11.05.2003 PDF

Kündigungen gegen Arbeitslosigkeit

Mit der Agenda 2010 ist die x-te polititische Initiative unterwegs, die darauf aus ist, den Lohn in Deutschland zu senken. Sozialversicherungsleistungen für die Arbeitnehmer werden gekürzt und/oder auf Versicherungen oder Barzahlungen umgeschichtet, die der Arbeiter dann aus seiner eigenen Tasche bezahlen kann. Noch jede Lohnforderung der Gewerkschaften wird als Anmaßung kritisiert, obwohl bei den Vertragsabschlüssen nicht einmal ein Inflationsausgleich herauskommt. Und glaubt man der Agenda 2010, sind Flächentarifverträge ein einziges Hindernis für die aktuellen Probleme von Deutschland.



In dieser Debatte wird neuerdings noch folgendes Argument vorgebracht: Die Gewerkschaften würden nur die Interessen von Arbeitsplatzbesitzern vertreten und stünden damit im direkten Gegensatz zu den Interessen der Arbeitslosen. Die Vertretung der Arbeiter kümmere sich gar nicht um einen mittlerweile fünf Millionen Köpfe zählenden Teil der Arbeiterklasse, die Arbeitslosen. Weil die Gewerkschaft partout am Kündigungsschutz festhalten will und gegen dessen Lockerung Widerstand angekündigt hat, verbaut sie mutwillig die Chancen der Arbeitslosen auf einen Arbeitsplatz. So argumentiert z.B. Herr Peffenkoven, einer der fünf Weisen aus dem Sachverständigenrat. Und mit derselben Argumentation will die FDP am ersten Mai mit einer eigenen 1. Mai-Demonstration in Berlin antreten: Im Namen der und für die Arbeitslosen fordert die FDP die Abschaffung von Kündigungsschutzgesetzen.

Der beschworene Interessensgegensatz zwischen Arbeitslosen und beschäftigten Arbeitern enthält einige Gemeinheiten. Zunächst einmal wird der Eindruck vermittelt, ein Arbeitsplatz mit tariflichem Arbeitsvertrag sei schon so etwas wie eine Hängematte, auf der man es sich gemütlich machen könne. Daher muß jetzt vom glücklichen, weil beschäftigten Arbeiter gefordert werden, sich dem direkten Vergleich mit dem Arbeitslosen auszusetzen.

Kündigungsschutzgesetze werden inzwischen als ein Privileg und damit als Ungerechtigkeit betrachtet, weil sie nur für diejenigen gelten, die angestellt sind. Gefordert ist die Konkurrenz! Dafür soll - und so wird es dem Arbeitslosen ja auch schmackhaft gemacht – erst einmal die Chancengleichheit zwischen beschäftigten und unbeschäftigten Arbeitern wieder hergestellt werden, die ja bislang durch den Kündigungsschutz torpediert wurde; so die neue Einschätzung der Lage des Arbeitsmarktes von denen, die ihn verwalten! Dass alle dabei einen Arbeitsplatz bekommen, ist selbstverständlich nicht angepeilt. Eine Chance ist gerade das Gegenteil von einer Garantie. Die Versorgung der Arbeiter ist ihre Sache, sie sollen ihre Chance nutzen und zwar gegen andere! So funktioniert Konkurrenz. Den Arbeitslosen wird dringend angeraten auf Kosten der aktuell noch arbeitenden Bevölkerung ihr Glück in der Arbeit zu suchen, ihnen sollen die Augen geöffnet werden darüber, wer hier wirklich das Beschäftigungshindernis darstellt: die beschäftigten Arbeitnehmer sind die Schuldigen, sie sind die Barriere für die Bewältigung des Elends der Arbeitslosen. Nur in dieser Logik tauchen dann Kündigungsgesetze als Beschäftigungshindernis auf. Und die beschäftigten Arbeiter bzw. ihre gewerkschaftliche Vertretung soll sich wegen dieser Logik eins schämen, weil sie nur an sich denken. Die moralische Keule an dieser Stelle entbehrt nicht einer gewissen Komik, oder ist jemandem einmal aufgefallen, daß Konkurrenz sich dadurch auszeichnet, daß man immerzu an andere denkt?

Den Arbeitslosen wird ganz unsachgemäß für die Bewältigung ihrer Situation nur eins angeraten: Arbeit überhaupt. Als wenn ihr Problem darin bestünde, nicht zu arbeiten. Dabei liegt ihr Problem doch darin, daß sie am gesellschaftlichen Reichtum nur dann teilnehmen können, wenn sie über Geld verfügen und dieses für Eigentumslose nur über die Bereitstellung von Dienstbarkeit zu haben ist. Das heißt, wenn ein Unternehmen sie haben will. Es mangelt ihnen also an Lohn oder genauer an bestimmter Lohnhöhe und nicht an Arbeit überhaupt. Das Angebot der FDP (und des Restes) besteht aber nur darin, die beschäftigten Arbeiter im Preis zu unterbieten und dafür zu sorgen daß kein anderer Arbeitsloser (auch nicht derjenige, den man selber gerade unterboten hat) einen selbst unterbietet. Was in der obigen Überlegung als Wunschszenario angepeilt wird, ist doch gerade das Sich-Gegeneinander-Ausspielen der Arbeiterklasse in Sachen Lohnhöhe.

Eine Anmerkung zwischendurch: Wer glaubt, der Witz vom bestehenden Kündigungsschutz liege in der Verhinderung von Kündigungen, täuscht sich. Dreist ist es allerdings, wenn man einen Arbeitsplatz mit einigen vertraglichen Rechten und vielen vertraglichen Pflichten als Hängematte bezeichnet. Kündigungsschutzgesetze stellen Regeln auf, unter denen gekündigt werden kann. Die Kündigung ist damit keineswegs ausgeschlossen, Oder woher kommen fünf Millionen Arbeitslose? Und warum Arbeiter mit einem Acht-Stunden-Vertrag es sich bieten lassen, 2-6 Überstunden täglich zu leisten, erklärt sich nicht gerade aus der bombensicheren Situation der heutigen Arbeitsplätze.

Zurück zum Spiel: alle gegen alle. Die noch beschäftigten Arbeiter werden wiederum mit einem anderen Argument gegen die Arbeitslosen aufgehetzt. Weil der Lohn eh recht knapp ausfällt und der Staat sich das Seine nimmt, rät die Politik dem Arbeiter, mal einen Blick auf seine restlichen Lohnabzüge zu werfen und sich zu fragen, ob sich da nicht jemand auf seine Kosten ein schönes Leben macht. Dem Arbeiter wird nahegelegt hier den Grund dafür zu sehen, warum der Lohnzettel so mager ausfällt. Mit der Masche wurde von CDU/CSU/FDP und jetzt auch von Rot/Grün für Kürzungen der Versicherungsleistungen bei den Arbeitern geworben. Mit dem Versprechen, daß nur so das “Notwendigste” gesichert bleibt.
Das “Notwendigste” ist dabei ein reichlich dehnbarer Begriff. Dehnbar ist der Begriff, weil das “Notwendigste” politisch definiert wird. Es wird vom Staatshaushaltsstandpunkt aus beschlossen, was man sich leisten will und die Mittellosen müssen zusehen, wie sie damit zurecht kommen. Und dadurch, daß sie von allem Möglichen Abstriche machen (müssen), z.B. auf vernünftigen Zahnersatz verzichten, beweisen sie der Politik dann auch, daß sie das “Notwendigste” richtig bestimmt hat – immerhin leben sie ja noch, wenn auch die Zähne vielleicht ein bisschen gelitten haben.

Nun gut, damit sich die Arbeitslosen nicht mit Karlsquell und Tütensuppe einen faulen Lenz gönnen, muß man ihre Initiative fördern, einen Job zu erwerben. Das Ziel, weniger Geld für Leute auszugeben, die nix tun, ist zugleich der Hebel, um die nötigen Anreize zu schaffen. Indem das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe gekürzt werden, soll der Wille zur Arbeit gefördert werden. Solche Methoden lassen sich mit anderen “nützlichen” Sachen verknüpfen wie z.B. dem bevölkerungspolitisch gedachten Vorschlag, die volle Rente nur noch für vierzigjährige Lebensarbeitszeit plus mindestens drei Kinder in die Welt gesetzt erwarten zu dürfen. Aber das mal beiseite.

Was ist bei dem Hebel unterstellt? Die Arbeitslosen haben keine Mittel um ihr Leben zu bestreiten und sind vom Staat abhängig. Damit hat er es in der Hand durch die Variation der Summe Geld, die als Existenzminimum bezeichnet wird, die elende Situation des Arbeitslosen zu intensivieren. Die Sozialhilfe ist keine Hilfe, was man an der Höhe des sprichwörtlichen “zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel” bemerken kann. Die Abhängigkeit der Mittellosen von dieser “Hilfe” wird ausgenutzt, um den Arbeitslosen anzutreiben. Die relative Bereitschaft des Arbeitslosen sich am Arbeitsmarkt jeden Scheiß gefallen zu lassen, soll dadurch erhöht werden. So sollen die paar Millionen Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt gepreßt werden. Sei es über die Hartz-Zeitarbeitsfirmen oder die Annahme von ein paar Minijobs. Kündigungsschutz? Urlaubsgeld? Lohnfortzahlung? Na, da wollen wir doch nicht wieder das Anspruchsdenken durchkommen lassen. Wir sind hier doch nicht in der DDR. Nein, hier herrscht Freiheit und das heißt, dass man selber zusehen muss, wo man bleibt. Für die Beschäftigten, denen das Kürzen der Versicherungsleistungen so einleuchtet, kommt dabei raus, daß sie sich einer Arbeiterarmee gegenüber sehen, die auch für die Hälfte arbeitet, weil man ohne Geld in dieser Gesellschaft nicht leben kann.

Während man in der Konkurrenz von Unternehmen und auch bei Staaten noch Gewinner und Verlierer erkennen kann, läuft die Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse, die hier von der Politik gefordert und gefördert wird darauf hinaus, daß keiner gewinnt und alle verlieren. Das hat System. Und in dieser Hinsicht stimmt dann auch mal der Vorwurf an die Gewerkschaften, daß sie die Interessen der Arbeiter nicht richtig verfolgen würde. Die Arbeiter dazu zu bringen, mit der Konkurrenz aufzuhören, die ihnen schadet wäre die einzig richtige Vertretung von Arbeiterinteressen. Von der Lohnarbeit überhaupt Abstand zu nehmen, wäre dann die Konsequenz. Nur, das haben die Vertreter des Vorwurfs an die Gewerkschaften nicht im Kopf, denn deren Losung heißt nicht: Lohnarbeit abschaffen.