18.12.2002 PDF

Schule - was soll das?

Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein überarbeitetes Seminarreferat des Seminars "Schule und Bildung"

Die bürgerliche Schule wird i. d. R. als gegeben, normal und selbstverständlich hingenommen, ja sogar in höchsten Tönen gelobt. Dieses Seminar soll klären, dass die staatliche Schule der bürgerlichen Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist. Es soll Zweck und Inhalt des Staates erläutert werden, für den dieses Schulsystem eingerichtet ist. Auf dieser Grundlage lässt sich klären warum und wie dieses eingerichtet wird.(1)

Die Konsequenz ist, dass die Schule (2) nicht zu Gunsten der Menschen ausfällt. Dies gilt auch wenn man darin interessante, wichtige Erkenntnisse vorgesetzt bekommt und Schüler vereinzelt ihren Spaß haben können. Damit verfällt dieses Schulsystem unserer Ansicht der Kritik.




Diese hilft einem nicht unmittelbar für das Verhalten innerhalb dieser Institution, d. h. ich weiß deswegen nicht wie ich durch die Prüfungen komme oder was ich als Schülervertretung für Rechte und Mittel habe. Umgekehrt, wenn man weiß wie man durch die Schule kommt, weiß man noch nicht warum sie ist wie sie ist. Die Reflexion auf das grundsätzliche Verhältnis und der eigenen Stellung zu diesem ist daher notwendig und verhindert, sich falsche Vorstellungen über dieses zu machen.

Daher sollen im folgenden Text anhand von existierenden Vorstellungen zur Schule, die von Privatsubjekten, Pädagogen und Politikern geäußert werden, Widersprüche und Probleme aufgezeigt werden. Es sind Vorstellungen für was die Schule alles gut sein könne und was man daher tun müsse.


1.

Die staatliche Allgemeinbildung mit kostenlosem Zugang für alle, ohne Ansehen von Herkunft und Geschlecht, als sogenanntes Recht auf Bildung, wird als Errungenschaft abgefeiert. Was bedeutet aber die staatliche Einrichtung faktisch? Dazu einige Rahmenbedingungen des Schulsystems, die Fragen aufwerfen.

Der Artikel 7,1 des Grundgesetzes lautet: "Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates." Das ist eindeutig und unmissverständlich. Der politische Souverän behält sich, wie in anderen Dingen auch, die Kontrolle vor. Was dies im Einzelnen bedeutet wird im Folgenden erläutert. Der Staat (seine Funktionsträger) bestimmt nämlich:


- wer unterrichtet -> wozu er Lehrer ausbildet, prüft und schließlich in das besondere Treueverhältnis der Beamtenschaft einbindet, das Lehrer auf den Staat verpflichtet
was, wann und wie lange unterrichtet wird -> Lehrpläne

- das alles letztlich auf Leistungsbewertung hinausläuft und in Zeugnissen seinen Niederschlag findet, an denen kein Weg vorbei geht, denn viele gesellschaftlichen Instanzen fragen nach ihnen

- eine Schulaufsicht -> Bezirksregierung als obere Kontrollinstanz

- welche Schule offiziell überhaupt ausbilden darf -> Grundgesetz Artikel 7, 4
- Privatsache sind Privatschulen, von denen es verhältnismäßig wenige gibt, daher nicht

- schließlich behält er sich auch in Ausbildungsbereichen ein großes Mitspracherecht vor, in denen nach privatunternehmerischer Anwendbarkeit gelernt wird -> Berufsschulen


Die Kontrolle geht zwar in der BRD besonders weit, so gibt es in einigen Staaten keine verbeamteten Lehrer, mehr Privatschulen, etc. Doch deswegen ist dies nicht etwas völlig anderes, sondern nur eine andere Ausgestaltung. Dementsprechend keine Abkehr vom, sondern nur Varianten des staatlichen Monopols in Bildungsdingen.
Nun ist der Schulbesuch nicht nur ein segensreiches Angebot des Staates an die Eltern, sondern es besteht eine Schulpflicht. Es wird daher die Ausbildung nicht als Privatsache der Eltern geduldet. Er überlässt ihnen also nur bis zu einem bestimmten Punkt die im GG Art. 6, 2 zugestandene Erziehung, die er umgekehrt aber auch als Pflicht erklärt. Es werden dabei keine Ausnahmen zugelassen. Die Konsequenz daraus: Jedes Mitglied dieser Gesellschaft muss 9-10 Jahre Vollzeitschule und 2-3 Jahre Teilzeitschule über sich ergehen lassen. Das bedeutet, dass man ~ 1/6 der Zeit seines Lebens den Kopf unter Kontrolle des Staates betätigt.

Die Verfügungsgewalt des Staates über die eigene Lebenszeit muss akzeptiert werden. Dies findet im Berufsleben seine Fortsetzung, wo der Arbeitgeber vertraglich über die Lebenszeit der Menschen verfügt.

Exkurs: Darin ist das Verhältnis von Staat und Bürger enthalten. Der Staat schafft nämlich sein Staatsvolk. Wer auf dem Staatsgebiet geboren wird, bekommt entsprechend dem jeweiligen Rechtsvorschriften den Titel des Staatsbürgers verpasst. Damit fällt dieser Bürger in seine Zuständigkeit und dieser hat sich als dienstbarer Geist von der Wiege bis zur Bahre zu bewähren. Selbst wenn es von Seiten der Unternehmen oder des Staates kein Interesse an Verwendung gibt (Arbeitslosigkeit), gilt das Dienstverhältnis weiterhin. Er muss sich weiter parat halten und seine Arbeitskraft möglichst durch Weiterbildung auf dem neusten Stand halten oder durch Weiterbildung seine Anwendbarkeit erweitern.
Der letzte Dienst, den jeder Bürger als allgemeine Bürgertugend zu erfüllen hat, ist schließlich der, nicht aufzufallen, niemandem in die Quere zu kommen, voller Dankbarkeit für die Ordnung stiftenden Gewalten brav zur Wahlurne zu gehen und die Rente oder Sozialhilfe verzehren. Wer nicht funktioniert und entgegen dieser Tugend handelt, wird vom Staat als "Chaot", "Pöbel", "ewig Gestriger" oder ähnlichem beschimpft. Wer als mündiger Bürger nicht entsprechend den Vorgaben handelt, bekommt schmerzhaften Kontakt mit der Schutz- und Garantiemacht. Dann teilt ihm der Staat per Verwarnung, Platzverbot, Bußgeld, Berufsverbot, Einweisung in eine Strafanstalt oder Psychatrie und all den anderen Erfindungen durch unmittellbaren Zwang mit, wie das mit der Freiheit und der Meinungsäußerung gemeint ist. Gegebenenfalls führt der Staat als Konsequenz Korrekturen in den Bereichen Schule, Medien, Justiz und Polizei durch.


2.

Obwohl doch so viel auf die freie Meinungsbildung (3) gehalten wird, hat der Staat gerade in der Sphäre in der diese gebildet werden und dessen Resultat der mündige Bürger sein soll, die Finger drauf. These: Dies passt zusammen, denn der verstaatlichte Bildungsweg trägt dazu bei, dass die freie Meinungsäußerung nicht zu einem für den Staat störenden Missbrauch führt. Das bedeutet, dass die in der Schule vermittelten Inhalte, die es zu untersuchen gilt, in Bezug auf das Staatsbürgerbewußtsein auch nicht ohne Wirkung bleiben (siehe Referat zu Kapital & Staat).


3.

Es stellt sich die Frage: Warum betreibt der Staat eine solche Zwangsveranstaltung? Gibt es keine Interessen daran, sich mit Wissen & Kenntnissen auszustatten? Dies wird tatsächlich von einigen bezweifelt. Die Menschen müssten zu ihrem Glück gezwungen werden, d. h. ohne Pflicht und Druck durch Noten etc. würde kein Mensch sich dazu bewegen irgendetwas zu lernen. Dazu wird dann auf die eigene Institution verwiesen, in der Schüler nach den Zeugniskonferenzen meist nur schwer zu etwas zu bewegen sind. Dies ist aber kein Beweis für die Faulheit der Menschen, sondern eher das Ergebnis dieses Schulsystems selber (siehe Referat Noten & Zeugnisse).
Um Abhilfe zu schaffen, verbleiben die Pädagogen nicht dabei ihre Themen mit der Relevanz und Bedeutung dieser Inhalte zu begründen, dem der Lernende deswegen aus eigenem Interesse folgt. Sie versuchen durch allerhand Methoden wie Medienwechsel, handlungsorientiertem Unterricht, Lernen durch Erfahrung etc. die Schüler zum Mitmachen zu bringen. Dem Thema, dass immer noch der Lehrer vorgibt, sollen sie sich in jedem Fall anbequemen. Die Methoden werden dann nicht angewandt, weil sie dem Gegenstand der Erklärung angemessen sind, sondern weil damit das Interesse der Schüler erschlichen werden soll.

Dazu fällt einigen anderen ein, es ganz anders machen zu wollen. Bei ihnen lauten Erfolgsrezepte, z. B. alles ohne Zwang zugehen zu lassen und durch eine angenehme Lernatmosphäre das Lernen der Schüler zu erleichtern. Auch wenn die Überlegung nicht grundsätzlich zu verurteilen ist und es einigen Schülern in diesen Institutionen besser geht, ist dazu zu sagen, dass in jedem Fall einige Vorgaben des Staates erhalten bleiben, die für die Anerkennung als Ersatzschule eingehalten werden müssen. In keiner Alternativschule sind die Menschen der Schulpflicht grundsätzlich enthoben, der Abschluss muss mit einem Zeugnis quittiert werden und auch auf dem Gebiet der Inhalte gelten einige Vorgaben.

Zu kritisieren ist weiterhin, dass auch die Alternativpädagogen dasselbe Ziel haben, dass auch an der Regelschule verfolgt wird. Nämlich die Schüler zu erziehen und zu Mitgliedern dieser Gesellschaft zu machen. Ihre Kritik bezieht sich nämlich nicht auf Zweck und Inhalt der Regelschule, sondern dass diese sich nicht an ihre eigenen Ideale von der Kindgemäßheit und dem Wohl des Kindes halten würde. Dann unterscheiden sie sich wiederum nur noch in Methoden, mit denen ein Ziel verwirklicht werden soll, welches so gar nicht existiert.


4.

Nun zurück zum Recht auf Bildung. Dies wird z. T. als Garantie für eine gerechte Reichtumsverteilung angesehen. Dies ist falsch, denn durch den Besuch der gleichen Staatsschule findet nicht die Umverteilung von ökonomischem Reichtum statt. Im Gegenteil, an der Verteilung des produzierten Reichtums ändert sich nichts prinzipielles (auf der Erscheinungsebene sichtbar, aber auch systematisch begründbar, siehe Referat Staat & Kapital). Wissen ist nicht gleich Macht, denn der Umfang (Lohnhöhe) und die Verteilung der verschiedenen Einkommensquellen, sind nicht das Resultat geistiger Anstrengung. Die Qualifikation eines Schülers taugt nicht etwas wegen der angeeigneten Kenntnisse, sondern nur soviel wie sie auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird. Nachgefragt wird sie, wenn sie für die Zwecke von Staat und Wirtschaft brauchbar sind. Das Wissen ist zwar eine Voraussetzung, um überhaupt als Arbeitskraft tauglich zu sein, aber weder eine Garantie irgendeinen noch einen gut bezahlten Job zu bekommen.

Dazu ein Zitat des rheinland-pfälzischen Bildungsministers J. Zöllner:

"Die BRD brauche angesichts des Fachkräftemangels und des Trends auf dem Arbeitsmarkt zu immer höherer Qualifikation nicht weniger sondern deutlich mehr Abiturienten." (NP vom 07.11.00)

Daraus lässt sich ersehen, dass es nicht um Bildung der Menschen geht, sondern um qualifizierte Arbeitskräfte in ausreichender Anzahl.

Noch genauer drückt sich L. Lappe aus:

"Die relativ günstigen Beschäftigungsschancen (!) für die betrieblich ausgebildeten Fachkräfte deuten darauf hin, daß die Betriebe ihre Auszubildenden größtenteils bedarfsorientiert eingestellt haben. Hier dürfte nun genau auch die Hauptursache für die Übergangsschwierigkeiten von Absolventen der überbetrieblichen Ausbildung liegen. Der Mangel an betrieblichen Arbeitsplätzen und die entsprechend fehlenden Ausbildungskapazitäten waren ja gerade der Grund dafür, außerbetriebliche Ausbildungsplätze einzurichten und damit Qualifikationen über den konkreten Bedarf hinaus zu produzieren" (LAPPE, L. Berufliche Chancen Jugendlicher in der BRD, 06/1999).

Sofern dies eingestanden wird, wird die gleiche Beschulung zum gelobten bildungspolitischen Ziel, was eingangs nur die Grundlage einer gerechten Reichtumsverteilung sein sollte. Es wird darauf gepocht, dass es zumindest keine Bildungsprivilegien mehr gäbe. Doch selbst diese Feststellung ist schon falsch, denn das sogenannte Bildungsgefälle verläuft immer noch von "oben" nach "unten". Die Angehörigen der unteren Schichten sind, wie jeder Bildungssoziologe statistisch zu belegen weiß, in niederen Bildungsanstalten überrepräsentiert.

Außerdem muss hinter die Gleichsetzung von allgemeiner, gleicher Schulpflicht und Beseitigung von geistiger Unmündigkeit ein dickes Fragezeichen gesetzt werden. Denn ob das Schulwesen Unwissen bei den Menschen beseitigt, hängt weder an der Gleichheit, noch an der Dauer der Beschulung, sondern ist alleine am Inhalt der Bildung zu klären. So wie Wissen nicht gleich Macht ist, ist die Existenz des Schulsystems an sich keine Garantie dafür, dort das Wissen für eine verständige Beurteilung von Natur und Gesellschaft zu bekommen (Bildungsinhalte siehe Referate zum Staat und zur Biologie) Nur am Inhalt lässt sich klären, ob die Schule in der Lage ist für allerlei Probleme Lösungen zu liefern. Sei es nun die Kritik am Faschismus oder die Erklärung der Politikverdrossenheit.


5.

Im Zusammenhang mit der gleichen Beschulung wird häufig das Argument der Chancengleichheit angebracht. So hätten nun alle Menschen zumindest Zugang zum Schulsystem und damit die gleichen Chancen sich zu bewähren und das Beste aus ihrem Leben zu machen. Dazu ist anzumerken, dass im Wort Chance bereits enthalten ist, dass es zugleich Gewinner und Verlierer gibt. Anekdote: Beim Roulett oder Lotto hat man auch die Chance zu gewinnen. Der Einwand dazu ist dann, die Menschen (also die Schüler) hätten es selbst in der Hand, wie gut sie abschneiden würden. Dies stimmt aber nur in einer Hinsicht, nämlich insofern, als dass man ohne pauken überhaupt nicht in der Konkurrenz um die Bescheinigung der eigenen Fähigkeiten vorankommt. Wiederum ist das Bemühen aber auch keine Garantie für den Erfolg, die Chance immer nur Möglichkeit, nie Sicherheit. Der systematische Grund dafür liegt in der Benotung (wird im Referat zu Noten und Zeugnissen aufgegriffen) und den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt.

Abgesehen davon gilt, dass die formale Gleichheit gerade die Ungleichheit erhält! Und zwar dadurch, dass von den tatsächlich vorhandenen ungleichen Startbedingungen der Schüler abstrahiert wird und diese den gleichen Bedingungen der Schule (gleicher Lehrer, Stoff, Klausur, etc.) ausgesetzt werden. So ist es ein Unterschied, ob jemand in einem Zimmer Ruhe zum Lernen hat, die Eltern Zeit und Ruhe haben sich um die Kinder zu kümmern, die Eltern selber die Kenntnisse haben, um ihren Kindern zu helfen, wieviel Geld vorhanden ist, um eine Nachhilfe zu bezahlen und inwieweit die Schüler in ihrer Freizeit Aufgaben in der Familie übertragen bekommen. Die Befürworter verwechseln die Relativierung der Rolle, die Herkunft, Geld, Zeit und vorhandene Bildung der Eltern bei der Bildung des Nachwuchses durch das demokratischen Schulwesens spielen, mit der Beseitigung von durchaus klassenspezifischen Bildungsunterschieden.


6.

Dem Gedanken der Chancengleichheit folgend, setzen die Eltern alle Hoffnung in eine gute Schullaufbahn ihrer Lieben, damit sie es einmal besser haben sollen als sie selber. Dabei spielt die Anerkennung des Leistungsprinzips ein wichtige Rolle, das da heißt: "Wenn du dich anstrengst wirst du auch belohnt". Oder: "Leistung lohnt sich". Umgekehrt bedeutet dies, dass eine fehlende Leistung bestraft gehört. Die persönlichen Erwartungen (irgendwann auch der Schüler selber) von einer Verbesserung oder zumindest Stabilisierung der Lebenssituation durch einen guten Abschluss, werden jedoch im Einzelfall regelmäßig enttäuscht.

Dennoch soll man Schule (als auch Berufs- und Universitätsausbildung) immer und in jedem Fall als eine Chance ansehen. Dazu ein Zitat aus dem Artikel "Optimismus ist Pflicht" der Politischen Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung.

Frage: "Welchen Rat können sie Jugendlichen geben?" Antwort: "Keinesfalls dürfen sie den Kopf in den Sand stecken und darauf warten, dass ihnen ein Platz im Sofortprogramm der Regierung angeboten wird. Die Bereitschaft nicht nur die Risiken zu sehen, sondern auch die Chancen beim Übergang in die Arbeitswelt zu nutzen, ist ja vorhanden, besonders bei jungen Frauen. Das belegt die neue Shell-Jugendstudie. Optimismus ist für die Jugendlichen heute Pflicht."

Selbst wenn sich die Hoffnung im Einzelfall erfüllt und eine steile Berufskarriere glückt, ist dies nicht grundsätzlich unproblematisch. Denn zum einen sind die Karrieren mit den beschrieben Hürden, als auch anderen Entbehrungen verbunden (Zeit, Stress, etc.). Zum anderen bleibt man als qualifizierte Arbeitskraft i. d. R. lebenslang lohnabhänig (4), damit von Arbeitslosigkeit bedroht und der Konkurrenz ausgesetzt.


7.

Das allgemeine Lob des Schulwesens und die Beurteilung des Schulresultats für und durch den einzelnen treten also regelmäßig auseinander. Das Scheitern könnte stutzig machen. Doch werden die Schuld in den Personen, niemals aber im gesellschaftlichen System gesucht. Die betroffenen Schüler suchen entweder bei sich die Schuld. Denn schließlich kann man nach einer schlechten Bewertung immer sagen, dass man hätte sich besser vorbereiten können. Die Vorbereitung ist maßlos. Oder die Schuld wird wahlweise der einzelnen Funktionsträgern zugeschoben.

Der Gedanke führt sogar soweit, sich selbst oder Lehrer für das eigene Scheitern haftbar zu machen und sich oder andere in Form der Selbstjustiz umzubringen. Ebenso die Lehrer die bei Schülern, Eltern oder alternativ bei sich die Schuld suchen. Last not least verhalten sich die Eltern genauso. Doch gibt es weitere zahlreiche Varianten. Eine davon ist, z. B. Ausländer als Problem anzugeben, die das Niveau drücken würden. Dadurch würden die Guten sich langweilen, weniger lernen und schließlich in der Konkurrenz Nachteile haben. Selbst irrationale Gründe können für die Erklärung herangezogen werden. Dazu gehören die Religion, Horoskope oder ähnliches. (5)

Den Fürsprechern fallen aber wiederum nur weitere Reformen ein. So wird dann entweder durch Veränderung im Lehrplan, der Methoden, durch mehr Projektwochen oder durch andere mannigfaltige Kompensationsmaßnahmen versucht dieses Problem zu lösen. Eine Sisyphusarbeit, die ihnen aber nicht klar wird. Dies ist aber kein Zufall, denn etwas Anderes als konstruktive Kritik haben sie selber auch nicht gelernt und steht ihnen auch gar nicht zu bzw. ist letztlich verboten. Wer die grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse fordert, sei es noch so gut begründet, gilt als Verfassungsfeind und wird bekämpft. (6)


8.

Um mit den Widersprüchen umzugehen, haben die Menschen scheinbare Gründe für diese und andere Probleme.

Zu den einfachsten gehören solche wie z. B.:

- man kennt nichts anderes

- der Vergleich, denn alles bisherige war noch schlechter bzw. es könnte schlimmer kommen

- Bildung ist notwendig also kann die Schule, die offiziell dieses Ziel hat, kein Problem sein


An dieser Stelle eine letzte Variante gute Gründe für das staatliche Bildungssystem zu konstruieren. Die Aussage "Ohne Schule verblödet ein Volk" soll ein unschlagbares Argument sein. Man solle sich einmal die heutige Gesellschaft ganz ohne das staatlich eingerichtete Bildungswesen vorstellen. Es mag ja seine Mängel haben, wird dann zugestanden, aber ohne geht es nicht. Der demokratische Staat müsse sich darum kümmern, damit das Volk auf den nötigen Stand "unserer Zeit" gebracht wird. Letztlich kann durch den Vergleich mit anderen Bildungseinrichtungen wie denen des SED-Systems oder in der 3. Welt wiederum das Eigene für gut befunden werden.

Damit wird jede Schulkritik zu einer Reihe von Problemen, die man mit Schulreformen bewältigen könne. Dieses Argument hat in zweierlei Hinsicht eine Haken. So soll dabei die Abwesenheit einer allgemeine Schulpflicht an den Ausbildungsnotwendigkeiten, die der Staat selber schafft, blamiert werden. Außerdem wird mit dieser Blamage die Existenz des staatlichen Bildungsmonopols zu einem gesellschaftsunspezifischen, quasi natürlichen Gesetz. Dies ist aber nicht so. Das Wissen einer Gesellschaft, ja annähernd der ganzen Menschheit, liegt in gedruckter oder irgendwie gespeicherter Form vor. Es bedarf also nicht notwendig einer staatliche verordneten und kontrollierten Bildung.

Zumal es auch schon heute mannigfaltige Bildungsmöglichkeiten gibt (Fernsehen, Zeitung, Bücher, Museen, Vereine), auch wenn deren Inhalt nicht richtig sein muss, dieser daher in jeder Gesellschaft reflektiert und geprüft werden muss. Dort kann man sich bei Interesse kundig machen. In den Büchereien und Läden finden sich sogar noch jene theoretischen Ausführungen über die Welt, die keinen Eingang in den Unterricht finden, weil es sich um verpönte bis verbotene Gedanken handelt. So gesehen ließe sich Bildung auch ohne staatliche Verpflichtung zur Schule regeln, wenn denn ein persönliches Interesse an Bildung solche Gelegenheiten nutzen möchte und nicht durch andere Hürden daran behindert wird.


Fußnoten:
(1) Damit ist noch nicht die geschichtliche Entwicklung des Bildungssystems in der BRD als auch anderer Staaten, noch die Veränderung der Schulinhalte im Einzelnen erklärt.
(2) Im Folgenden ist nur von der bürgerlichen Schule die Rede.
(3) Staatlich org. Kleinkindbetreuung in der DDR wird von den "Befreiern" als Freiheitsberaubung tituliert, die Fortsetzung der Erziehungsverstaatlichung in d. BRD soll dagegen gewürdigt werden. Nicht Verstaatlichung überhaupt ist das Übel, sondern der Zugriff solcher Staaten, welche die BRD - Führung gerade nicht leiden kann. Die DDR war der BRD immer ein "Dorn im Auge". Vgl. Präambel des GG vor der Vereinigung.
(4) Ausnahmen sind: Lottogewinn, Erbschaft, Raub oder , systematisch bedingt sehr selten, ein Unternehmen aufzubauen, das soviel Gewinn abwirft, so dass man davon leben kann ohne zu arbeiten.
(5) Die Erfolgreichen sehen es dagegen meist als ihren Verdienst und als gerechtes Resultat an.
(6) GG Art.18: "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3), ..., zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte.

Literatur:
Grundgesetz für die BR Deutschland: Textausgabe Stand: August 1998 & Juli 1998. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung.
HUISKEN, F.1998: Erziehung im Kapitalismus; Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten, VSA-Verlag.
LANG, C., 2000: Optimismus ist Pflicht. Aus: Politische Zeitschrift, Nr.103, 09/2000. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung.
LAPPE, L., 1999: Berufliche Chancen Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland. Aus: Politik & Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", 6/99.
RÖHRIG, R., 1998: Mathematik mangelhaft; Fehler entdecken, Ursachen erkennen, Lösungen finden. rororo, Reinbek.
ZÖLLNER, J.,2000: Zitiert in der NEUEN PRESSE. Ausgabe vom 27.11.2000.