Schon Anfang des Jahres 2010 erreichte uns folgender Leserbrief. Unsere Antwort folgt darunter.
Boyle kritisiert Heinrichs Rezeption/Auffassung von „abstrakter Arbeit“: „Insofern besteht nur für denjenigen Verwechslungsgefahr mit naturalistischen Verhältnissen, der nicht verstanden hat, wie Gebrauchswert und konkret nützliche Arbeit aufeinander verwiesen sind bzw. warum deshalb die Bedeutung von purer Leistungsveräußerung eine ökonomische Absurdität darstellt. Heinrich dagegen beharrt auf den gesellschaftlichen Charakter der abstrakten Arbeit derart, dass er hier von Arbeit schon gar nicht mehr redet.“
Die Verwechslung mit naturalistischen Verhältnissen, was immer das sein soll, kann machen wer will. Es ist jedoch überhaupt nicht einsichtig, warum pure Leistungsveräußerung eine Absurdität darstellt. Und was der Fehler Heinrichs sein soll, wird aus der Passage auch nicht klar. Noch weniger wird erklärt, was der Begriff „abstrakte Arbeit“ bei Marx bedeutet. Der Witz an abstrakter Arbeit ist der, daß sie als wertbildende mit allen anderen gleichgesetzt wird, und zwar über die Arbeitszeit. Man muß nicht erst zum Vogelhausbauer greifen, auch ein Tischler oder Mechaniker leistet abstrakte Arbeit insofern, als es nicht drauf ankommt, daß nachher der Sessel fertig ist oder das Auto wieder fährt, sondern daß er sich dabei mit allen anderen Herstellern – nicht nur dieser Waren/Dienstleistungen –gemessen hat, sondern auch mit allen anderen Branchen, die auf dem Markt vertreten sind. Und zwar über den Wert, der in dieser Zeit geschaffen wird, in gesellschaftlich durchschnittlich notwendiger Arbeitszeit.
Diese diffuse Kritik an „abstrakter Arbeit“ zieht sich durch den ganzen Text, weil alle andere Kritik auf dieser aufbaut. Unverständlich ist außerdem das Hantieren mit dem Wort „spezifisch“ – mir erscheint, als solle das Wort „abstrakt“ dadurch schlecht gemacht werden, daß es nicht genug konkret ist.
Man muß sich einmal entscheiden: Will man beim Lesen des Kapital wissen, was Marx über den Kapitalismus herausgekriegt bzw. an ihm kritisiert hat, oder ergeht man sich lieber in philosophischen Spitzfindigkeiten?
Hallo,
wir haben uns in dem von dir kritisierten Text in erster Linie mit der Frage beschäftigt, was Heinrich über den Anfang des Kapitals schreibt oder nicht. Das muss dich nicht interessieren, könnte aber: Politisch kann man dieses Interesse untermauern mit dem Hinweis, dass Heinrichs Kapitalrezeption weit verbreitet ist und die Kritik seiner Mängel sich daher lohnen. Wenn du dich dazu entscheidest, dich über dieses Thema mit uns auseinanderzusetzen, dann solltest du dich auch mit den Stellen unseres Protokolls auseinandersetzen, die dir erstmal als Spitzfindigkeiten erscheinen und nicht einfach gegenüberstellen: Beschäftigt euch doch mit Marx.
Dass es Kapitalleser gibt und gab, die aus den entsprechenden Passagen bei Marx geschlossen haben, dass der Wert seinen Grund (und nicht bloß eine Grundlage) in der natürlichen Arbeitsverausgabung hat, ist ein Fakt. Der Wert ist nach ihrer Lesart nicht ein bestimmtes gesellschaftliches Macht- und Gewaltverhältnis, sondern eine überhistorische, natürliche Regulationsweise von Produktion und Verteilung. Diese Theorie hat in Gestalt der realsozialistischen Ländern auch schon mal die Grundlage für eine eigentümliche blöde Wirtschaftsweise gestiftet. Gegen solche Vorstellungen will Heinrich was sagen und wir haben darauf hingewiesen, dass er dagegen fehlerhaft argumentiert. Nach Heinrich würde Marx der eben skizzierte Theorie u.a. mit der Bestimmung der abstrakten Arbeit Vorschub leisten und das nennt er eine „naturalistische Verwechslungsgefahr“, die Marx befördere. Das ist über weite Strecken das Hauptthema unseres Protokolls, stimmt dieser Vorwurf bzw. wie kommt Heinrich auf den Vorwurf.
Am Anfang wollten wir nicht einfach wie du sagen: Heinrich sagt das. Dagegen sagt Marx doch das. Wir wollten halt versuchen, am Heinrich selbst seinen Mangel herausstellen.
Der erste Mangel von Heinrich, den wir festgestellt haben ist der: Er geht mit Marx mit und sucht den spezifischen Gehalt der Arbeit im Kapitalismus. „Spezifisch“ bedeutet dabei soviel wie, was ist der besondere Charakter der Arbeit im Kapitalismus im Unterschied zu anderen Gesellschaften. Deine Vermutung, dass durch „spezifisch“ die „abstrakte“ Arbeit schlecht gemacht werden soll, stimmt also weder für Heinrich, noch für uns. Wir haben dann festgestellt, dass Heinrich im folgenden so gegen Vorstellungen argumentiert, dieser besondere Charakter liege in den natürlichen Eigenschaften der Arbeit, dass am Ende gar keine Besonderheit (Spezifikum) der kapitalistischen Arbeit übrig bleibt. Es heißt bei Heinrich am Ende dieses ersten Unterkapitels in seinem Buch: Wertschaffende Arbeit ist gesellschaftlich. Er fragt nach der gesellschaftlichen Besonderheit der Arbeit und bekommt im Resultat nur raus: Die Arbeit ist gesellschaftlich.
Heinrich sagt also nicht, was die Bestimmung der abstrakten Arbeit ist. Er wendet sich aber gegen Aussagen, die abstrakte Arbeit als reine Arbeitsverausgabung (Verausgabung von Hand, Muskel, Nerv tec.) bestimmen. Darin sieht er die Naturalisierung, also eine ungesellschaftliche Bestimmung.
Letzteres sehen wir nicht so und haben daher gegen seine Überlegungen gesagt: Einerseits stimmt das schon, dass in jedem Arbeitsprozeß, sei es privatvergnüglich, sei es bei BMW, sei es im Ost-Kombinat, sei es bei den alten Griechen eben Leistung erbracht wird oder wurde. Dort aber, wo es nur auf den Gebrauchswert ankommt, ist das aber gerade nicht die entscheidende Sache, dass „Hauptsache gearbeitet“ wird. Es kommt dort entscheidend darauf an, dass die richtigen Handgriffe in ordentlicher Form gemacht werden. Im Kapitalismus dagegen ist die Absurdität, dass alle konkrete Arbeit nochmal unter dem Maßstab Leistung überhaupt gebrochen wird. Das ist die Bestimmung der „abstrakten Arbeit“. Was daraus folgt, schreibst du ungefähr so wie wir später in dem Papier unter Punkt 3. auch: Darin ist der Vergleich am Markt aller konkreten Arbeiten Branchenintern, sowie Brachenübergreifend enthalten. Das bekommt denjenigen, die die Arbeit im Kapitalismus leisten, nicht gut.
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