Naiv könnte man erstmal sagen: Ja. Die AfD kennt nicht nur Gruppen, denen sie gegenüber skeptisch eingestellt ist, sondern sie hat Feinde. Dazu gehören mindestens Flüchtlinge und Menschen mit muslimischem Glauben, die in Deutschland leben.
Nicht ganz so naiv sollte man sich fragen, woher das Etikett „gruppenbezogene Menschlichkeit“ eigentlich kommt, das mittlerweile von #unteilbar, von den Grünen, der SPD bis hin zu Merkel verwendet wird – und was es bringt.
Geprägt hat diese Bezeichnung der Soziologe Heitmeyer, der bekannt geworden ist durch Langzeit-Studien, die unter dem Titel „Deutsche Zustände“ veröffentlicht wurden. Er hatte den Eindruck, dass Abwertungen von bestimmten Gruppen, die bei Rechtsradikalen eine zentrale Rolle spielen, bis in die Mitte der Gesellschaft hinein weit verbreitet sind. Diesem Eindruck hat er dann nach allen Regeln der empirischen Sozialforschung ein Fundament gegeben. Was jede halbwegs aufmerksame Zeitgenoss*in immer schon mitkriegen konnte, steht nun wissenschaftlich fest: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Antiislamismus, Antiziganismus, Sexismus, Abwertung von Hartz IV-Bezieher*innen als Sozialschmarotzer usw. sind in der Bevölkerung verbreitet – bei Leuten, die in der Regel CDU bis Linkspartei wählen.
Diese Formen der Abwertung sind also in der Demokratie zu Hause und gar kein spezifisch rechtsradikales Eigentum. Daher müsste man eigentlich fragen, wie Leute massenhaft auf diese Ideen kommen, ohne dass rechtsradikale Parteien dafür eine entscheidende Rolle spielen. Diejenigen, denen die die Bezeichnung „gruppenbezogene Menschlichkeit“ dagegen als eine sinnvolle Bezeichnung von rechten bzw. rechtsradikalen Gedanken vorkommt, interessiert dagegen vor allem das antidemokratische Potential dieser Gedanken.
Das ist auch bei Heitmeyer so. Bei ihm ist die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ eigentlich gar nicht als Prädikat für die AfD selbst gemeint gewesen. Die zusammengefassten abwertenden Urteile versteht er als „Einstellungspotenzial“ in der Bevölkerung, als die Möglichkeit dafür, dass weniger Wähler*innen ihr Kreuz bei den herkömmlichen Parteien machen, stattdessen bei bei AfD, NPD, DVU oder ähnlichen Parteien.1
„Menschenfeindlichkeit“ heißt dieser Sammelbegriff, weil Heitmeyer und alle anderen meinen, dass die Abwertungen zu dem Grundgesetzartikel 1 – „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – im Widerspruch stünden. Wer Gruppen abwertet, der hätte nicht einfach bestimmte (falsche) politische Vorstellungen, warum er sie nicht mag, sondern der spreche Menschen die Würde ab. Deshalb seien sie dann „Menschenfeinde“.
Abwertungen und Diskriminierungen sind verbreitet wie Sand am Meer. Sie werden als Potential für Rechtsradikale besprochen. Und an den Rechtsradikalen interessiert besonders, dass sie sich gegen das Grundgesetz richten. Mit dieser methodischen Verwandlung von existierenden Denkweisen in die Möglichkeit von etwas Anderen ist der Weg vorbereitet, die Denkweisen in der Bevölkerung selbst nicht erklären und kritisieren zu wollen, sondern sie als Gefahr für die Demokratie ausgrenzen zu wollen.
Es ist gewiss so, dass die Skepsis gegenüber „Fremden“ weit verbreitet ist und die rechtsradikalen Parteien dieser Skepsis nur eine gewisse Wendung geben müssen, um die Leute auf sich zu ziehen. Aber die skeptische Haltung lernen die Menschen im demokratischen Alltag. Die Abwertungen von Flüchtlingen, Sozialhilfebezieher*innen, Obdachlosen usw. gehören zur Demokratie dazu und sind nicht erst dann kritikabel, wenn daraus eine rechtsradikale Mobilisierung erwächst. Der Blick auf diese Abwertungen als Potential für was Anderes (den von links bis hin zur CDU alle teilen) verstellt den Blick auf die nüchterne Analyse, was der Kern des rechtsradikalen Standpunktes ist und welche Rolle dabei Vorstellungen spielen, die so normal sind, dass sie auch ganz ohne rechtsradikale Parteien zur Normalität des demokratischen Alltags gehören.2
Um auf die Frage zurückzukommen: Sind AfDler gruppenbezogen menschenfeindlich? Nein. Die Feindschaft der AfD gegen bestimmte Gruppen ist mit dem Begriff „Menschenverachtung“ ganz schlecht getroffen. Dieser kündigt eine entpolitisierte, formalistische Kritik an der AfD an. Er greift die AfD nicht dort an, wo ihre Gründe für die Ablehnung bestimmter Gruppen (Feministi*nnen, Homosexuelle, ‚Fremde‘) liegen, sondern auf einer völlig abstrakten Ebene: sie würden einfach Menschen verachten.
Gleiches gilt für die Bevölkerung, die noch nicht die AfD wählt. Die verbreitete Ablehnung oder Skepsis gegenüber bestimmten Gruppen ist bei ihr ein politisierter Reim auf die demokratischen Zustände. Das muss erklärt und kritisiert werden.
Dieser Text ist der dritte in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.
1Für eine ausführlichere Kritik an Heitmeyer siehe: „‚Rechte Bedrohungsallianzenʻ von Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer. Berlin 2020. Eine Buchrezension“;
2Der Kern des rechtsradikalen Denkens ist hier ausgearbeitet: „Von Schland nach Gauland - Das Krisenprogramm der AfD und seine demokratische Grundlage".