07.05.2002 PDF

Martin Walser - Das unverschämt gute Gewissen des deutschen Nachkriegs-Antisemitismus

 

Das Bremer Theater lädt herzlich ein

Am Montag, 26. November 2001, ist es soweit. Auf Einladung des Bremer Theaters, in Zusammenarbeit mit dem Buchladen Phoenix, kommt Martin Walser nach Bremen und liest um 20 Uhr im Schauspielhaus aus seinem neuen Roman "Der Lebenslauf der Liebe". Das Bremer Theater - kritisch, engagiert und ein ganz kleines bißchen links - hat es gleich erkannt: "Martin Walser bleibt ein Provokateur".

"Vor Kühnheit zitternd" sagen, was (fast) alle denken

Wodurch ist Martin Walser als "Provokateur" bekannt geworden? Durch seine Dankesrede, die er am 11.Oktober 1998 anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gehalten hat (Alle kursiven Zitate aus der Rede).

In dieser Rede äußerte er öffentlich den Verdacht, "uns" ("Alle. Eine Einschränkung: Alle Deutschen") würde absichtlich von Intellektuellen "weh getan" werden. Er behauptet: "In keiner anderen Sprache könnte im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts so von einem Volk, von einer Bevölkerung, einer Gesellschaft gesprochen werden." . Ob es stimmt, was da gesagt wird, interessiert Walser kein bißchen. Er fühlt sich verfolgt. "Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird." Und er erklärt sich die Welt: "Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden", ahnt er was dahinter steckt "die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken". Während die Zwangsarbeiter mühsam von ihren deutschen Arbeitgebern den vorenthaltenen Lohn und Entschädigung für die brutale Über-Ausbeutung verlangen, hat Walser Angst "weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung". Als hätte F.J. Strauß nicht schon 1969 gesagt: "Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen."(1) Ausgangspunkt: Das "Volk" hat mit den Nazis eigentlich nichts zu tun gehabt. Walser: "Wer sich freiwillig meldete in diesem Krieg, der hatte doch nichts mit Politik zu tun" (Spiegel 45/98, S.58)


Deutschland applaudiert

Die Reaktion des Publikums war nun nicht, Herrn Walser - wenn er sich dauernd attackiert fühlt - von der Existenz des AUS-Knopfs am Fernseher zu erzählen, oder ihm dringlich eine psychotherapeutische Behandlung anzuraten. Oder sich nach jenem sympathischen, aber recht unbekannten Fernseh- oder Rundfunksender zu erkundigen, in dem die Auseinandersetzung mit dem dritten Reich das Niveau der Frage, ob Hitler Fußpilz hatte, übersteigt, und der augenscheinlich eine solide Aufklärung über die Verhältnisse in diesem Land leistet. Oder Herrn Walser zu fragen, wie man ein Vernichtungsprogramm wie die Shoah so ganz ohne Volk durchziehen kann.

Nein, donnernder Applaus wurde ihm von den Eliten von Staat, Wirtschaft und Kultur gespendet für sein Plädoyer, der "inneren Emigration" der Großväter die "innerliche Einsamkeit" der nationalen Gewissensfummelei folgen zu lassen - merken soll man möglichst nichts davon, am Ende fühlt sich jemand durch das Erinnern eines Anderen noch überfordert, beschuldigt, angegriffen oder durch Vorschriften eingeschränkt. Denn das ist es, was Walser seinen Kritikern vorwirft.

Herrn Walser ging es bei seiner Rede ja auch nicht darum, daß er - wie jedeR sicher ab und zu - mal keine Lust hat, sich mit den deutschen Widerwärtigkeiten in Vergangenheit und Gegenwart herumzuschlagen, und abschalten möchte. Herr Walser verkündete einen Aufstand gegen den angeblichen Terror der Gutmenschen. Viele, so erzählt er im Gespräch mit Ignatz Bubis in der FAZ, haben ihm geschrieben "was wir bis jetzt hinter vorgehaltener Hand sagten..., das haben Sie öffentlich ausgesprochen, und dafür sind wir Ihnen dankbar". Ja, genau Walser hat den Stammtisch-Antisemitismus, die Erinnerungsabwehr salonfähig gemacht. Bubis, der alte Liberale, versucht´s später noch mal im Guten: "Das war nicht Ihre Absicht, aber sie haben das Tor geöffnet" [für Leute, die das Gedenken an die Shoah ganz abschaffen wollen]. Aber Walser läßt ihm keine Chance: "Da muß ich natürlich hinzufügen, daß es dann höchste Zeit war, daß dieses Tor einmal geöffnet wurde." Er ist sich sicher: "Ich bin nicht mißverstanden worden." Wer könnte es auch mißverstehen, wenn er über das Holocaust-Mahnmal sagt, es sei so beschaffen, "daß es Leute zur Schändung provoziert" Die Welt besteht für Walser nur aus dem, was er wahrnehmen will: "Die Nationalzeitung existiert für mich nicht."

Ende Oktober 1998 wurde ein Schwein über den Alexanderplatz in Berlin getrieben, auf dessen Rücken ein Davidstern und der Name Bubis aufgepinselt waren. Ende 1998 wurden pro Woche 17 jüdische Friedhöfe geschändet. Für seine Rede erntete Walser von "Junge Welt" bis "Junge Freiheit" Beifall. Ignatz Bubis wurde dagegen für sein völlig korrekte Bezeichnung von Walser als "geistigem Brandstifter", die er später leider zurücknahm, heftig angegriffen. Und zwar nicht nur von der neofaschistischen Presse.

Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sagen 70% der Deutschen, daß sie stolz darauf sind, Deutsche zu sein. 64% sagen, daß Deutschland eine starke Hand braucht. 59% finden, daß Recht und Ordnung in Gefahr sind. 58% sind davon überzeugt , daß die Deutschen eine Reihe von guten Eigenschaften haben, die andere Völker nicht haben. 36 % finden Homosexuelle abstoßend und pervers. 24 % wollen Abtreibungen grundsätzlich verbieten. 23 % sind für die Einführung der Todesstrafe. 17% finden, daß der Nationalsozialismus eine gute Idee war, die nur schlecht ausgeführt wurde. 13 % halten Behinderte für eine Belastung der Gesellschaft. Und 6% bewundern Adolf Hitler.(2) Mitten in der erfolgreichsten Demokratie und dem ganz normalen Volk der Deutschen scheint es viele Auffassungen zu geben, die 1933 bis 1945 auch schwer angesagt waren.

Exkurs: Am Blut- und Bodensee - Was Bremer SchülerInnen passieren kann, wenn sie Antisemitismus kritisieren
Ein Bremer Schüler hat es zur Zeit nicht leicht. E., so wollen wir ihn nennen, hat Martin Walser kritisiert. Und das ist etwas, was man im liberalen Bremen an bestimmten Schulen besser bleiben läßt. Aber Stück für Stück E.s Deutsch-LK ist vor den Sommerferien zu Martin Walser an den Bodensee gefahren. E. mußte an dem Besuch teilnehmen, wiewohl er sich heftig gesträubt hat, und schon im Vorfeld darauf hingewiesen hat, daß Walsers Reden und Schriften vor Verharmlosung des NS und antisemitischen Ressentiments nur so strotzen. Vor dem Besuch hatten ihn die Lehrer aufgefordert, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen, doch als er dann mit dem alten Antisemiten anband, mußte er sich hinterher dafür anpissen lassen, daß er den großen deutschen Dichter kritisiert hatte. Das macht wütend. Darum hat E. nun einen Artikel in einer Zeitschrift geschrieben, in dem übrigens weder der Name der Schule, des Lehrers noch der seiner MitschülerInnen genannt wird. Walser rief daraufhin bei dem Lehrer, der ein großer Walser-Bewunderer ist, an, und machte diesen satt. E., dessen Eltern aus Rußland vor dem Antisemitismus geflohen sind, wird seit dem Bekanntwerden des Artikels systematisch gemobbt. Er wird aus dem Unterricht ausgeschlossen, damit der Kurs über "Gegenmaßnahmen" beraten kann, er bekommt plötzlich schlechtere Noten, über ihn kursieren Gerüchte usw. Ihm wird vorgeworfen, er habe die "Gastfreundschaft" des Dichters und die Meinungsfreiheit mißbraucht, er habe Walser denunziert, er habe gelogen... Um seine Abiturnoten zu retten, verläßt er die Schule. Die deutsche Friedhofsruhe ist wieder hergestellt.

Die Deutschen wollen ihren Opfern verzeihen, können es aber nicht

Woher kommt der Antisemitismus nach 1945? Vor 1933 konnte mensch sich den Antisemitismus als Kapitalismuskrirtik unzufriedener Nationalisten erklären. So konnte man alles, was einem nicht paßte, auf das Treiben böser internationaler Mächte, die aber sich als InländerInnen tarnten, zurückführen. Doch seit 1945 kommt das beleidigte Nationalgefühl hinzu, daß den Opfern die notwendige Distanzierung von Teilen der eigenen Nationalgeschichte nicht verzeihen kann.

Der bundesdeutsche Nationalismus hat nämlich in den letzten Jahren eine etwas schwierigere Übung verlangt, gerade die Scham über den Nationalsozialismus soll zum Stolz auf Deutschland führen. Während direkt nach 1945 nach einer kurzen Phase Schweigen angesagt war, wird seit den 60er Jahren die Vergangenheit bewältigt. Und zwar nach allen Regeln der Kunst wurde zwischendurch das ganze deutsche Volk zu einem einzigen Opfer des NS erklärt, ist jetzt in der dritten Generation sogar der irritiert-betroffene Blick auf ein begeistertes Volk gestattet. Der soll mahnen, auch in Zukunft der Demokratie als der besten, weil erfolgreichsten Staatsform die Treue zu halten. Die Opfer mahnen, und daß die Deutschen sich mahnen und mahnen lassen, darauf dürfen die Deutschen dann schon wieder stolz sein, weil sie im Gegensatz zu anderen Völkern, heißt es, hier notwendig zu ihrer Geschichte stehen. Deswegen finden es dann viele Deutsche sehr übertrieben und undankbar, wenn Opfer immer noch irgend etwas fordern oder verlangen. Es reicht doch wirklich, daß die Deutschen jetzt Klezmer-Musik hören. Entschädigung für Zwangsarbeiter geht dann doch zu weit.

Womit der nahtlose Übergang zum "Jetzt ist es aber genug" vollzogen wäre. Hier trifft man sich dann wieder mit denen, die nicht glauben mögen, daß ihr Vaterland eine dunkle Geschichte hat. Entweder wird gleich alles abgeleugnet, was auch in der Form der Verharmlosung ("andere haben ja auch") und Verkleinerung ("so viele waren`s gar nicht") geschehen kann. Oder es wird noch weiter gegangen. Die Deutschen werden wohl ihre Gründe gehabt haben, für den Mord an Millionen Juden, und an den Gründen der werten Vorfahren kann doch nicht alles falsch gewesen sein: "Unsere Väter waren keine Verbrecher."

Und hier geht der Antisemitismus wegen Auschwitz los, der sich dann munter aller antisemitischen Klischees bedient. Die raffgierigen jüdischen Rechtsanwälte von der Ostküste ("Wallstreet"), die jüdischen Profiteure der "Holocaust-Industrie" usw. Es ist dieses beleidigte Nationalgefühl, dieser "sekundäre Antisemitismus", der dem Antisemitismus als Ressentiment gegen den "zersetzenden Intellektuellen" und das "vaterlandslose, profitgierige, allgemeinwohlschädliche Finanzkapital" in Deutschland seine besondere Lebendigkeit und Verbreitung verschafft.

Exkurs: Juhnke + Walser
Ein schönes Beispiel für den ganz normalen Antisemitismus ist der Volksschauspieler (!) Harald Juhnke. Bei einem Israel-Aufenthalt sagt er zu einem Hotelangestellten, weil er sich über den Service geärgert hatte: "Unter Adolf wär so was wie du vergast worden." Im Jahr zuvor hatte Juhnke in der Komödie "Der Papagei" einen arbeitslosen Schauspieler, der als Spitzenkandidat einer rechtsextremen Partei engagiert wird, gespielt. Der Film macht sich über Nazis und ihre Ideologie lustig. Juhnke ist beides: Antifaschist und Antisemit. Man kann es beiden, den Nazis und den Juden, übelnehmen, daß die bruchlose Identifikation mit "Deutschland" nicht klappt. So einer ist der Walser auch.

Den "Schlußstrich unter die Vergangenheit" zur Waffe gemacht!

Deutsche Erinnerungskultur ist heute ein flexibel gehandhabter Schlußstrich. Da wo es nützlich ist, wird auch ganz gerne erinnert. Da wo sich aus Geschichte ein Titel machen läßt, wird sie benutzt, und zwar ganz besonders bei Ex-Linken, die zum Zynismus der Macht immer noch die moralische Gewißheit, das Richtige zu tun, brauchen. Die Relativierung, die hier zustande gebracht wird, ist eine durch permanente Benutzung als Argument.

Flexibel insoweit, als daß überall da, wo die deutsche Geschichte stört, eben auch das Beklatschen von Walser, das Zurückweisen von Ansprüchen oder das "Genug gedacht" zum nationalen Geistesleben gehört. Die Arbeitsteilung funktioniert 1A, und je nach den innen- und außenpolitischen Erfordernissen, ziehen deutsche Soldaten wegen Auschwitz in den Krieg, oder werden "wir Deutschen" von einer "Holocaust-Industrie" ausgebeutet.

Gegen die Bestialität des Blöden - Verhindern wir den Auftritt von Martin Walser!
Gegenaktionen am 26.11.2001, vor der Veranstaltung, Schauspielhaus - hinter`m Goethe- Theater.


1 Später bestritt die CSU, daß Strauß dies gesagt habe. Aber erst als derjenige, der es an die Öffentlichkeit gebracht hatte, tot war. Da Strauß sonst immer alle Äußerungen, die ihm nicht paßten, gerichtlich verfolgen ließ, kann das Zitat als gesichert gelten.
2 Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, zit. n. der ZEIT v. 20.12.2000, S.7.