Im August 2009 erreichte uns folgender Leserbrief. Unsere Antwort folgt darunter
Hallo an euch, ich stehe ganz am Anfang des K1 beim Versuch mir damit zu erklären warum ich in dem Laden einfach nicht wirklich glücklich werde und bin so auch auf euch gestoßen und dachte mir dass ihr euch vielleicht nicht zu schade seid mir mit einer Frage weiterzuhelfen.
Ich bin auf die Bestimmung von produktiver und unproduktiver sowie von direkt produktiver sowie indirekt produktiver Arbeit gestoßen. Die beiden letzteren sind wohl Kurz'sche Kategorien der ja die Ansicht vertritt, dass der Kapitalismus gerade jetzt wie verrückt am "verfaulen" ist, weil u.a. neben dem Ersetzen von Menschen durch Maschinen auch zusätzlich so viel Arbeit unproduktiv bzw. indirekt produktiv würde und damit immer weniger Mehrwert produziert werden kann. Produktive Arbeit wird meiner Ansicht nach nur geleistet, wenn man durch die Herstellung eines Produktes (einer Dienstleistung?) Mehrwert erzeugt den sich jemand aneignet. Es gibt aber allerhand Tätigkeiten innerhalb von Unternehmen, die etwas schwerer zu bestimmen sind, die nicht direkt in die Produkte die hergestellt werden eingehen aber eine "Bedingung" der Produktion sind. Der Wachmann etwa, die Werbeabteilung oder Kauf und Verkauf durch Geschäfte. Setzt das Bewachen einer Ware, ihr Transport, ihre Aufstellung im Regal und ihr Verkauf derselben Wert zu? Ist nun eine Reinigungskraft in einem Unternehmen unproduktiv, weil sie gar keine Ware erzeugt, geht sie also nur als Kostenfaktor in die Produktion ein? Wenn diese Reinigungskraft nun aber in einem Angestelltenverhältnis außerhalb dieses Unternehmens steht, erzeugt sie aber sicher Mehrwert in Form der Differenz zwischen ihrem Lohn und dem was für ihre Dienstleistung bezahlt wird. Was ist mit dem Lehrer und dem Wissenschaftler dessen Arbeit eine indirekt produktive ist, die also in den gesamten gesellschaftlichen Produktionsprozess eingeht und nicht auf einzelne Produkte? Fällt diese Arbeit aus der (Mehr-) Wertschöpfung heraus weil sie sich quasi in allen Waren manifestiert? Wie verhält es sich mit dem Apparat der Herrschaft und seinen Schergen? Ohne Herrschaft und Polizei kein Kapitalismus - aber ist deren Arbeit gesellschaftlich produktiv? Ich persönlich sehe den Kapitalismus alles andere als "verfaulen". Aber würde sich nicht auch eine Zunahme an unproduktiver Arbeit die keinen Mehrwert erzeugt zusätzlich auf tendenziellen Fall der Profitrate auswirken?
In der Antwort sind ab und zu ein paar Stellen aus dem Kapital von Marx angegeben, weil er dort die Sachen ganz gut erklärt. Allerdings soll das nicht das Nachdenken ersparen, kann ja auch sein, dass das nicht stimmt. Zu der Frage: Produktive – unproduktive Arbeit Unproduktive Arbeit ist solche, die nur der Eigentumsordnung (Polizei, Politikertätigkeit, Rechtsanwälte) oder dem Eigentumswechsel (z.B. Handel) dienen, kurz der Zirkulation. Produktive Arbeit ist zunächst solche, die einen Gebrauchswert schafft, der sich als Wert, dass heißt Zugriffsmacht auf fremdes Privateigentum bewährt. Weil im Kapitalismus die spezifisch kapitalistische Produktion gegenüber allen anderen Weisen der Warenproduktion als überlegen durchsetzt, engt Marx den Begriff der produktiven Arbeit auf kapitalistisch rentable Arbeit ein – siehe MEW 23/531-533. Den Unterschied zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit kann man sich so gut erklären: Der Wert soll erklärt werden, also die gemeinsame Eigenschaft aller Waren vermittelt über das Geld auf fremdes Eigentum zuzugreifen. Der Wert ist Zugriffsmacht auf fremden Reichtum, also eine Potenzbestimmung der Waren. Arbeit, die für den Eigentumswechsel notwendig wird, z.B. Kassieren im Supermarkt, realisiert zwar diese Potenz, schafft diese Potenz aber nicht. Die Frage ist ja, woher kommt der Wert, wie wird er geschaffen? Wenn unproduktive Arbeit als wertschaffend angenommen würde, käme man auf den Widerspruch: Die Arbeit, die es notwendigerweise braucht, um den Wert zu aktivieren (= Eigentumswechsel), schafft den Wert (= Zugriffsmacht) zugleich. Die Potenz wäre also gleich ihre Wirkung - ein Widerspruch. Oder als Tautologie ausgedrückt: Die Potenz, welche die Wirkung der Waren erklären soll, also den Zugriff, wird erklärt aus der Wirkung. Bei einzelnen Tätigkeiten kann beides zugleich vorkommen: Koordination in einer kapitalistischen Fabrik ist aus zwei unterschiedlichen Gründen notwendig. Weil die Produktion arbeitsteilig vollzogen wird, ist die Koordination des Arbeitsprozesses Bestandteil der produktiven Arbeit. Zugleich vollzieht ein Vorgesetzter Überwachungsfunktionen, die sich den gegensätzlichen Interessen von Arbeitern und Eigentümer verdanken. Diese Seite der Tätigkeit eines Vorgesetzten dient nicht der Eigentumsschaffung (Schaffung von Wert), sondern nur der Erhaltung der Eigentumsform, bzw. dass die Tätigkeit der Arbeiter sich auf die Mehrung des Privateigentums des Eigentümers abzielt und z.B. nicht einfach auf stressfreie Arbeit, die sich an der Gesundheit des Arbeiters orientiert. (siehe MEW 23/350-352) Jetzt zu einem Beispiel: „Setzt das Bewachen einer Ware, ihr Transport, ihre Aufstellung im Regal und ihr Verkauf derselben Wert zu?“ Das Bewachen der Ware verdankt sich rein der Eigentumsordnung, also der Zirkulation. Es ist unproduktive Arbeit. Auch das Aufstellen im Regal, wenn sich dies dem Zweck des Verkaufs verdankt. Der Transport dagegen ist eine notwendige Funktion für den Gebrauchswert. Der Witz an der produktiven Arbeit ist nicht, dass unbedingt ein sichtbarer Gegenstand entsteht. Die Produktion und Konsumtion des Gebrauchswertes kann unmittelbar zusammenfallen, wie beim Transport, dem Haareschneiden, dem Unterricht eines Lehrers an einer privatwirtschaftlichen Lehranstalt. (siehe MEW 24/ 150-153) und: „Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Dass letzterer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis.“ (MEW 23, 532)) Vier Punkte sind in dieser Debatte immer vorhanden oder zu beachten: 1. Die Rede von der Dienstleistungsgesellschaft oder dem tertiären Sektor ist nicht zu verwechseln mit der Bestimmung von „unproduktiver Arbeit“. Wenn zunehmend der Finanzsektor oder der Handel ausgedehnt wird, dann ist das sicherlich alles unproduktive Arbeit und zeugt davon, wie gut die Ausbeutung im produktiven Sektor funktioniert (und weniger, wie sehr der tendenzielle Fall der Profitrate angekurbelt wird). Putzkräfte, Programmierer, Solarienbetreiber usw. führen aber alle produktive Arbeiten aus. 2. Ob eine produktive Arbeit Mehrwert schafft oder nicht, hängt nicht von der Tätigkeit selber ab, sondern vom dem Zeitverhältnis, dass in dem Lohn und Arbeitsprozess eingerichtet ist. Damit ist folgendes gemeint: Der Lohn hat im direkten Sinne nichts mit dem Wert zu tun, den der Lohnarbeiter für seinen Dienstherren herstellt. Der Arbeiter bekommt einen Lohn, wie lange und wie intensiv er dann aber im Arbeitsprozess rangenommen wird, ist eine andere Sache. Zugleich ist der Lohn aber auf den Arbeitsprozess bezogen: Der an den Arbeiter weggegebene Wert (der Lohn) ist nur der Gegenwert zu einem Teil des Arbeitstages, in dem der Arbeiter schafft und entsprechend neuen Wert schafft. Die Zeit darüber hinaus, in der der Arbeiter für das Unternehmen Wert schafft, ist dagegen die Mehrarbeit, welche sich dann als Gewinn manifestiert. Beim Zeitlohn scheint das ganz anders zu sein: Der Arbeiter bekommt für jede Stunde, die er arbeitet einen Stundenlohn. Aber auch hier kann und muss man sich die Frage stellen: Warum sollte der Stundenlohn eigentlich dem entsprechen, was ein Arbeiter dann in einer Stunde leistet und an Wert schafft? Es ist sogar so, dass der Stundenlohn dem Unternehmen den Gewinn garantiert, egal wie lange der Arbeiter arbeitet. In jedem Stundenlohn ist schon das obige Zeitverhältnis eingerechnet. In jeder Stunde schafft der Arbeiter mehr Wert als er als Lohn ausgezahlt bekommt. So ist dem Unternehmen der Gewinn garantiert, auch wenn der Arbeiter nur zwei Stunden am Tag arbeitet. Exkurs: Viele Menschen kommen an dieser Stelle auf die Idee, das sei ja ungerecht. Dagegen kann und muss man mehreres sagen: Erstens, dass das so ist, ist dem Unternehmen durch das geltende Recht schlicht verbürgt. Und darauf beruht die ganze Gesellschaft. Dieser Hinweis ist wichtig, kritisiert den Gerechtigkeitsgedanken aber noch nicht richtig, weil der ja gerade meint, das gültige Recht sollte sich nach anderen Maßstäben richten. Zweitens muss man daher darauf hinweisen, dass es in dem Verhältnis Gewinn-Arbeitslohn keine „ausgeglichene“ Mitte gibt. Der Gewinn unterstellt das obige Zeitverhältnis und wenn der Lohn tatsächlich alles enthalten würde, was der Arbeiter an Wert schafft, dann gäbs eben keinen Gewinn und dann eben auch keinen Lohn. Drittens kommen daher radikale Verfechter des Gerechtigkeitsprinzip auf die Idee, dass man den Kapitalisten dann eben überflüssig machen sollte und den Betrieb und sein Ergebnis ganz in die Hände der Arbeiter geben sollte. Dagegen muss man dann fragen, ob nicht eher das Prinzip nach dem produziert wird das Problem ist und nicht der Privatkonsum der Kapitalisten, der sich aus dem Gewinn speist. Wenn Kooperativbetriebe in Arbeiterhand gegeneinander antreten, um am Markt Geld zu verdienen, zwingen sie sich wechselseitig auf, den Lohn so zu bemessen, dass der Betrieb Gewinn über hat, den sie reinvestieren, um in der Konkurrenz bestehen bleiben zu können. Damit wäre man dann wieder bei dem obigen Verhältnis. Exkurs Ende. Zurück zum Ausgangspunkt: Ich kann als Selbstständiger Privatunterricht geben, schaffe damit aber keinen Mehrwert, sondern eben nur Wert, der dann meiner Konsumtion oder meinem Sparen anheimfällt. Die gleiche Tätigkeit mit Lohnvertrag schafft Mehrwert für den Eigentümer, der meine Dienstbarkeit anwendet. (siehe MEW 23/531-533) 3. Die Frage, ob ein Lohnarbeiter produktive Arbeit verrichtet oder unproduktive, ist keine Frage des Bewusstseins und ob die einen die eine andere Gesellschaft eher wollen als die anderen. 4. Produktiv und unproduktiv im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie ist nicht zu verwechseln mit nützliche bzw. gute und unnütze bzw. schädliche Arbeit. Sicher kann man sich den kapitalistischen Charakter der Arbeit im Kapitalismus mal als Gedankenexperiment wegdenken und sich fragen, was es für eine rein auf Gebrauchswert und Bedürfnisbefriedung abzielende Produktion bräuchte, die nicht auf Konkurrenz beruht. Und siehe da: Ganz schön viele Tätigkeiten, die gerade stattfinden, bräuchte man dafür gar nicht (Rechtsanwälte, Wachschutz, Versicherungsvertreter, Werbefritzen etc.). Man kann das auch weiterspinnen und feststellen: Viele, im kapitalistischen Sinne produktive Arbeiten finden ja nur für die unproduktive Abteilung statt, angefangen von Drucker, Tinte und Papier etwa für Versicherungskram über die ganze Arbeit, die darauf verwendet wird, einem Produkt ein Image anzudichten, bis hin zu vielen Gebäuden und Transporten (z.B. Bankenpaläste, Businessflüge, Re-Importe), all das sind Beispiele für die ungeheure Verschwendung menschlicher Arbeitskraft, die sich allein der Verrücktheit "Kapitalismus" verdankt. Man sollte das aber auch als Gedankenexperiment klar haben, denn die Wirklichkeit ist das ja gerade nicht. Jeder produktive Arbeiter, auch wenn er Essen, Wohnraum oder medizinisch sinnvolle Sachen herstellt, schafft eben nicht Gebrauchswerte für die Bedürfnisbefriedigung, sondern Waren, die sich gegen die Konkurrenten bewähren sollen; Waren, welche gerade darauf abzielen ein Bedürfnis in der Gesellschaft anzusprechen, um dann die Not des Bedürftigen auszunutzen, um einen Preis dranzuhängen.
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