Im Juni 2007 erreichte uns folgender Leserbrief in Reaktion auf den Text: NPD-Aufmarsch verhindern, Deutschland bekämpfen. Unsere Antwort folgt darunter
J. aus L. schreibt:
Ich finde den Artikel aufschlussreich und stimme Euch in einigen Punkten auch zu. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann, ist der letzte Absatz. Ich denke nicht, dass nur unser politisches System Nazis hervorbringt! Unser Staat unterscheidet sich noch extrem von dem Staat, den die NPD will. Und was ist den Euer Vorschlag, wie die Selbstidentifizierung der Menschen mit der Arbeit und dem Land abgeschafft werden sollte? Da sind wir wieder bei der Verstaatlichung und Vergesellschaftung angekommen. Und wie enteignet man Menschen? Mit Gewalt! Ihr solltet Eure Ansichten evtl. auch mal zu Ende denken. Was dann dabei herauskommt, ist das demokratisch?
Unsere Antwort:
Hallo J.! Du schriebst:
Ich denke nicht, dass nur unser politisches System Nazis hervorbringt!
Der Absatz unseres Textes, auf den sich deine Kritik bezieht, war ja:
Fast möchte man fragen, was eigentlich Demokraten an Faschisten stört. Der Nationalismus kann es nicht sein. In einem Land, durch das gerade erst im Sommer eine Welle der Begeisterung für "sich selbst", für "uns", für "Deutschland" schwappte, passt eine Partei, deren Programm "Deutschland zuerst" heißt, doch eigentlich prima. Die Nazis denken konsequent das zu Ende, was die ganz normale bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zur Grundlage hat: Staat, Nation, Volk, Kapital. Und genau das ist das Problem der Demokraten: Die Nazis sind so konsequent, dass sie keine Rücksichten nehmen wollen auf die Weltordnung, die Deutschland mitgestaltet hat. Als gute Nationalisten wollen sie rücksichtslos ihrer Nation, und als harte Idealisten einer Volksgemeinschaft dienen, in der alle nichts anderes tun, als sich für "Volk und Vaterland" aufzuopfern. Nazis können sich weder unterschiedliche Interessen vorstellen, noch ist ihnen klar, wozu man die Führung, die das umsetzt, langwierig wählen soll. Wenn Antifaschisten diese Gesellschaft gegen ihre radikalen Fans verteidigen, dann schützen sie jene Verhältnisse, die die ganze Zeit über Faschisten hervorbringt.
Mir ist nicht ganz klar, welche Stellung das "nur" in deinem Satz hat. Geschrieben haben wir ja nicht, dass _nur_ diese Gesellschaft und sonst keine andere mögliche Gesellschaft Nazis hervorbringen kann. Wir leben ja alle erstmal hier und stellen fest, dass diese Gesellschaft faktisch immer wieder Nazis hervorbringt. Die andere Deutung des "nur"s könnte sein, dass Du meinst, es gäbe neben dem "politischen System" noch andere Faktoren, die Nazis hervorbringen. Natürlich muss auch so ein Nazi selbst auf seine falschen Ideen kommen, für ihn denken kann niemand. Also kann man sich das nicht so vorstellen, als würden die herrschenden Verhältnisse ständig Nazis produzieren, die da gar nichts für können. Ganz sicher also nicht "nur" das politische System. Auf der anderen Seite trägt eben jenes "politische System" durchaus dazu bei, dass so viele Leute auf die Naziideen kommen.
Mir scheint, dass Du darauf hinaus willst, dass dieses "politische System" gar nichts damit zu tun hat, dass hier Nazis herumlaufen. Denn wir hatten ja bloß geschrieben, dass man sich schon mal wundern kann, wie sehr sich Nazis und ihre demokratischen Gegner in vielen Fragen eigentlich einig sind: Staat, Nation, Volk, Kapital. Dass sind doch alles Sachen in denen sich Bürger und Nazis nur graduell unterscheiden. Das mag für einen persönlich eine Menge ausmachen, weil die Bürger zu nicht so drastischen Maßnahmen greifen - Faschos treten schon mal für die komplette Auslöschung der Feinde der eigenen Nation ein - trotzdem ist Faschismus eine durchaus mögliche (nicht notwendige) Konsequenz aus Begeisterung der Bürger für seinen Staat.
Du schreibst weiter:
Unser Staat unterscheidet sich noch extrem von dem Staat, den die NPD will.
Wir haben die Antwort darauf, ob es denn noch einen Unterschied gebe, doch auch gleich angehangen, nämlich, dass Nazis die Gemeinheiten bürgerlicher Herrschaft ziemlich klar zuende denken, wovor Demokraten zuweilen zurückschrecken.
Wir haben doch gar nicht geschrieben, dass der deutsche Staat ein faschistischer wäre. Wir haben nur deutlich gemacht, dass Demokraten und Faschisten oft das gleiche wollen, weswegen Demokraten Faschisten auch so schlecht inhaltlich kritisieren können: Denn die doofe Idee, sich für's Vaterland zu opfern ("Frage nicht, was der Staat für Dich tun kann, sondern was Du für den Staat tun kannst"), kann ein treuer Staatsbürger doch gar nicht kritisieren, denn dann ist er keiner mehr. Klar schrecken viele Demokraten vor den Konsequenzen der Nazis zurück, das haben wir auch nirgends bestritten. Nationalismus (manchmal nennt der sich auch Patriotismus oder 'Sommermärchen') ist immer schlecht, darum sollte man den kritisieren. Zusätzlich produziert der Nationalismus der Bürger immer wieder Nazis, welche einfach ein Stück weiter gehen, wenn es darum geht die Nation über den Einzelnen zu stellen. Die Bürger leisten sich da einen Spagat (auf der einen Seite nutzt mir Staat, auf der anderen Seite ist er mir ein Hindernis), den so ein Faschist nicht mitmacht: Er hat sich für den Staat entschieden.
Du schreibst:
Und was ist den Euer Vorschlag, wie die Selbstidentifizierung der Menschen mit der Arbeit und dem Land abgeschafft werden sollte?
Wir machen nicht nur Vorschläge, wir praktizieren sie sogar. Die einzige Möglichkeit Leuten klarzumachen, dass die herrschenden Verhältnisse schlecht sind, ist mit ihnen zu diskutieren. Deswegen schreiben wir solche Texte, veranstalten Seminare und diskutieren mit Leserbriefschreiberinnen.
Du schreibst:
Da sind wir wieder bei der Verstaatlichung und Vergesellschaftung angekommen. Und wie enteignet man Menschen? Mit Gewalt! Ihr solltet Eure Ansichten evtl. auch mal zu Ende denken. Was dann dabei herauskommt, ist das demokratisch?
Wieso kommt man denn bei Verstaatlichung an, wenn man den Staat kritisiert? Aber das nur am Rande. Dir unterläuft da aber ein größerer Fehler: Du trennst zwischen gewaltsam und demokratisch, d.h. Du machst dazwischen einen Gegensatz auf. Diesen Gegensatz gibt es doch gar nicht: Der demokratische Staat beansprucht doch gerade das Gewaltmonopol für sich. Er legt fest, was die Spielregeln des allgemeinen Umgangs sind (Gesetze) und wer sich nicht daran hält, bekommt es mit der Polizei zu tun. Wenn man Hunger hat, darf man sich das Essen, was ja überall rumliegt, nicht einfach nehmen, dann wird man nämlich bestraft. Das ist ziemlich gewalttätig und gleichzeitig sehr demokratisch. Schließlich darf man ja alle vier Jahre sein Kreuz bei der Partei machen, von der man sich wünscht, dieses Verhältnis weiter zu organisieren. Die Demokratie ist eine Herrschaftsform, deswegen würde mich auch gar nicht stören, wenn irgendwann mal etwas entsteht, was nicht so gewaltvoll funktioniert.
Würde mich interessieren, was Du dazu meinst. Schöne Grüße, K.
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