05.12.2011 PDF

Gentrification: Briefwechsel zwischen Andrej Holm und Junge Linke, sowie ein überarbeiteter Text

Die Gruppe Jimmy Boyle hat im Juni 2011 in der Reihe agitare bene eine Veranstaltung zum Thema Gentrification gemacht. Das Referat wurde verschriftlicht und hier veröffentlicht. In diesem Text wurde öfters Bezug auf Andrej Holm genommen, der zu diesem Thema publiziert und politisch arbeitet. Andrej hat uns einen Leserbrief geschrieben, der unten veröffentlicht ist. Wir haben wiederum eine Antwort geschrieben, die dahinter zu finden ist. Weiter ist der Ursprungstext entlang dieser Debatte überarbeitet worden. Darin haben wir Kritiken von Andrej aufgenommen, an anderer Stelle unsere Kritik an Positionen von ihm präzisiert. Dieser Artikel findet sich hier: Gentrification. Der ursprüngliche Artikel ist von der homepage genommen, um Verwirrungen zu vermeiden.
Demnächst wird diese Debatte auf Andrejs Blog zu finden sein:  http://gentrificationblog.wordpress.com/
Dort kann man mit ihm und anderen zu dem Thema bloggen. Leserbriefe an uns bitte weiterhin an info@junge-linke.de schicken.

 

Andrej Holm schrieb im Herbst 2011:

Hallo Agitare Bene Berlin,

schön dass sich die Junge Linke mit Themen der Stadtentwicklung und Gentrifcation beschäftigt und schön auch zu sehen, dass ihr einige von meinen Texten gelesen habt und euch damit auseinandersetzt.

Die meisten Argumente aus eurem Vortrag kann ich gut verstehen und würde es in vielen Aspekten so oder so ähnlich auch ausdrücken. Was mich daher gewundert hat, ist der ko0nfrontative Einstieg in euren Vortrag, der sich so ablehnend an meinen Überlegungen zu unterschiedlichen Eigentümertypen abarbeitet.

Damit das nicht so verkürzt (wie in eurem Vortrag dargestellt) stehen bleibt, ein paar Anmerkungen zur Ökonomie des Wohnungsmarktes. Gleichwohl ich die unterschiedlichen Bewirtschaftungsstrategien von Einzeleigentümer/innen und professionellen Immobilienfonds als Ent- bzw. Beschleunigungsmoment der Gentrification beschreibe, habe ich sicher nicht wie von euch unterstellt, das grundsätzliche Interesse von Grundeigentümer/innen an Mietsteigerungen geleugnet. Und ganz bestimmt habe ich den Erfolg von immobilienwirtschaftlichen Strategien nicht an den Zuzug von Reichen gekoppelt. Ganz im Gegenteil versuche ich ja in den meisten Beiträgen die angebotsseitigen Erklärungen gegenüber den nachfrageseitigen Ansätzen zu stärken.

In der Gentrfication-Forschung standen sich diese als zentrale Erklärungskonzepte lange Zeit gegenüber. Während v.a. Soziolog/innen ganz ähnlich zu euren Argumenten betonten, dass (durch den Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft und veränderte Lebenstile) die NACHFRAGE nach gut ausgestatteten innerstädtischen Wohnungen gestiegen sei, fragten kritischen Geograph/innen vor allen nach den Gründen des gestiegenen ANGEBOTS von teuren innerstädtischen Wohnungen. Während die erste Argumentation letztendlich auf relativ simple Angebots-Nachfrage-Modelle abhebt, versucht der zweite Ansatz die veränderten Bedingungen der immobilienwirtschaftlichen Investitionen in den Vordergrund zu stellen.

Das Verhältnis der beiden Erklärungsansätze ist ein bisschen wie die Frage nach der Henne und dem Ei - und in der Praxis ist ziemlich klar, dass sich ohne die künftigen Innenstadtbewohner/innen die Investitionen nicht rechnen würden und ohne die bauliche Aufwertung, die von euch benannten Angestellten und Führungskräfte nicht in die Innenstädte ziehen würden.

Euer Ansatz die Stadtentwicklung in einem gesamtstädtischenen - oder besser noch: gesamtgesellschaftlichen - Zusammenhang einzubetten ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Die Überlegungen der kritischen Stadtforschung gehen dabei aber über die von euch beschriebenen Zusammenhang von der "Enwicklung des kapitalistischen Geschäftslebens" und den Mietsteigerungen hinaus.

Ihr habt ja selbst sehr anschaulich beschrieben, das kleine und rentenorientierte Eigentümer/innen i.d.R. nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für aufwendige Modernisierungsarbeiten verfügen. Auch wenn aktuell in Berlin Kreuzberg und Neukölln Mietsteigerungen ohne Investitionen zu beobachten sind, bleiben Modernisierungen und darauf folgende Umwandlungen immer noch die wirksamsten Mieterhöhungs- bzw. Gewinnmöglichkeiten. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Investitionsbedingungen. Neben der erwarteten Nachfrage, die ihr so betont, konkurrieren Investitionen in den Wohnungsmarkt zum einen immer mit anderen Wohnlagen und zum anderen mit anderen Anlagemöglichkeiten. Der Kauf und die Modernisierung von Wohnhäusern in der Stadt ist ja immer ein Risiko, weil nicht ganz klar ist, ob die Kalkulation am Ende aufgeht und wird deshalb immer verglichen mit dem Risiko in anderen Städten und Stadtgebieten. Wenn wir immobilienwirtschaftliche Investitionen (nach Marx) als spezifische Form des zinstragenden Kapitals ansehen, dann steht die Investition auch immer im Verhältnis zu den Rendite-Perspektiven andere Anlagesphären (also z.B. Sparbücher, Aktien, Pensionsfonds, Investitionen in den ersten Kapitalkreislauf etc.).

Sowohl die weitgehend ausgeschöpften Suburbanisierungsmöglichkeiten im Umland und die Instabilität von anderen Anlageformen hat in den letzten Jahren den Investitionsdruck auf die innerstädtischen Wohnquartiere verstärkt. Das ist ein Trend, der in vielen Städten zu beobachten ist und sich sogar relativ unabhängig von den lokalen Wirtschaftsdynamiken vollziehen kann. Das Beispiel Berlin zeigt ja sehr deutlich, dass es eben keinen strukturellen Zusammenhang von Miet- und Einkommensentwicklung gibt und die gar nicht boomende Wirtschaftsentwicklung folglich auch nur ein beschränkte Erklärungskraft für die beobachtbaren Mietsteigerungen haben kann.

Harth und Negri haben mit dem Stichwort "die Stadt ist unsere Fabrik" übrigens einen ganz interessanten Vorschlag für eine Erklärung entwickelt. Sie unterstellen den neuen Produktionsverhältnisse der zunehmend wissensbasierten Ökonomie eine relative Autonomie, da sie nicht mehr unmittelbar dem fabrikistischen Kommando des Kapitals unterliegen. Eine Wertabschöpfung würde sich daher - so ihr Argument - notwendigerweise auf die Boden- und Immobilienmärkte verschieben. Die von euch beschriebenen Präker-Kreativen mit einer Mietbelastung von 40 Prozent des Einkommens könnten als erste Anzeichen solch eines Trends verstanden werden.

Kurzzusammenfassung: Stadtentwicklung ist nicht nur aus den Dynamiken der städtischen Ökonomie zu erklären sondern auch aus grundsätzlichen Neuordnungsprozessen des Kapitalismus (Übergang zu wissensbasierten Ökonomien und Finanzialisierung des Immobiliengeschäfts). Der Analyse von verschiedenen Grundeigentümertypen und ihren jeweiligen Bewirtschaftungsorientierungen, -strategien und -ressourcen kommt für das Verständnis dieser Prozesse eine zentrale Rolle zu.

Die Überlegungen zum veränderten (lokal)staatlichen Handeln und der Herausbildung von Immobilien-Verwertungs-Koalitionen sind sicher auch noch genauer zu diskutieren, als ihr es in eurem Vortrag angeschnitten habt. Die von euch vorgestellte Vorstellung eines 'eigenen Stadtziels' unterstellt ein Maß an lokaler oder kommunaler Autonomie, die es so nicht gibt. Die kritische Stadtforschung spricht in dem Zusammenhang von "umkämpften Räumen" und sieht die Stadt als Voraussetzung, Ergebnis und Arena unterschiedlicher (Klassen)Interessen. Die Frage dann wäre weniger: „Was will die Stadt?“, sondern „Welche Interessensgruppen haben welche Interessen an der Stadt und welche Ressourcen, die auch durchzusetzen?“

Auf jeden Fall wird Stadt als gesellschaftliches Produkt angesehen und nicht als eigenständige (quasi natürliche) Entität (die ein eigenes Ziel verfolgen könnte) Die wohlfahrtsstaatliche Stadtpolitik wäre dann eben auch nicht mehr als Balanceakt der Stadtpolitik (wie ihr es unterstellt), sondern als Abbild eines gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu interpretieren.

Soweit ein paar Anmerkungen zum Vortrag. Beste Grüße,

 

Andrej

 

 

Unsere Antwort:

 

Hallo Andrej,

feinen Dank für deine Kritik an unserem Vortrag zu Gentrification. Sie besteht grob aus zwei Abteilungen. Erstens setzt du dich lange mit unseren Überlegungen zur Politökonomie der Mietentwicklungen auseinander. Zweitens widersprichst du uns am Ende recht knapp bezüglich des Themas „Was ist eine Stadt“. Den letzten Punkt sprechen wir zuerst an:

 

1. Wir haben die Vorstellung kritisiert, die Stadt als ein leeres Blatt Papier zu betrachten, auf das dann ökonomische Interessensgruppen das Ihre draufschreiben. Dazu haben wir recht ausführlich Begründungen aufgeschrieben, was wir hier nicht wiederholen wollen. Du sagst recht knapp, dass du das nicht so siehst. Zwei Argumente deutest du eher an als dass du sie ausführst. Erstens hältst du die Stadt nicht für autonom genug, als dass du der Stadt ein eigenes Ziel unterstellen willst:

Die von euch vorgestellte Vorstellung eines 'eigenen Stadtziels' unterstellt ein Maß an lokaler oder kommunaler Autonomie, die es so nicht gibt.“

Die Stadt ist föderaler Bestandteil des Staates BRD. Da kann man sagen, ja, der Stadt sind bestimmte Grenzen ihrer Politik durch diese Einbettung gegeben oder andersherum: So ist die Stadt und jeder Politiker, der sich darin betätigt eben ein aktives Vollzugsorgan des gesamtstaatlichen Zweckes BRD. Und: Innerhalb dieser Ordnung steht der Stadt unterhalb der gesamtstaatlichen Schranken eine Autonomie zu, hat sie eigene Politiker, eigene Strategien usw.

Die Stadt hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort ab, also was sie an Gewerbesteuern einnehmen kann usw. Dann muss man sagen, dass diese Abhängigkeit eine politisch selbst gewählte und gewollte Abhängigkeit ist – sei es lokal, sei es im gesamtstaatlichen Zusammenhang. Auch Berlin ist Teil der politischen Gewalt und die steht über dem Geschäft, will was vom Geschäft und macht entsprechend etwas für das Geschäft. Die politische Gewalt ist nicht Ausdruck des ökonomischen Kräfteverhältnisses, wie du es siehst. Das Kräfteverhältnis ist entschieden und zwar zugunsten der politischen Gewalt.

Damit ist die Stadt keine „natürliche Entität“, weil die Natur weder einen zentralen noch einen föderalen Gewaltapparat vorsieht. Dass die Stadt „ein gesellschaftliches Produkt“ ist, ist denn auch kein Argument dafür, dass alles offen ist. Man stelle sich dieses Argument mal für ein Unternehmen vor: Weil BMW ein gesellschaftliches Produkt ist, ist da also alles offen, ist BMW nur ein Ausfluss von Kräfteverhältnissen? Bei jedem Unternehmen – am Immobilienmarkt erst recht - gelingt es doch auch dir einen eigenständigen Betriebszweck auszumachen. Bei der politischen Gewalt dann aber nicht. Warum?

 

2. Zur Immobilienökonomie: Dass die zuziehenden „Reichen“ der Grund der Mietsteigerungen seien, haben wir bei dir nicht gelesen. Im Gegenteil haben wir deinen Texten entnommen, dass du dich gerade gegen solche puren „Nachfragetheorien“ zur Entwicklung des Mietmarktes wendest und die Angebotsseite herausstellst. So haben wir es auch in unserer Einleitung des Vortrages aufgeschrieben. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei das hier nochmal extra betont.

 

3. Wir haben im Vortrag herausgestellt, dass du spezifische Bewirtschaftsungsstrategien der Anbieter unter dem Stichwort „Finanzialisierung“ zum Grund der neueren Entwicklungen nicht nur in Berlin machst. Dagegen wollten wir festhalten, dass der Grund immer noch in der prinzipiellen privatrechtlichen und marktwirtschaftlichen Bewirtschaftung von Grund, Boden und Häusern liegt.

In deiner Replik auf unseren Vortrag schreibst du dagegen, du würdest die „unterschiedlichen Bewirtschaftungsstrategien von Einzeleigentümer/innen und professionellen Immobilienfonds als Ent- bzw. Beschleunigungsmoment der Gentrification“ beschreiben.

Wäre das dein Standpunkt - Grund ist die prinzipielle Beugung von Grund und Boden unter das Ziel der Steigerung des abstrakten, in geldbemessenen Privateigentums und dann gibts derzeit besondere Beschleunigungsmomente, dann könnten wir sagen: Wir haben uns vertan, etwas bei dir falsch aufgeschnappt, wir sind uns einig, wir korrigieren den Vortrag und das Skript und streiten uns dann noch über das Verhältnis von politischer Gewalt und ökonomischen Interessen. Das ist aber nicht so.

Das Problem ist, dass du alle Beiträge zu dem Thema Gentrification so besprichst, dass da auch was dran ist, alleine aber nicht die Sache erklärt. Angebotstheorien – da ist was dran, aber...., Nachfragetheorien, da ist was dran, aber... So weist du jede Erklärung in die Schranken, aber kritisierst keine prinzipiell. Gentrification erscheint dann als ein Zusammenspiel von vielen Bedingungen. Wenn es dann um die Frage geht, wie denn nun die Mietentwicklungen zu erklären sind, kommt es dann bei dir zu Unterscheidungen wie „zentrale Ursache“ und implizit entsprechend nicht so entscheidende Ursachen. (Z.B.: „Die kritische Wohnungsmarktforschung sieht deshalb in der Verwandlung städtischen Grundeigentums in reine Finanzanlagen und der Zurückdrängung von traditionellen Grundeigentümerstrukturen eine zentrale Ursache für die Gentrificationprozesse in den Städten.“ Andrej Holm, Wir Bleiben Alle!, Münster 2010, S.27.)

So verfährst du auch mit unserer Erklärung: „Euer Ansatz die Stadtentwicklung in einem gesamtstädten - oder besser noch: gesamtgesellschaftlichen - Zusammenhang einzubetten ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Die Überlegungen der kritischen Stadtforschung gehen dabei aber über die von euch beschriebenen Zusammenhang von der 'Entwicklung des kapitalistischen Geschäftslebens' und den Mietsteigerungen hinaus.“

Es kann sehr gut sein, dass wir ein paar Besonderheiten der aktuellen Stadtentwicklung nicht auf dem Schirm haben. Auch wir hatten ein wenig Unwohlsein bei uns in der Gruppe, dass unsere bisherige Erklärung bestimmte aktuelle Phänomene noch nicht ausreichend bestimmen würde. Ein Punkt, der uns beschäftigt hat und bei dem noch Unbehagen bezüglich unsere bisherigen Erklärung besteht, führst du selber an: Der Trend zu Mietsteigerungen in vielen innerstädtischen Räumen. Mit der bisherigen Erklärung im Vortrag kann man das zwar plausibel erklären, der Verdacht ist aber vorhanden, dass uns da noch was fehlt.

Aber: Es ist ein Unterschied, ob man den Zusammenhang von marktwirtschaftlicher Benutzung von Grund und Boden entwickelt und dabei die Fortentwicklung der Spekulation auf Bodenwerten aus dem grundlegenden Mieteinnahmenziel entwickelt und dabei dann auf eine besondere Entwicklung näher eingeht oder aber man den Zusammenhang unter den Tisch fallen lässt und sich gleich nur um die Besonderheit kümmert. Dann macht man nämlich die Besonderheit zum Grund. Daher haben wir stark den Verdacht, dass die kritische Stadtforschung nicht über unsere Erklärung hinausgeht, sondern schlicht woanders anfängt und aufhört. Verdacht deswegen, weil wir uns in der Literatur der kritischen Stadtforschung nicht gut auskennen. Wenn du allerdings in deinen Texten die kritische Stadtforschung gut wiedergibst und man auch ein wenig davon ausgehen kann, dass Christoph Twickle in seinem Buch „Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle“, die Stadtforschung, -soziologie und -ökonomie einigermaßen korrekt zusammenfasst, dann ist unser Verdacht nicht nur Verdacht. Aber um bei deinen Texten zu bleiben: In der zitierten Passage aus dem Buch „Wir Bleiben Alle!“, S. 26/27 ist es zunächst einfach uneindeutig, weil du explizit keinen Grund angibst, sondern verschiedene Ursachen, die dann nebeneinander stehen. Dann erhebst du aber eine Ursache zu einer „zentralen“. Daher haben wir geschlossen, dass du eben dann in dieser Art und Weise den Grund angibst bzw. viele das aus deinen Texten eben so rauslesen werden.

Das mit den Bedingungen, Ursachen und Grund ist nicht nur eine philosophische Logikübung. Wer die finanzkapitalistische Bewirtschaftung des Wohnungsmarktes als besondere Fassung der prinzipiellen Beugung des Wohnens unter kapitalistische Kriterien verstanden hat, der ist nicht damit zufrieden irgendwie das Finanzkapital mal auszubremsen. Wer das nicht versteht, wird über das Finanzkapital schimpfen, gegen es mit Transparenten wie „Gierifizierung“ protestieren und vielleicht auch was unternehmen und dabei die kapitalistische Ordnung insgesamt weiter unterschreiben.

Genauso steht es mit der Diskussion um die Einschätzung der politischen Ordnung. Wo die vorhandenen ökonomischen Interessen einfach so als gegeben angenommen werden und ihre Setzung durch die politische Ordnung nicht gesehen wird, da liegt es Nahe, die politische Macht selber benutzen zu wollen, um das ausgemachte Problem einzudämmen. So macht man sich dann in der politischen Praxis als Bock zum Gärtner.

 

4. Dass die richtige, aber eben recht abstrakte Einsicht, „es geht halt ums Geld“, die aktuellen Mietentwicklungen nicht in ihrer Eigentümlichkeit erklärt, stimmt. Die finanzkapitalistische Bewirtschaftung von Immobilien ist für die aktuellen Entwicklungen zu erklären. Das haben wir auch gemacht. Vollkommen Recht hast du, dass uns in dieser Hinsicht aber noch eine besondere Verlängerung der finanzkapitalistischen Bewirtschaftung von Wohnraum in Zeiten einer Finanzkrise, die den Nationalkredit sei es in Form von Staatsschulden oder gleich die nationalen Gelder in Frage stellt, durch die Lappen gegangen ist.

Sowohl die weitgehend ausgeschöpften Suburbanisierungsmöglichkeiten im Umland und die Instabilität von anderen Anlageformen hat in den letzten Jahren den Investitionsdruck auf die innerstädtischen Wohnquartiere verstärkt.“

Soweit dieses Urteil auf die letzten drei Jahre der allgemeinen Kreditkrise beschränkt ist, stimmen wir dir zu, wollen das nochmal kurz aufschreiben, wie wir es richtig finden:

In unserem Referat haben wir dargestellt, wie der Wert von Immobilien gebildet wird. Die tatsächlichen oder erwarteten Mieteinnahmen werden entlang eines Vergleichszinses zu einem Bodenwert kapitalisiert. Insofern wird der Bodenwert wie der Wert einer Aktie, einer Staatsanleihe oder sonstigen Finanzpapieren ermittelt. Wenn es um die Frage der Investition geht, ist damit der Immobilienmarkt ein Teil des Finanzmarktes überhaupt und unterliegt damit auch dem Investmentvergleich.

Wenn wir immobilienwirtschaftliche Investitionen (nach Marx) als spezifische Form des zinstragenden Kapitals ansehen, dann steht die Investition auch immer im Verhältnis zu den Rendite-Perspektiven andere Anlagesphären (also z.B. Sparbücher, Aktien, Pensionsfonds, Investitionen in den ersten Kapitalkreislauf etc.).“

Auf das bestimmte Verhältnis kommen wir weiter unten in Punkt 5. noch zu sprechen.

In der Finanzkrise misstrauen die wesentlichen Institutionen ihrer normalen Praxis, Schuldversprechen zu kapitalisieren und wie einen gegenwärtigen Wert zu behandeln. Schuldverprechen wie eine Staatsanleihe oder eine Bankaktie sind dann nicht mehr gegenwärtiger Reichtum, sondern bloß ein prekäres zukünftiges Versprechen. In dem Maße wie das so durch die Finanzinstitutionen behandelt wird, machen sie das auch wahr.

In dieser Situation findet eine Flucht in die sogenannten Sachwerte statt. Statt in Staatsanleihen zu investieren, kaufen Anleger Gold und puschen dessen Wert auf Spitzenpreise. Statt in Aktien zu investieren, kaufen Anleger oder gleich ein Bankfonds Immobilien auf. Der Investitionszweck ändert sich: Es soll nicht durch den Kauf von Rechten auf zukünftige Zahlungen das Privateigentum vermehrt werden, sondern das Privateigentum soll sich überhaupt im Wert halten und sich nicht mit Entwertung von Schuldtiteln und den damit verbundenen Währungen verflüchtigen. Es findet kein Investment im engeren Sinne statt, also ein Kauf von Sachen zum Zweck der Wertvermehrung, sondern bloß ein Kauf von vermuteten wertbeständigem Zeugs.

Dieser krisenbedingte Investitionszweck findet laut Zeitungsartikeln, in denen Immobilienfirmen interviewt werden, gerade statt und erklärt erstmal die besondere aktuelle Nachfrage nach innerstädtischen Wohnraum seitens von potentiellen Eigentümern. Warum dabei nicht nur die Immobilienpreise, sondern auch die Mieten steigen, muss dann auf die Erklärungen zurückgreifen, die auch in „normalen Zeiten“ gelten, die in unserem Referat benannt sind.

 

5. Insofern es um die letzten Krisenjahre geht, gibt es tatsächlich sowas wie eine verstärkte Nachfrage nach Immobilienwerte, die alternativ und im Gegensatz zu anderen Investment getroffen werden. Insofern du aber dieses Verhältnis für einen längeren Zeitraum annimmst, würden wir dir widersprechen. Einige Passagen aus deinem Leserbrief weisen darauf hin, dass du den Trend hin zu Immobilienwerten längerfristig siehst, z.B.: „Kurzzusammenfassung: Stadtentwicklung ist nicht nur aus den Dynamiken der städtischen Ökonomie zu erklären sondern auch aus grundsätzlichen Neuordnungsprozessen des Kapitalismus (Übergang zu wissensbasierten Ökonomien und Finanzialisierung des Immobiliengeschäfts).“

Diese Theorie, dass in bestimmte Finanzanlagen investiert wird, weil es woanders nicht gut läuft, gibt es ja nicht nur bezüglich des Immobilienmarktes, sondern generell zum Thema Finanzkapital. Ein prominenter Vertreter wäre z.B. Altvater. Die Wachstumsraten in den erfolgreichen kapitalistischen Ländern sind mit 2-3 Prozent in den letzten Jahren im BIP ausgewiesen. Aktienmärkte, besondere Abteilungen des Finanzkapitals, wie Immobilien, verbriefte Kredite, New Economy-Aktien, Währungshandel weisen dagegen temporär oder auch dauerhaft höhere Wachstumsraten aus. Also, so der Schluss, müsse doch wegen Unattraktivität der herkömmlichen Unternehmen, das Wachstum der Finanzmärkte dadurch zu erklären sein, dass das vorhandene Geld zunehmend in die Finanzmärkte abwandert.

Im Folgenden wollen wir darlegen, dass diese Theorie den Widerspruch hat, einen Unterschied im Wachstum des Finanzkapitals im Gegensatz zu herkömmlichen Unternehmen zu unterstellen und zugleich um diesen Unterschied gar nicht weiß. Dass da unterschiedliche Wachstumsarten vorliegen finden wir richtig und sehen es als einen Mangel, dass das nicht verstanden wird.

Warum unterstellt die Theorie einen Unterschied im Wachstum?

Niemand würde sagen: „Textilproduktion lohnt sich in Deutschland nicht mehr so, kein Wunder das alles Geld in die Automobilproduktion geht und dies würde dann erklären, warum die Automobilproduktion soviele Gewinne einfährt.“ Jedem wäre klar, dass das Abwandern von Kapital aus einer Sphäre in die Andere, hier die Konkurrenzsituation verschärft, damit die Gewinne auf ein Normalmaß runterfahren und nicht geradezu steigern würde. Bei der Theorie über das Wachstum des Finanzkapitals wird aber angenommen, dass viel Zufluss an Kapital geradezu für Sondergewinne sorgen würde. So ist zumindest unterstellt, dass das Finanzkapital anders wächst als herkömmliche Unternehmen.

Dass das Finanzkapital eine Besonderheit im Wachstums aufweist und wie die geht, haben wir in unserer Broschüre zur Finanzkrise 2008 ausführlicher dargestellt (Nachzulesen: Was ist hier eigentlich los? Finanzkrise 2008ff). Knapp zusammengefasst: Das Finanzkapital wächst, indem es Schulden kapitalisiert und diese Schuldtitel als Geld behandelt. Von daher ist die Frage, wo Geld hinfließt keine des „Crowding Out“, also eine Frage des Entweder Oder. Indem das Finanzkapital in die Immobilienwirtschaft investiert, die vorhandenen und vermuteten Einnahmen entlang des Vergleichszins zu einer Kapitalsumme hochrechnet und dies als vorhandenen Reichtum behandelt, kann es erst recht in Daimler Benz und Co investieren, wenn es sich der Aussicht nach lohnt. Schaut man sich die Bankbilanzen an, dann kann man sehen, dass sie in alle möglichen Abteilungen des Gewinnemachens investieren. Würde die oben besagte Theorie stimmen, dann würden herkömmliche Unternehmen gar keinen Kredit mehr bekommen, weil der Immobiliensektor so fein ist.

Etwas ausführlicher ist diese Kritik an der oben benannten Theorie bei uns bislang nur in Englisch ausgeführt: http://www.junge-linke.org/en/surface-tension

Bezogen auf die Anlagebereiche innerhalb des Finanzkapitals kommen wir auf folgenden Schluss: Besonders stark wachsende Sonderbereiche finanzkapitalistischer Anlagen, wie etwa ehemals die Aktien der New Economy, wie die verbrieften Kredite, wie bestimmte Immobilienbereiche, sind nicht Ausdruck dessen, dass sich woanders das Geld nicht gut anlegen lässt. Andersherum stimmt es: Weil die Banken, Fonds etc. überall ihre „Investitionen“, also ihre Kreditverhältnisse wie Werte und quasi Geld behandeln, können sie auch noch in die Sonderbereiche investieren. Und wenn die Sonderbereiche klappen, können sie auch noch in die anderen Bereiche investieren.

Den Unterschied der bei dir vermuteten und unserer Theorie so zusammengefasst: Du sagst, weil die Investitionsbedingungen für das Finanzkapital insgesamt eher mau sind – sowohl was herkömmliche Unternehmen als auch die üblichen Abteilungen des Finanzmarktes angehen, investiert das Finanzkapital besonders stark in Immobilien. Anschaulich zusammengefasst: Weil das Finanzkapital nicht so gut funktioniert, sucht es sich ein Ventil. Wir sagen dagegen: Gerade weil das Finanzkapital gut funktioniert, funktioniert es am Immobilienende auch. Dieser Unterschied macht sich unserer Meinung denn auch im nächsten Kritikpunkt von dir an uns geltend.

Wenn du allerdings das gar nicht meinst, dann haben wir offene Türen eingerannt, was ja auch nicht weiter schlimm wäre, weil andere Leute diese Theorie vertreten.

 

6. Du schreibst: „Sowohl die weitgehend ausgeschöpften Suburbanisierungsmöglichkeiten im Umland und die Instabilität von anderen Anlageformen hat in den letzten Jahren den Investitionsdruck auf die innerstädtischen Wohnquartiere verstärkt. Das ist ein Trend, der in vielen Städten zu beobachten ist und sich sogar relativ unabhängig von den lokalen Wirtschaftsdynamiken vollziehen kann. Das Beispiel Berlin zeigt ja sehr deutlich, dass es eben keinen strukturellen Zusammenhang von Miet- und Einkommensentwicklung gibt und die gar nicht boomende Wirtschaftsentwicklung folglich auch nur ein beschränkte Erklärungskraft für die beobachtbaren Mietsteigerungen haben kann.“

Wir hatten gesagt, dass das Immobilienkapital aufgrund der Finanzkraft Mittel und Wege hat, so gestaltend auf den Wohnungsmarkt einzugreifen, dass es zur gewünschten Mietsteigerung selber beitragen kann, auf die sie bei der Bodenwertentwicklung spekuliert. Da stimmst du uns erstmal zu.

Dass das Immobilienkapital das dann (nicht nur) in Berlin so macht, willst du aber nicht einfach so als die Logik des Immobilienkapitals stehenlassen. Die Instabilität anderer Finanzanlagen ist der Grund für das innerstädtische Engagement. So erklärst du dies nicht aus der positiven Logik des Geschäfts, sondern aus dem „Druck“. Du machst die Aufwertung zu einer Verzweiflungstat der Immobilienwirtschaft. Wir halten dagegen fest: Wenn das Finanzkapital in Immobilien investiert, wird es sich vorher ausgerechnet haben, ob sich das lohnen kann und der „Druck“, den es sich dann einhandelt, ist dabei einkalkuliert.

Dass Mietentwicklungen von lokalen Wirtschaftsentwicklungen abweichen können, stimmt. Dass ausgerechnet Berlin das anzeigen würde, können wir so nicht sehen. Bezüglich des Wirtschaftswachstum, soweit man das BIP als Indikator nehmen kann, wächst die Kiste seit 2004 von einem Krisenjahr abgesehen, nachdem es vorher stagnierte. Zuvor musste das Immobilienkapital ja noch mit Sonderkonditionen mobilisiert werden, die Geschichte endete im Berliner Bankenskandal. Wir wollen begründet (siehe unsere Finanzkrisenbroschüre) nicht von einer direkten Proportionalität zwischen Wirtschaftswachstum und Wachstum der Immobilienbranche sprechen. Dass aber die Berliner Wirtschaftsentwicklung positive Indizien für die Investitionen des Immobilienkapitals liefert, dass würden wir schon festhalten.

Die Einkommensentwicklung stagniert dagegen, soweit man die durchschnittlichen Verdienste als Maß nimmt. Aber von wegen 'die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander' heißt das eben nicht, dass Berlin keine zahlungskräftigere Schichten anlockt oder aus sich heraus entwickelt. Für die ärmeren und ärmer werdende Einkommensschicht heißt das, dass sie mehr Prozent von ihrem Einkommen für Mieten abdrücken oder gehen müssen.

 

7. Auf Hardt und Negri, die du uns empfielst, gehen wir erstmal nicht ein, weil wir das nicht kennen und aus deinem kurzem Hinweis auch nicht sicher erschließen können, wie das genau gemeint ist. Auf den ersten Blick kommen uns die zwei, drei Interpretationsmöglichkeiten, die uns eingefallen sind, nicht plausibel vor. Es wäre daher hilfreich, wenn du uns die Theorie durch ein paar mehr Ausführungen oder einen Verweis auf einen Artikel verständlich machen würdest. Wenn wir dazu kommen, schauen wir uns das dann auch im Original nochmal an.

 

Beste Grüße,

Jimmy Boyle/Gruppen gegen Kapital und Nation