Die Misere hat System: Kapitalismus – Erläuterungen zur veränderten dritten Auflage

Das Buch „Die Misere hat System: Kapitalismus“ ist jetzt wieder verfügbar. In der dritten Auflage sind einige Änderungen im Buch vorgenommen worden. Das Kapitel 1 ist zwecks Lesefreundlichkeit umfangreich umgestellt, enthält aber keine inhaltlichen Neuerungen. In späteren Kapiteln sind hin und wieder kleine Änderungen vorgenommen worden, die aber abgesehen von einer Ergänzung (Dritte Auflage, S. 169f.) keine inhaltlichen Neuerungen darstellen.

Hier wollen wir nochmal erläutern, was wir im zweiten Kapitel angestellt haben. Da sind grundsätzliche Änderungen vorgenommen worden, die sich inhaltlichen Ungenauigkeiten in der zweiten Auflage verdanken und zu Missverständnissen führen können. Damit nun nicht alle Leute, die das Buch schon haben, ein neues kaufen müssen, wollen wir die Änderungen hier nochmal erläutern. Ggf. kann man sich dann das überarbeitete zweite Kapitel aus dem PDF ausdrucken und ins alte Buch dazulegen. Die Kritik am Text der zweiten Auflage wird hier in der Form eines erläuternden Kommentars vorgenommen. Sie unterstellt aber, dass man den Text des zweiten Kapitels zur Kenntnis genommen hat – egal ob in der alten oder neuen Auflage. Für andere ist diese Erläuterung nicht geeignet, bzw. sie fällt dann wohl zu knapp aus.

 

Mangel Nr. 1: Tausch, Eigentum und Geld würden bereits Armut und Reichtum in dieser Gesellschaft erklären.

Am Anfang des zweiten Kapitels steht in der Rückschau und dem Programm:

„Nachdem wir im vorigen Kapitel erläutert haben, dass unser Problem mit dieser Gesellschaft nicht darin besteht, dass die Leute den Hals nicht voll genug kriegen können, fangen wir in diesem Kapitel an aufzuzeigen, warum die Bedürfnisbefriedigung des Großteils der Menschen systematisch mangelhaft ausfällt. Im Eigentum, Tausch und Geld liegen Prinzipien, denen sich die Bedürfnisbefriedigung unterordnen muss. Diskutiert werden Vorstellungen, nach denen diese Prinzipien Hilfestellungen für die Versorgung aller Beteiligten mit nützlichen Dingen seien. Das Gegenteil wollen wir aufzeigen.“ (Zweite Auflage S. 19; Dritte Auflage S. 25)

Wir fangen an (!)…

Wir wollen zeigen, warum die Bedürfnisbefriedigung für den Großteil (nicht alle!) systematisch mangelhaft ausfällt. Die Behauptung ist: Im Eigentum, Tausch und Geld liegen Prinzipien, die nicht – wie sonst in der Vorstellung vorhanden – ein gutes Mittel der Bedürfnisbefriedigung sind, sondern einen Abtrag daran ergeben.

Anhand einer Kritik an der Ideologie „Der Kunde ist König“, wird dargestellt, dass es auf die Zahlungsfähigkeit ankommt, ob eine Produktion überhaupt angeschoben wird oder Leute an produzierte Waren herankommen.

„Wenn Leute Geld haben, können sie sich die abgefahrensten Bedürfnisse befriedigen, ohne Geld nicht mal die notwendigsten.“ (Zweite Auflage S. 21; Dritte Auflage S. 28)

Dass Geld in dieser Gesellschaft Bedingung aller Bedürfnisbefriedigung ist, reflektiert sich doppelt in den Resultaten. Das Geld ist Mittel und Schranke der Bedürfnisbefriedigung.

So weit, so richtig – und bis hierhin haben wir auch nichts geändert.

 

Allerdings haben wir in der zweiten Auflage sogleich folgenden Schluss gezogen:

„So ist das Nebeneinander von schillerndem Reichtum und Elend keine Fehlleistung, sondern Resultat des Marktes.“ (Zweite Auflage, S. 21)

Und das ist nicht korrekt. Liest man den Satz genau, dann steht da, dass der Markt der Grund für Reichtum und Armut ist und da ist schwer die Frage, ob das so stimmt bzw. man das so an dieser Stelle der Argumentation sagen kann.

In der dritten Auflage sind wir da erst einmal vorsichtiger:

„So ist das Nebeneinander von schillerndem Reichtum, gutem Auskommen, unsicheren Lebenslagen und bitteren Elend vollkommen mit der Produktion für den Markt vereinbar.“ (Dritte Auflage, S. 28)

Es liegt durchaus in dem Prinzip des Marktes, dass Menschen mit keinem oder wenig Geld da in Sachen Bedürfnisbefriedigung nicht weit kommen. Insofern ist „vereinbar“ korrekt. Aber hat man, wie in der zweiten Auflage gemacht, Anlass zu der Aussage, dass deswegen der Markt der Grund der Armut ist oder der Markt sogar Grund des Reichtums einiger Menschen ist? Denn auf dem Markt unterscheiden sich die die Menschen analytisch genommen gar nicht – sie bieten Waren an (sind damit Verkäufer), sie bezahlen mit Geld (sind damit Käufer). Daher erklärt der „Markt“ auch gar nicht, warum manche Menschen damit gut klar kommen, andere mäßig und mache gar nicht. Warum manche Menschen immer reicher werden, erklärt der Markt erst Recht nicht. Wie soll das gehen, wenn sie am Markt immer Ware hingeben und dafür Geld bekommen und das Geld dann wieder für Ware hergeben?

Das haben wir in der neuen Auflage so deutlich gemacht:

Wer in der Marktwirtschaft dabei schlecht, mangelhaft, o.k. oder ganz gut wegkommt, hängt von der Antwort auf folgende Frage ab: Welche Verdienstquellen hat mensch eigentlich und was werfen die warum ab? Die Käufer müssen ja selbst irgendwie vorher etwas verkauft haben und sind darüber an Geld gekommen.Diese Frage wird im gesamten Buch nach und nach beantwortet.“ (Dritte Auflage, S. 28)

Auf dem Markt und in den Resultaten des Marktes reflektiert sich die Art und Weise der Produktion, die sich im Laufe des Buches als Produktionsverhältnis mit den wesentlichen Klassen Kapitalist*innen und Lohnarbeiter*innen erweisen wird.

In der zweiten Auflage gab es im Laufe des zweiten Kapitels weitere Formulierungen, die Nahe legen konnten, dass mit Tausch, Eigentum und Geld Armut und Reichtum in dieser Gesellschaft bereits erklärt wären. Die haben wir korrigiert bzw. dort ergänzende Einordnungen vorgenommen.

 

Mangel Nr. 2: Im Tausch ginge es einer Seite um den Gebrauchswert, der anderen um den Wert – das stimmt nicht.

In der zweiten und auch in der Neuauflage steht:

„Es werden die verschiedensten Produkte für den Erwerb von Geld produziert und finden im Geld ihr gemeinsames Maß. In ihrem Geldausdruck, also dem Preis, bleibt von ihrer stofflichen Beschaffenheit und ihrem Bezug auf ein bestimmtes Bedürfnis nichts mehr übrig.“ (Zweite Auflage, S. 22; Dritte Auflage, S. 28)

Wenn herausgehoben wird, dass im Preis vom Gebrauchswert nichts übrig bleibt, heißt das nicht, dass er ansonsten keine Rolle spiele. Der Produzent einer Ware spekuliert allemal auf den vermuteten gesellschaftlichen Bedarf. Und der Käufer kauft eben eine Ware, dessen Gebrauchswert ihn interessiert. Zugleich ist beiden Seiten der Gebrauchswert nicht das Maß aller Dinge. Der Verkäufer möchte eben so gut es geht verdienen, der Käufer achtet auf seine Geldbörse, wenn er die Preise derselben Waren und die dann auch noch in Vergleich zu anderen Waren, die er kaufen will oder muss, vergleicht. Dies gilt für alle Waren, die ihren Eigentümer wechseln. Und von daher ist der Schluss fällig, dass im Verkauf/Kauf gerade vom Gebrauchswert abstrahiert wird und ein anderes Kriterium gilt: Der Wert oder wie wir es im Buch zunächst genannt haben: Der Geldwert.

An einigen Stellen in der zweiten Auflage legen Stellen Nahe, dass wir hinter diesen Schluss zurückfallen:

„Die Käufer hingegen haben zunächst nur ein Interesse an den Produkten selbst, wenn sie sich die Befriedigung ihrer Bedürfnisses von ihnen versprechen. Dabei werden sie jedoch mit Preisen konfrontiert, die sie sich leisten können müssen.“ (Zweite Auflage, S. 22)

Das könnte man so interpretieren, als wenn nur die Verkäufer am Geldwert interessiert seien, die Käufer dagegen ein reines Interesse am Gebrauchswert hätten. Letztere werden dann mit Preisen konfrontiert, mit denen sie nichts zu tun hätten. Als wenn sie selber mit den Preisvergleichen nicht daran mitwirken würden, den Geldwert als das bestimmende Prinzip des Eigentumswechsel durchzusetzen.

Um dieses Missverständnis auszuräumen, haben wir die Passage, wo der Doppelcharakter der Ware eingeführt wird (Zweite Auflage, S. 21f.; Dritte Auflage, S. 28f.) umgeschrieben. Jetzt wird erstmal der Gebrauchswert und der Geldwert der Ware erklärt. Dann wird gezeigt, wie beide Seiten der Ware in unterschiedlicher Art und Weise sowohl bei den Käufern als auch bei den Verkäufern eine Rolle spielen. Bei den Verkäufern, bzw. den Produzenten:

„Die Nützlichkeit der Ware ist eine Bedingung ihrer Produktion: Irgendjemand muss sie ja kaufen wollen und neben dem Preis ist die Qualität der Ware ein Mittel der Geschäftsleute in der Konkurrenz um den Absatz. Wenn für den Markt produziert wird, um damit an Geld zu kommen, ist die Qualität des Gebrauchswerts der Produkte dem Zweck untergeordnet, ob sich damit Geld machen lässt.“ (Dritte Auflage, S. 29)

Und bei den Käufern:

„Die Käufer hingegen haben zunächst ein Interesse an den Produkten selbst, wenn sie sich die Befriedigung ihrer Bedürfnisses von ihnen versprechen. Dabei werden sie jedoch mit Preisen konfrontiert, die sie sich leisten können müssen. Sie achten auf ihren Geldbesitz, teilen ihn ein und gehen dazu über die Preise verschiedener Anbieter zu vergleichen.“ (Dritte Auflage, S. 29)

 

Mit dem Mangel in der zweiten Auflage konnte man dann die Passagen, in der das Eigentum erklärt wird (zweite Auflage, S. 23ff.), so lesen, als wenn es den Eigentümern nur um das Geld ginge, den Nicht-Eigentümern dagegen nur um den Gebrauchswert. Das wäre falsch und wir haben entsprechende Korrekturen vorgenommen, um dieser Lesart entgegen zu wirken. In einem neuen Zwischenfazit in der dritten Auflage heißt es deswegen:

Das Eigentumsrecht schließt erstens allemal ein, dass man andere vom Gebrauch der Sachen ausschließen kann, damit man sein Auto oder seinen Fernseher alltäglich benutzen kann. Dass man sich darum Sorgen machen muss, dass andere das einem wegnehmen, liegt aber allemal daran, dass entweder die Bevölkerung eben nicht locker mit diesen Dingen versorgt wird oder aber Eigentum eh schon praktisch in die zweite Bedeutung aufgelöst wird: Geklaut wird ein Auto, damit der Dieb es gegen Geld weiterverkaufen kann. Eigentum ist daher zweitens wesentlich Wert oder geldwertes Zeug und jeder in der Gesellschaft muss sich um solches Eigentum bemühen, um am gesellschaftlichen Verkehr teilzunehmen. Eigentum ist ausschließende Verfügung über einen Teil des gesellschaftlichen Reichtums, der austauschbar ist mit anderem Eigentum. Mit dem Eigentum verfügt man so über ein Stück gesellschaftliche Zugriffsmacht und alle bemühen sich diese Macht zu ergattern. Drittens wurde angesprochen, dass das Eigentum selbst zum Mittel wird, um das Eigentum zu vergrößern. Das unterstellt dann aber schon gesellschaftliche Produktionsverhältnisse, die im Buch weiter aufgeschlüsselt werden.“ (Dritte Auflage, S. 34)