Im Dezember 2007 erreichte uns folgender Leserbrief in Reaktion auf den Text: Wie die Krankenschwester in das Sparschwein passt... oder: Über das Spenden. Unsere Antwort folgt darunter
P. aus B. schreibt:
Über Sinn und Unsinn von Werbung läßt sich streiten, über den des Spendensammelns auch. Da das aber nicht der Schwerpunkt des Artikels sein sollte, beschränke ich mich auf die Aussage zu den Ursachen der Armut und der Art der Hilfe in Afrika. Mit ein Hauptproblem - neben beobachteten kapitalistischen Strukturen - ist eine Massenarmut und eine breite Marginalisierung der Armen, die man allein durch eine ökonomische Neuausrichtung nicht in den Griff bekommen wird. Wichtig ist, bei den Ursachen, nämlich der Sprachlosigkeit der Armen, anzustzen. Wie kann man Menschen helfen - und ihnen auch zu mehr Kaufkraft verhelfen - die von der Gesellschaft nicht beachtet werden und die sich auch selbst aufgegeben haben? Indem man ihnen hilft zu erkennen, dass sie selbst etwas erreichen können; indem man ihnen hilft sich selbst zu organisieren; indem man ihnen hilft zunächst im existierenden System Fuß zu fassen und sich zu behaupten. Das tut die Kindernothilfe in inzwischen sieben Ländern Afrikas, wo durch intensive Beratung und Begleitung bisher 6000 Selbsthilfegruppen entstanden sind, wo vor allem Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, ihre wirtschaftliche Situation verbessern konnten und sich organisiert haben, um u. a. auch politisch aktiv zu werden. Das war für sie vorher undenkbar und sie sich das selbst nicht träumen lassen. Und so ganz nebenbei: über 300.000 Kinder aus den Familien dieser Frauen können dadurch (wieder) in die Schule gehen, weil die nötigen Schulbücher und Uniformen (oft der einzige Hinderungsgrund für den Schulbesuch armer Familien) bezahlt werden können. Diese Prozesse anzustoßen und zu begleiten kostet Geld, viel Geld. Deshalb sammelt die Kindernothilfe dafür; auch auf unkonvetionelle Weise und nicht mit hungrigen und traurigen Kinderaugen. Denn ein bißchen Mitleid und ein Almosen für eine Schüssel Reis ändert nicht die Verhältnisse der armen Bevölkerung in Afrika. Die Eigeninitiative der Menschen schon! Dazu einen Beitag zu leisten lohnt sich. Dafür auf ein bißchen Schönheitspflege oder Modeschmuck zu verzichten erst recht!
Hallo Herr P! Sie schlagen vor die Armen zu aktivieren, damit sie sich selber durch Aktivität und Hoffnung aus ihrer Armut befreien. Und wir wollen auch gar nicht bestreiten, dass hin und wieder eigene Aktivitäten eine/n aus einer trostlosen Lage herausholt. Nur: Genau so wenig wie jeder Tellerwäscher Millionär werden kann, nur weil ein oder zwei Tellerwäscher unter Millionen Tellerwäschern Millionär wurden, genauso wenig hilft es den Armen, sich einfach mal ein Herz zu fassen und mit Hilfe westlicher Organisationen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Das Problem der Armut ist ein Strukturelles: Die kapitalistische Produktionsweise fordert notwendig die Ansammlung von Reichtum auf der einen und von Armut auf der anderen Seite; und das gilt verschärft für Länder, in denen es noch nicht einmal einen ordentlichen Kapitalismus gibt. Die Länder, in denen es nicht eine "soziale Frage" sondern Massenhunger gibt, sind Länder die nur Rohstoffbasis und verlängerte Werkbank der kapitalistischen Metropolen sind. Die Bevölkerung dort ist unter anderem störend, weil ihre bisherige Art, sich das Leben zu erwerben, kein kapitalistisches Geschäft ist, im Zweifelsfall nicht konkurrenzfähig ist und kein bisschen Kaufkraft in ihren Händen akkumuliert. Wenn nun die Kinderhilfe Frauen empowert und Kindern Schuluniformen (was wir in Europa ganz schrecklich finden) bezahlt, mag das den Einzelnen sogar eine Chance bieten. Eine Chance, mehr nicht. Denn ob Bildung etwas hilft, oder ob das nur dazu führt, dass man in mehreren Sprachen schreien kann, wenn man auf dem Zaun, der Ceuta und den Rest Afrikas trennt hängt und verblutet - DAS zu entscheiden, liegt weder bei den Leuten, noch bei der Kinderhilfe, noch bei uns. WAS etwas helfen würde - was aber wieder weder die Leute, noch Sie, noch wir zur Zeit zu entscheiden haben - wäre ein gründliche ökonomische "Neuausrichtung": Nämlich eine, die nicht nach "Kaufkraft", sondern nach Bedürfnissen fragt; eine die die Ernährung der Menschen zum Zweck macht und nicht als ärgerlichen Kostenfaktor behandelt. Aber: Wir sind da - weil's uns um die Leute geht - bescheidener: Selbst eine Änderung, die nur den Leuten die Flucht aus der Armut in die Metropolen erlauben würde, würde ihnen mehr helfen, als das selbstbewusste Gefühl, immerhin ihre Armut voll im Griff zu haben. Beste Grüße, T.
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