die zahlreichen in der Folgezeit entwickelten und lange Zeit nicht der Rezeptpflicht unterstehenden Medikamente gleicher Ordnung, die zum Teil sogar durch Stoffwechselreaktionen in die aus dem legalen Markt genommenen Produkte zerfielen. So zerfällt z.B. das mittlerweile rezeptpflichtige AN 1 (Wirkstoff: Amfetaminil) in Blausäure, Benzaldehyd und Amphetamin. Die verbotenen Originalsubstanzen kursierten im illegalen Markt unter dem Sammelnamen "Speed" in verschiedenen Subkulturen (in erster Linie Mods, Biker, Waver und Technofreaks) und sind hier heutzutage mit einem Reinheitsgrad von unter zehn Prozent relativ preisgünstig erwerbbar (das Straßengramm zu 5-40 EURO, Stand 1998). Streckmittel sind üblicherweise Vitamin C, Koffein und Paracetamol.


GEBRAUCH
Amphetaminähnliche Substanzen steigern in der Regel körperliche Leistungsfähigkeit wesentlich gradliniger und langanhaltender als Kokain. Diese Eigenschaft wussten in der Vergangenheit vornehmlich Leistungssportler zu würdigen (Dopingkontrollen!), was neben Spitzenleistungen nicht wenigen von ihnen Kollaps und einigen gar den "sudden death" per Herzklabaster bescherte und heute manch ein TänzerIn zu ausgedehnten und schweißgebadeten Erholungsphasen bewegt. Eine mitunter riskante Verwendungsweise also, da Leistungsgrenzen vermeintlich nach oben verschoben, manchmal jedoch real überschritten werden. Als gute Mittel zur Müdigkeitsbekämpfung werden sie von FernfahrerInnen und nächtelang für Prüfungen büffelnden Schüler- und StudentInnen geschätzt. Die Steigerung der Aufmerksamkeit und geistigen Ausdauer wird von einigen ebenso geschätzt. Nicht nur John F. Kennedy baute auf Amphetamine bei Verhandlungen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass solcherlei Doping eingeschliffenem Management und der Wiedergabe in- und auswendiggelernten Wissens wahrscheinlich dienlicher ist als mußebedürftiger Reflexion.
Weiter sind eine Reduktion des Drangs nach Nahrungsaufnahme und ein Anstieg allgemeinen Wohlbefindens wie der Selbstsicherheit häufig beschrieben. Als Schlankheitsmittel ist zum Beispiel Norephedrin (Boxogetten S, Recatol N) noch immer ohne Rezept auf dem deutschen Pharmamarkt greifbar. Gerne wird "Speed" auch auf Partys als Grundlage für ausdauernderen und exzessiveren Alkoholkonsum verwendet, was den Organismus (Leber, Nieren) und den Kreislauf recht stark strapaziert und in bezug auf den alkoholischen Nüchternheitsgrad zu fatalen Fehleinschätzungen führen kann.
Die üblichen Applikationsarten sind mit oraler (meist Pillen), intra-nasaler und intravenöser Spielweise recht vielfältig. Die Wirkung ist beim Schlucken am sanftesten und langanhaltendsten und wird übers Sniffen bis zum Junken immer flashiger. Die wirksame Dosis liegt für ProbiererInnen im zweistelligen Milligrammbereich und steht in Abhängigkeit zur Applikationsart (oral am meisten, i.v. am wenigsten notwendig). Beim Sniffen werden die Nasenschleimhäute ausgetrocknet, was sich durch rückfettende Mittelchen aus der Apotheke jedoch in der Regel im Zaum halten lässt, bevor unangenehmere Erscheinungen (z.B. Nasenbluten) einsetzen. Der erhöhte Calciumbedarf sollte zur Vermeidung von Mangelerscheinungen durch Bananen und Tabletten gedeckt werden. Beim intravenösen Konsum ist die Gefahr einer Überdosierung, die sich durch Herzfrequenzsteigerung, kalten Schweiß und Muskelkrämpfe ankündigt, am höchsten. Auch wenn rein amphetaminbedingte Todesfälle selten sind und meist nur in Zusammenhang mit extremer körperlicher Betätigung auftreten, kann die Überdosis zu Erregungen und Krämpfen führen, die, wie so oft, am effektivsten mit Valium zu bekämpfen sind. Herzkranke sollten mit Speed aufpassen; die letale Dosis liegt bei 10 bis 20 mg pro kg Körpergewicht, zumindest für Ungewöhnte. Weiter sind die im Heroinkapitel beschriebenen Safer Use Tipps zum intravenösen Drogengebrauch beachtenswert.
Bei regelmäßigem Konsum bleibt eine erhebliche Toleranzentwicklung nicht aus (von täglichen Dosen von 10g+ wird aus dem Japan der frühen 50er Jahre berichtet). Eine direkte Einbindung in Stoffwechselprozesse ("körperliche Abhängigkeit") findet nicht statt. Unerwünschte Wirkungen wie psychotische Reaktionen und Depressivität, deren Ursprünge nicht in der Substanz, sondern in der persönlichen Disposition zu finden sind, werden jedoch bei Intensivierung des Konsummusters eher mal virulent. Als problematische Reaktion ist weiter Lungenhochdruck möglich, wenngleich nicht wahrscheinlich. Wer Amphetamin nutzt, um tagelang nicht zu schlafen, sollte sich über die typischen Schlafentzugssymptome wie Verfolgungswahn und Angstzustände nicht wundern. Kann für Außenstehende aber ziemlich unangenehm kommen.


MYTHENPRÄVENTION
Khat ist nicht - wie gelegentlich im Schutze seiner Unbekanntheit behauptet - neue illustre Teufelsdroge, sondern einfaches Stimulantium mit einer Wirkung und Struktur, die es in die Nähe der Amphetamine rückt. Der Konsum ist allerdings bisher in Mitteleuropa nie besonders verbreitet gewesen.
Geschichten über durch Amphetamine begünstigtes wochenlanges Wachen erscheinen unwahrscheinlich. Die Droge zur Abschaffung des Schlafes bleibt unerfunden. Der dauerhafte Gebrauch von Speed oder gar ein Speed-zentrierter Lebensstil ist eher unüblich, da Amphetamine meist wie Coffein zu bestimmten Zwecken und zur Unterstützung anderer - drogenvermittelter wie sonstiger - Aktivitäten verwendet werden und so die mögliche Überflüssigkeit des Gebrauchs bei getanen Diensten im Blickfeld bleibt.
Speed macht Leute nicht zu instrumentalistischen Potentaten, doch kann es von Menschen mit einem Hang zu selbstzufriedenen und imperatorischen Anwandlungen langfristig stabilisierend und zur stärkeren Ausprägung eingebunden werden. Angstzustände und Minderwertigkeitsgefühle sind nicht reibungslos per Sniff beseitigbar. Gerade bei diesen Funktionalisierungen sind die obig aufgelisteten problematischen Psychoeffekte wahrscheinlicher. Wer zuviel Hoffnung in die Pharmakologie setzt, kann leicht enttäuscht werden, was den Abschied vom problematischen Selbstkonzept betrifft - womit nicht gesagt sein soll, dass ein Ausflug von diesem nie drin wäre.
Die Beobachtung, dass der Gruppe der Stimulantien zugehörige Stoffe nicht nur, aber besonders bei sogenannten "hyperaktiven" Kindern paradox, also "beruhigend" (weil focussierend) wirken, sollte Eltern nicht zum Einholen des ärztlichen Titels auf Medikalisierung anspornen. Die Erfindung des sogenannten hyperkinetischen Syndroms, also wenn Erwachsene meinen, dass sich ein Kind in der falschen Situation unruhig verhalte (Paradebeispiel: grundschulischer Drill), ermöglicht vielmehr, perfide gesellschaftliche Verfügungsgewalt mit ärztlichem Segen zu vergolden. Hier sind Ritalin und Captagon die Markennamen der beliebtesten Mittel. Die Problematik dieser Verwendung illustriert das kritische Studium des Zappelphilipps aus dem Struwwelpeter wohl am besten.