Im August 2009 erreichte uns folgender Leserbrief. Unsere Antwort folgt darunter.
Hallo ,junge linke gegen..... ich habe euren interessanten Text "Armutsdebatte 2006- Antidepressiva für die Nation gesucht" gelesen und hätte folgenden Sachverhalt "Marx wies nach, dass alle anderen Einkommensquellen,vom Rechtsanwaltt bis zum Pfaffen an dieser Ausbeutung hängen." von euch gerne etwas differenzierter dargestellt b.z.w.Informationen,wo ich mir dieser Sachverhalt genauer erläutert wird. Gruss, Herbert
Hallo Herbert, Marx fand seinerzeit das Phänomen vor, dass neben ungeheurem stofflichen und geldmäßigen Reichtum eine Menge Elend vorhanden war. Das ist heute nicht anders. Damals wie heute beschäftigen sich Politiker, Zeitungen und „normale Leute“ mit der Frage: Woher kommt das? Von der Antwort hängt natürlich auch der Umgang mit dem Phänomen Armut ab. Es gibt immer wieder Menschen, die sagen, Armut gehört halt zum menschlichen Wesen dazu. Erklärt man sich das so, dann ist auch klar, dass man sich nicht richtig viel Mühe geben will, gegen Armut was zu unternehmen. Andere Menschen kommen auf die Idee, dass die Armut daher komme, dass Menschen oder gleich Unternehmen falsche Entscheidungen treffen. In der Regel kommen sie dann auf die Idee, dass die Politik dem entgegentreten müsse und durch neue Gesetze Rahmenbedingungen schaffen sollte, welche richtige Wirtschaftsentscheidungen befördern. Wenn das dann sichtbar dauerhaft dem Phänomen Armut keine Abhilfe schafft, kommen sie auf die Idee, dass die Politik dann ebenfalls falsche Entscheidungen treffe und man da politische Alternativmaßnahmen schaffen müsse. Für letztere Schlussfolgerung könnte man z.B. Attac! als Beispiel heranziehen. Marx hat damals was anderes gemacht. Er hat sich immer wieder von der Tagespolitik zurückgezogen und versucht, den Kapitalismus erstmal zu erklären, dicke Bücher zu schreiben, um dann zu entscheiden: Liegt die Armut in Missmanagement oder aber prinzipiell in dieser Ökonomie als Notwendigkeit begründet. Marx hat also die Frage, warum gibt es soviel Armut neben soviel Reichtum zwischenzeitlich beiseite geschoben und sich andere Fragen gestellt: Wie erklärt man eigentlich den vorhandenen Reichtum? Woraus besteht der und wie wird der geschaffen? Dabei hat er erstmal festgestellt, dass der überwiegende Reichtum dieser Gesellschaft gleich doppelt vorliegt: Einmal als Gebrauchswert, den man essen, bewohnen oder mit dem man produzieren kann. Zugleich kommt dieser stoffliche, nützliche Reichtum in der Form zur Welt, dass er abstrakter Reichtum ist, d.h. in Geld bemessene Zugriffsmacht auf fremdes Privateigentum. Dieser Reichtum hat dann noch die Eigenart, dass er sich vermehrt und zwar nicht nur bei einzelnen Kapitalisten, sondern gesamtgesellschaftlich. Als Kapital wird Geld investiert um dann irgendwas zu machen, um hinterher mehr Geld zu erzielen, was dann überwiegend erneut investiert wird. Bevor Marx sich aber die Frage stellt, wie der Wert vermehrt wird, stellt er sich schlicht die Frage, was ist der Wert überhaupt und wie wird er geschaffen. Hier soll jetzt nicht die Arbeitswertlehre ausführlich begründet werden, auf Nachfrage kann man das gerne noch mal machen. Aber soviel: Marx ist zu dem Schluss gekommen, dass die gemeinsame Eigenschaft aller Waren, nämlich als Zugriffsmacht auf fremdes Privateigentum zu funktionieren, durch die Arbeit geschaffen wird. Nicht aber einfach durch die nützliche Tätigkeit, sondern durch Arbeit, die sich am Markt einem Vergleichstest mit allen anderen Arbeiten der Gesellschaft unterzieht: Die Arbeit muss ein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen, aber so, dass nicht schon irgendeine andere Arbeit von anderen privaten ökonomischen Subjekten, die eigene Arbeit überflüssig gemacht hat. Die Arbeit schafft also Wert, aber in Konkurrenz zu anderen Arbeiten. Von diesem Punkt aus, der hier wie gesagt recht knapp bestimmt ist, fragt Marx sich jetzt, wie eigentlich die Vermehrung des abstrakten Reichtums zu erklären ist. Er findet die Erklärung darin, dass auf der einen Seite Lohnarbeiter vorhanden sind, welche zwar ein wenig Privateigentum haben, das aber selber zum leben brauchen, also konsumieren. Zugleich haben sie keine Mittel an der Hand um als Selbstständige für den Markt zu produzieren, um darüber ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie haben keine Produktionsmittel und wenn sie ein paar haben, dann gibt es in der Regel schon überlegene Produzenten, welche im Vergleich die selbstständige Arbeit für den Markt so unbrauchbar macht. Auf der anderen Seite stehen diese überlegenen Produzenten, welche über nennenswerten Privatreichtum verfügen, den sie nicht vollkommen selber verkonsumieren müssen, sondern investieren können (das die Bestimmung von Kapital: Privatreichtum, der den Zweck hat sich zu vermehren). Mit ihrer Zugriffsmacht können sie sich Produktionsanlagen hinstellen, Lohnarbeiter einkaufen, Wissenschaft technisch umsetzen usw. Oberflächlich behandeln Kapitalisten oder Unternehmen alle Sachen und Menschen, die sie für die Produktion für den Markt brauchen gleich: Es braucht Arbeiter, Maschinen usw. und die haben einen Preis. Also stellt es für sie eine Investition dar. Zugleich sind alle Faktoren eine Kost, die, wenn man sie minimieren kann, scheinbar den Gewinn erhöhen. In der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft hat sich auf dieser Grundlage folgende Erklärung für den kapitalistischen Reichtum herausgebildet: Es braucht Menschen, es braucht Maschinen, es braucht Wissenschaft und es braucht Geld um erfolgreich kapitalistisch zu Wirtschaften. Die verschiedenen Dinge und Menschen sind dann für sie „Faktoren“. Und weil es ohne diese Faktoren nicht geht, behauptet sie einfach: Alle Faktoren tragen zum Wirtschaftswachstum bei. So schlicht ist die Erklärung der Wirtschaftswissenschaft. Gegen diese Erklärung muss folgendes eingewandt werden: Die Preise, die Maschinen, Menschen usw. haben, können den Preis der Ware, die im Produktionsprozess raus kommt, nicht erklären. Wenn die Ware genauso viel kostet, wie die Sachen, die zur Herstellung der Ware gekostet haben, dann kann ja kein Gewinn gemacht werden. Einschränkung des Arguments: Der Gewinn müsste dann daher stammen, dass irgendjemand beim Tauschen soviel Verlust macht, wie der andere Gewinn. Das findet in einzelnen Tauschakten sicher immer wieder statt, aber die Frage, wie das eigentlich gesamtgesellschaftlich gehen soll, wenn es Wirtschaftswachstum, Anstieg des Bruttoinlandsprodukts gibt, ist damit nicht beantwortet. Um zu erklären, wie gesamtgesellschaftlich der in Geld bemessene abstrakte Reichtum steigt, was phasenweise im Kapitalismus die Regel ist, geht die Kostpreistheorie nicht. Eine zweite Variante in der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft den Gewinn zu erklären, ist wie schon zu Marxens Zeiten die „Verzichtstheorie“. Die geht so: Weil der Kapitalist sein Geld auch für Gebrauchsgegenstände ausgeben könnte, die er dann konsumiert, „verzichtet“ der Kapitalist, wenn er das Geld stattdessen investiert. Für diesen „Verzicht“ hat er den Gewinn „verdient“. Relativ zur Fragestellung, wie wird der sich ständig vermehrende abstrakte Reichtum in dieser Gesellschaft geschaffen, ist die Theorie natürlich ein Witz. Wie soll durchs Verzichten etwas geschaffen werden? Diese Theorie ist eine reine Legitimationstheorie, Ideologie, mehr nicht. Zurück zu Marx. Aufgrund der Widersprüche in der Kostpreistheorie ist er zu dem Schluss gekommen, dass der Schein trügt. Zwar behandeln die Kapitalisten alle Produktionsfaktoren zugleich als Investition und Kost, aber sie können objektiv nicht die gleiche Rolle spielen. Die Gleichgültigkeit der Kapitalisten gegenüber ihren Produktionsfaktoren beruht auf ökonomischen Zusammenhängen, die sie selbst nicht verstehen und in ihrer Gleichgültigkeit setzen sie diese Zusammenhänge immer wieder ins Werk. Kapitalisten kaufen Arbeitskräfte ein und zahlen ihnen einen Lohn. Der erste Schluss von Marx ist jetzt, dass der Lohn mit der Wertbildung nichts zu tun hat. Die Arbeiter bekommen einen Lohn, was sie dann aber im Produktionsprozess leisten und an Wertbildung schaffen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Gewinn der Kapitalistenklasse resultiert daraus, dass die Arbeiter mehr Wert schaffen, als der Kapitalist an Lohn an sie bezahlt hat. Die Arbeiter können sich über den Lohn mehr schlecht als recht erhalten, in der Produktion leisten sie Mehrarbeit, welcher sich im Gewinn manifestiert. Das ist mit Ausbeutung im Marxschen Sinne gemeint. Kapitalisten verfügen über Resultate fremder Arbeit. Ausbeutung ist bei Marx nicht die sichtbare Extra-Schweinerei in einem besonderen Betrieb, sondern das Prinzip der kapitalistischen Gesamtökonomie. In dem Text „Armutsdebatte 2006“ kam es darauf an, zu zeigen, dass diese Erklärung der Ökonomie den Klassenkampf als notwendig herausstellt und nicht als eine durch geschickte Politik oder besonders ethisches Unternehmertum zu vermeidende Sache. Das haben Wissenschaftler, die Fans der bürgerlichen Gesellschaft waren und sind, dahin gebracht ein alternatives Gesellschaftsbild zu erfinden: Das Schichtmodell. Das erklärt nichts, setzt aber die Idee in die Welt, dass der Klassengegensatz ein Unterschied unter vielen in der Gesellschaft ist. Der Schluss, dass Pfaffen und Rechtsanwälte keinen abstrakten Reichtum schaffen, aber davon leben, beruht auf der Erklärung, was der abstrakte Reichtum in dieser Gesellschaft ist und wie er geschaffen wird. In Analogie zu dem obigen Beispiel mit der Kalkulation von Kapitalisten kommt man auch hier zu dem Schluss: Nur weil jemand mit seiner Tätigkeit Geld verdient, heißt es nicht, dass er einen Beitrag zur Schaffung dieses abstrakten Reichtums geleistet hätte. Warum, das versucht die Antwort auf den Leserbrief zum Thema „produktive und unproduktive“ Arbeit zu erklären (siehe oben). Nur soviel vorweg: Mit dem Hinweis auf die Abhängigkeit der Einkommensquellen von der Ausbeutung sollte keine Klage der Ungerechtigkeit losgetreten werden, auch nicht der Streit darum, ob Pfaffen und Rechtsanwälte ihr Geld fair verdient haben, weil sie es selbst geschaffen haben. Mit dem Hinweis auf den ökonomischen Zusammenhang von Einkommensquellen und Ausbeutung als gesellschaftliches Prinzip sollte an der Stelle nur auf die zentrale Stellung des Klassenverhältnisses in dieser Gesellschaft hingewiesen werden. Letzteres versucht das Schichtmodell zu leugnen, indem es das Bild in die Welt setzt: Alles ganz schön unterschiedlich hier.
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