21.06.2024 PDF

Familienpolitik und Gender - AfD versus andere Parteien

Wenn man die konkrete Familienpolitik der Alternative für Deutschland (AfD) analysiert, lohnt es sich den Rahmen anzuschauen, in dem grundsätzlich Politik im Hinblick auf Familien stattfindet. Viele haben nichts für die AfD übrig. Dass deren Familienpolitik „von gestern“, „diskriminierend“ und „widerlich“ sei, ist vielfach Konsens. Die Familienpolitik an sich kommt da wesentlich besser bei weg, insbesondere seit der rot-grünen Reform in Richtung Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Ehen und der von allen Parteien außer der AfD und Teilen der CSU/CDU getragenen Einführung der Homo-Ehe. Die Familienpolitik wird als eine Förderung des Staates für etwas gesehen, was „die Menschen“ sowieso machen, nämlich sich in kleinsten Kohorten (ein Paar) zusammenzuschließen und Kinder zu kriegen (biologisch, adoptiert oder sonst wie). Der Staat nähme den Anforderungen an die Eltern glücklicherweise die Spitze, indem er finanziell fördert (Elterngeld, Kindergeld/-freibetrag), Institutionen zur Kinderbetreuung bereitstellt (teils beitragsfreie Kindertagesstätten) und den Eltern einen Gutteil der Bildung der Kinder abnimmt (Schule und Uni). Dass dahinter ganz konkrete Vorhaben des Staates stecken und etwa die finanzielle Erleichterung ein Mittel zum Zweck und keine reine Wohltat ist, soll im Folgenden erläutert werden, bevor sich der spezielle Variante der AfD-Familienpolitik gewidmet wird. Es soll im ersten Schritt zunächst das Allgemeine von Familienpolitik analysiert werden. Darin zeigt sich nämlich, dass der Staat zu seinen Zwecken Gesetze vorgibt und die Familienpolitik an sich schon ein Problem und keine Freundlichkeit ist. Im zweiten Schritt soll die AfD-Sicht kritisiert und analysiert werden, warum sie auf diesem Politikfeld alte Härten und Ekligkeiten wieder einführen will.1 Abschließend wird kurz auf politische Strategien zur Verbreitung ihrer Vorstellungen eingegangen.

1 Die staatliche Familienpolitik im Allgemeinen

Der bürgerliche Staat will die Familie, früher wie heute.2 Er will, dass sich Menschen in Familien zusammentun und Kinder bekommen, die in der Familie eine gewisse Vorbildung und soziale Formung bekommen. Dafür setzt er sie in ein institutionelles (Zwangs-)Verhältnis zueinander und zum Staat und gibt den (familienbereiten) Menschen Regeln vor; eine rechtlich bindende Form. So taucht die Familie im deutschen Recht im Grundgesetz (GG), dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), in Länderverfassungen als auch im Strafgesetzbuch auf. So besagt bspw.:

Grundgesetz Artikel 6 - Ehe – Familie – Kinder

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

Damit wird klar gemacht, dass sich der Staat das Verhältnis der Ehe als auch das der Familie dauerhaft und grundsätzlich zu seiner Angelegenheit macht. Es ist ist ihm wichtig, darüber die Aufsicht zu haben und die nächsten Absätze zeigen, dass er einen spezifischen Regelungsbedarf sieht.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

In diesem Absatz wird den Bürger*innen auf der einen Seite die bürgerliche Freiheit zugestanden, sich erst einmal um ihre Kinder als Subjekte privat kümmern zu dürfen. Vieles ist nicht von vornherein vorgegeben. Die Menschen gründen so aus unterschiedlichen (auch ideologischen) Gründen die Familien und dürfen diese konkret ausgestalten.3 Sie können, aber müssen keine Kinder bekommen, entscheiden wie viele und wann sie welche bekommen, etc. Sie können die Kids religiös erziehen oder ohne religiöse Anbindung; sie können sie von anderen Menschen mit aufziehen lassen (Babysitter, Großeltern, etc.), die Erziehung und Betreuung mehr oder weniger delegieren (Kita, Internat) oder ganz alleine aufziehen, solange sie das managen; sie können absurde Leistungsansprüche stellen oder versuchen ein Rund-Um-Sorglos-Paket zu stellen. Sie können in einer Kleinfamilie oder Großfamilie leben, usw., usv..

Dies nährt die falsche Alltagsvorstellung, dass man ganz bei sich im Privaten sei, doch es ist kein absolut herrschaftsfreies Feld, auf dem man Entscheidungen fällt. Denn auf der anderen Seite gibt es gesetzliche Vorgaben, die immer wieder angepasst werden. Die Vorstellung der Privatheit übersieht, dass der Staat Rahmenbedingungen setzt, bestimmte Verhaltensweisen fördert und andere nicht, eine gesetzliche Schulpflicht gilt, usw.. Grundsätzlich nimmt er die Eltern ganz prinzipiell in die Pflicht, seinen Vorgaben nachzukommen. Damit sind Aufgaben und lebenslängliche Pflichten verbunden, die in dieser Gesellschaft Härten bedeuten. Dazu gehören u.a. die physische aber auch soziale Betreuung, die Erziehung zu bürgerlichen Subjekten, die Kinder zur Schule zu schicken, die Doppelbelastung von Job und Kinder (noch immer meist für Frauen) sowie nicht zuletzt die materielle und finanzielle Versorgung. Die damit verbundenen finanziellen, zeitlichen und sozialen Belastungen und Einschränkungen liegen erst einmal als Verpflichtung bei den Privatsubjekten. Wie man damit in der Konkurrenz (um Jobs, Wohnraum, Betreuungseinrichtungen, etc.) zurechtkommt, muss man zunächst einmal privat hinbekommen. Der Staat schaut dann, ob es funktioniert und ob und inwieweit er die Familien fördern muss. So stellt die Stellungnahme der Bundesregierung zum 8. Familienbericht zum Thema Zeit und Konflikte in Familien heraus: „... schon bei der Entscheidung für Kinder und umsomehr im Zusammenleben von Familien entstehen neue Herausforderungen durch neue Rollen von Frauen und Männern und neue Zeitstrukturen Rahmen gebender Taktgeber. Zeitknappheit und Zeitkonflikte sind für Familien insbesondere in bestimmten Lebensphasen und Familienkonstellationen entscheidend.“4 Auch die finanzielle Belastung ist dem Staat bekannt, sodass es Leistungen für Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Familien gibt, die im 8. Buch des Sozialgesetzbuches (auch bekannt unter der Bezeichnung Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG) bundeseinheitlich geregelt sind. Darüber wie und ob die Menschen die Aufgabe im Sinne des Staates bewältigt bekommen, wacht der Staat. Insbesondere ob gegen Grundprinzipien wie keine Gewalt der Privatsubjekte und die spezifisch elterliche Fürsorgepflicht verstoßen wird.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

Absatz 3 zeigt, dass der Staat sich prinzipiell die Option vorbehält, die Kinder den Eltern auch zu entziehen oder zumindest sie zu kontrollieren, wenn die Erziehung nicht in seinem Sinne abläuft oder die Kinder bzw. die Zustände in den Familien nicht seinen Maßstäben entsprechen. Die konkretere elterliche Sorgepflicht bzw. das Sorgerecht regelt das BGB.5

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

Dass in diesem Absatz der Mutter ein Schutz zugesagt wird, mag als eine Errungenschaft erscheinen. Es zeigt aber, dass das Mutterdasein in dieser Gesellschaft vielfach Probleme mit sich bringt (erhöhtes Armutsrisiko, etc.). Der Staat reagiert dann damit, dass er sich gesetzlich auf eine Unterstützung verpflichtet. Wie in anderen Belangen auch, sind die bürgerlichen Subjekte erst einmal auf sich alleine gestellt. Letztlich gilt „fördern und fordern“ nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für die Nachwuchsproduktion.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Absatz 5 ist eine Reaktion darauf, dass es heute immer mehr Kinder gibt, die außerhalb der rechtlichen Form der staatliche Ehe leben. Vorher waren sie nicht gleichgestellt und wurden institutionell sowie sozial diskriminiert. Der deutsche Staat akzeptiert uneheliche Kinder nun, lässt einen Großteil der Diskriminierungen fallen und verpasst diesen Kindern den gleichen rechtlichen Status, wie den ehelichen Kindern.

Die Familie soll der Ausgangspunkt für die Entwicklung der künftigen nützlichen Staatsbürger*innen für die Gesellschaft sein. Dies ist die übliche politische Sichtweise in bürgerlichen Staaten. Aus staatlicher Logik in zwei Hinsichten: politisch als Staatsbürger*innen, die aus Überzeugung wissen, was sie zu tun haben (staatsbürgerliche Einstellung, Wahlvolk, bürgerliche Moral, etc.) und ökonomisch als fitte Arbeitskräfte für die kapitalistische Ökonomie (Eigentum einhalten, Arbeitsmoral, Soft Skills wie Konzentrationsfähigkeit, etc.). Er sieht es als einen Dienst seiner Bürger an, loyale Nachwuchsbürger „in die Welt zu setzen“ und aufzuziehen, was er dann als Erziehungsauftrag oder auch Sorgepflicht formuliert. Im Vorwort zum 8. Familienbericht (2012) heißt es dazu: „Familie erbringt unverzichtbare Leistungen für unser Gemeinwesen. Sie erzieht junge Menschen, investiert in private und öffentliche Fürsorge und stiftet sozialen Zusammenhalt. Diese Leistungen werden aber nicht selbstverständlich erbracht. Um zu gewährleisten, dass Familien die ihnen zugeschriebenen Aufgaben auch zukünftig erfüllen können, brauchen sie Schutz und Unterstützung durch Staat und Gesellschaft.“6 Unausgesprochen ist eine bestimmte Gesellschaft unterstellt. Die Menschen sollen neue Generationen für die bestehende kapitalistische Gesellschaft heranziehen. Der Kapitalismus mit seinen schädlichen Folgen, aber auch den krassen, zerstörerischen Anforderungen an die Menschen gilt als gesetzt. Dazu gehören Konkurrenz, Leistungszwang, Lohnarbeit, etc. Die Rollen in der Familie, die dann geschneidert werden (vgl. Punkt 2), passen dann zu den Anforderungen in dieser Gesellschaft.7 Da sich alle Parteien um das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft und den dazu passenden Mitgliedern sorgen und kümmern, ist Familie und so auch der Erziehungsauftrag für die richtige geistige Einstellung für alle Parteien immer ein politisches Thema. Es ist wie bei anderen politischen Feldern ein permanentes Ringen um die „richtigen“ Vorgaben und die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses, was zu einem permanenten Wandel der bürgerlichen Familienpolitik führt.

Das Verhältnis soll für den Staat produktiv werden, weshalb er es formt, fördert und so immer von sich aus aktiv setzt (egal, ob sich Bürger*innen an ihn wenden oder nicht). So setzt der Staat immer eine rechtliche Norm mit jeweiligen Härten, egal wie diese jeweils historisch ausfallen. An dieser Norm müssen sich die Menschen abarbeiten. So gibt der Staat vor, was überhaupt als eine Familie in seinem Sinne gilt, welche Rechte und Pflichten die Eltern haben und wer und was gefördert wird (Bsp. Kinderwunschförderung: Geld für eine künstliche Befruchtung gibt es für Heterobeziehungen, nicht aber für Homoehen). Diese Ansprüche an die Bevölkerung haben sich in den letzten Jahrzehnten (aus Sicht der "Betroffenen") massiv geändert. Homosexuelle und (andere) gelten nicht mehr per se als unzuverlässige Staatsbürger*innen und auf das Potenzial von Frauen im Wirtschaftsleben zu verzichten gilt inzwischen eher als Wettbewerbsnachteil.

Familienpolitik im bürgerlichen Staat ist bei aller Wandlungsfähigkeit daher niemals ein Geschenk und nicht erst die konkrete Familienpolitik der AfD ist ein Problem.

 

2 Familienpolitik und Genderkritik der AfD

Wie für die anderen Parteien, so geht es auch der AfD um funktionierende Bürger*innen, die in den Familien sozialisiert werden. Wie die Familien aussehen, was denn funktionierende Bürger*innen ausmacht und wie sie zustande kommen, darüber streiten sich Linke, Rechte und Liberale. Aber, dass es sie geben muss, darin sind sich alle einig. Dennoch hat die AfD auch hier ihre eigene Ausprägung mit spezifischen, falschen Vorstellungen, und dies trotz aller Überschneidungen mit bspw. rechten CDU- und CSU-Politiker*innen.

2.1 Familie – ein besonderes politisches Feld der AfD

Die AfD ist gemeinhin als die Antiflüchtlingspartei und Anti-EU-Partei bekannt. Für die AfD ist aber auch die Familie seit Gründung der Partei ein Kernthema. Es ist in allen ihren Programmen einer der Schwerpunkte. Die AfD nennt sich denn auch die Familienpartei. Was ist aber das besondere an der Familienpolitik der AfD, wo sich doch auch die anderen Parteien in ihren Programmen äußerst positiv auf die Familie beziehen?

2.1.1 Völkisches Familienbild der AfD

Eine Besonderheit der AfD ist, dass für sie kompromisslos nur aus deutschen Familien wieder echte Deutsche hervorgehen. Die AfD-Familienpolitik geht Richtung völkischem Familienbild. Wurde die „Zuwanderung integrationswilliger und integrationsfähiger Einwanderer nach Deutschland“ im „Programm für Deutschland“ von 2014 noch explizit bejaht, steht inzwischen im Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland dagegen: „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“.8 Auch im Programm der AfD für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 heißt es einleitend: „Mit ihrem neuen Programm steht [die AfD] deutlich für eine bessere, zukunftsorientierte Politik, die die Lebensinteressen der deutschen Familien wieder in den Mittelpunkt rückt.“ (AfD, 2016a).9 Es ist wie bei anderen Parteien eine nationalistische Vorstellung, dass es dem Wesen nach deutsche Familien gäbe. Die Forderungen der AfD richten sich nämlich nicht an Familien überhaupt, sondern an deutsche Familien einer bestimmten eingeengten Form und ist völkisch-nationalistisch begründet.10 Deutsche sind aus Sicht der AfD nur von deutschen Abstammende und Abstammung heißt letztendlich nichts Anderes, als zwischen Leuten, die "nur" den deutschen Pass haben, und Leuten, die ihrem innersten Wesen nach deutsch seien, zu unterscheiden. Dieses Wesen könne man nicht kulturell erreichen, auch wenn sich "Ausländer" in Deutschland der deutschen Kultur unterordnen (sollen), sondern nur über die Blutlinie also vermeintlich biologisch. Zugezogene und ihre Nachkommen, die die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben, gehören demnach also nicht zur eigentlichen deutschen Volksgemeinschaft. Dies bedeutet für die als Nicht-Deutsche aussortierten Familien, dass sie mit den anderen Familien nicht gleichgestellt sind. So spricht sich die AfD gegen Kindergeld für Nicht-Deutsche und gegen Familiennachzug aus. Der Grundgedanke, der nicht nur bei der AfD vorhanden ist, ist, dass es zu wenig "echte deutsche" Kinder gäbe. Dies erinnert an den Ausspruch „Kinder statt Inder“ von Jürgen Rüttgers (CDU) im Zusammenhang der Green-Card-Initiative der Schröder-Regierung 2000.

Nicht nur die AfD bezweifelt, dass man bei der Nachwuchsproduktion von funktionierenden und loyalen Bürger*innen, auf die Blutsbande verzichten kann. Die Süddeutsche Zeitung hält dazu fest: „Überhaupt sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Prinzip, dass Verantwortung wichtiger ist als Gene, bietet zwar einen guten Lösungsansatz für viele Konstellationen. Dennoch gilt: Die biologische Elternschaft ist prägendes Element einer sozialen Beziehung. Das genetische Band stärkt das Verantwortungsgefühl.“ 11 Die leibliche Vater- und Mutterschaft soll eine noch tiefere Bindung und damit das Pflichtgefühl garantieren. Die AfD hält angesichts dieses angeblichen „Vorteils“ alternative „Lösungsansätze“ einfach für gar keine – und Frauen sollen vor allem (auch) in ihrer Rolle als Mütter und Hausfrauen anerkannt und dazu angehalten werden, solche zu werden. Die AfD-Baden-Württemberg führt dazu aus: „Nur aus der Verbindung zwischen Mann und Frau gehen Kinder hervor, die die nächste Generation unserer Gesellschaft bilden. Der Schutz, die Förderung und die steuerliche Entlastung der Familie sind daher überlebensnotwendig für jedes Volk, das nicht seine eigene Abschaffung betreiben will.“12

Die AfD will das Aufgehen der Staatsbevölkerung in der deutschen Nation aus ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volk ableiten, was als biologische Gegebenheit behauptet wird. „Nur Ideologen glauben, dass Gesellschaft ohne Familie funktionieren kann oder dass jeder zu einem Deutschen wird, sobald er die Landesgrenze überschritten hat. Gefährlichen Ideologien, die die multikulturelle Gesellschaft erschaffen und die klassische Familie abschaffen wollen, erteilen wir eine klare Absage!“.13 Aus dieser Auffassung ergibt sich für die AfD eine Relativierung aller individuellen Interessen am gemeinsamen nationalen Interesse. Schließlich sollen sich daraus dann auch regelmäßig lauter Rollen, Über- und Unterordnungsverhältnisse innerhalb der Staatsbevölkerung ableiten lassen. So sind demzufolge deutsche Frauen für das Gebären und die Aufzucht eines exklusiv deutschen Nachwuchses zuständig. Davon abweichende sexuelle Identitäten und Orientierungen seien eine Gefährdung dieser Funktion, die als indiskutabler „Wahn“ gekennzeichnet werden. Ihrem Volk werden aus einem interessiertem Standpunkt heraus bestimmte ideologische Wesensmerkmale zugeschrieben. Und den biologischen Geschlechtern schließlich Geschlechterrollen zugeschrieben.

Allerdings sind in der Partei auch davon abweichende Positionen präsent. Abstammung ist dann nicht Grundvoraussetzung der Zugehörigkeit, stattdessen wird mit einer Werteordnung argumentiert, die in Teilen kulturalistisch, nämlich christlich-abendländisch, aufgeladen ist.14

2.1.2 Familien, Geburtenrate und Volk

Die aktuelle Familienpolitik der AfD ist geprägt durch eine bevölkerungs-biologische Sichtweise, wonach eine geringere Geburtenrate nicht durch Einwanderung, sondern in erster Linie durch eine höhere Geburtenrate von ausschließlich Deutschen zu begegnen sei. Daher propagiert Björn Höcke eine Drei-Kinder-Familienpolitik. Dies passt zur Antieinwanderungspolitik der Partei, die als Antiflüchtlingspartei populär geworden ist. Es ist ihre Antwort auf die Frage, wie der deutsche Staat sein deutsches Volk schaffen solle und damit auch neue, verlässliche Arbeitskräfte bekommt. Während die anderen bürgerlichen Parteien auch in begrenztem Maße Einwanderer(-kinder) für die Bevölkerungsentwicklung dazu zählen, lehnt dies die AfD als Regelfall ab.

Die Überlegungen der AfD zur Familie sind eng mit der vermeintlichen "Demografiekrise" verknüpft. Dazu heißt es im Bundeswahlprogramm 2021: "Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer aktivierenden, also geburtenfördernden Familienpolitik. Eine Fortsetzung der herrschenden, familienzersetzenden Politik wird die demografische Katastrophe, in die wir geraten sind, weiter verschlimmern. Am Ende dieses Prozesses steht auch der Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme und letztlich unserer kulturellen Identität."15 Die Geburtenrate ist seit Jahren geringer als in den 50-er und 60-er Jahren und auch in den letzten Jahren wenig angestiegen. Warum ist dies aber für die AfD derzeit Thema und ein Problem? Während andere Parteien u.a. im Zuzug von Menschen aus anderen Nationalstaaten eine Möglichkeit sehen, Arbeitskräfte zu bekommen, sieht die AfD darin rassistisch und nationalistisch begründet eine Gefährdung des deutschen Volkes. Sie unterstellen den zugezogenen Menschen eine fehlende Loyalität gegenüber der deutschen Nation. Sie sprechen darüberhinaus rassistisch von der Überfremdung des deutschen Volkes durch Nicht-Deutsche.16 Deutschland verlöre seine Identität und schaffe sich so ab. Zum Thema Kinderlosigkeit und kleinerer Familien sagt die AfD: "Die AfD stemmt sich gegen diesen Trend zur Selbstabschaffung und will Deutschlands Gesellschaft von Grund auf familien- und kinderfreundlicher gestalten.17 Zur Nation zugehörig erkennt sie nur Menschen an, die von "echten" deutschen Staatsbürger*innen abstammen. Sie will durch eine andere Familienpolitik die Geburtenrate steigern, das „reine deutsche Volk“ schaffen und mit ihm die deutsche Nation sichern.18

Für die AfD ist das "Deutsche Leben" ein Wert an sich. „Nicht zuletzt zeigt sich eine kinder- und familienfreundliche Politik auch in einem klaren Bekenntnis zum Wert des Lebens. Die AfD-Rheinland-Pfalz tritt daher gemäß Artikel 2 Grundgesetz für einen umfassenden Schutz des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod ein.“19 Weil für die AfD das "Deutsche Leben" ein Wert an sich ist, wird der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch bekämpft. So fordert die AfD in ihrem Europawahlprogramm 2024:„… Daher muss Abtreibung die absolute Ausnahme werden, z. B. bei kriminologischen oder bei medizinischen Indikationen. Das würde bedeuten, dass Abtreibung in allen anderen Fällen unter Strafe20 gestellt und ein Abbruch wieder gänzlich verboten werden würde.21 Unter dem moralisierenden Titel vom Schutz des Lebens soll Abtreibung wieder nahezu verboten werden und Frauen zum Austragen der Kinder gezwungen werden. "Deutschen" Frauen müsse aufgezeigt werden, "...dass es sinnvoll ist, dass es eine gute und richtige Sache ist, ein Kind auch wirklich auszutragen."22 Das heißt, die AfD belässt es nicht nur bei Abschaffung der Selbstbestimmung der Frauen über ihren eigenen Körper, sondern macht moralisierend Werbung dafür, dass sich die Frau der biologischen Reproduktion der Gesellschaft widmen müsse.

Einerseits will die AfD die Reproduktion der deutschen Bevölkerung sicherstellen. In diesem Sinne ist die Familienpolitik der AfD somit übliche Bevölkerungspolitik. Die Differenz zu anderen Parteien ist, dass sie durch die derzeitige Familienpolitik die Familie und mit ihr das deutsche Volk in Gefahr sieht: Sie will mehr „echte Deutsche“, ein (möglichst) "reines deutsches Volk" und nicht mehr Menschen durch Einwanderung.23

2.1.3 Klassische Ehe und Familienpolitik

Im Kern vertritt die AfD die klassische Ehe und Familienpolitik der alten BRD (von 1949 bis in die 70-er Jahre).24 Im 2021 verabschiedeten Programm der Alternative für Deutschland für die Bundestagswahl heißt es dazu: "Die AfD bekennt sich zur Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft. Sie besteht aus Vater, Mutter und Kindern. Familie bedeutet Sicherheit, Obhut, Heimat, Liebe und Glück. Dieses Werte- und Bezugssystem wird von Generation zu Generation weitergegeben. Von linksgrüner Seite jedoch wird die Institution Familie aus ideologischer Motivation heraus diskreditiert, um sie durch andere Leitbilder zu ersetzen" (AfD, 2021).

Mal abgesehen davon, wie viel Sicherheit, Liebe und Glück den durchschnittlichen Familienalltag tatsächlich so ausmacht: Die AfD stellt diese Institution als heilen Ort dar, während das reale bürgerliche Subjekt in seiner dauerhaften Unsicherheit außen vor bleibt. Die realen Verhältnisse in Familien werden schöngeredet - die AfD und alle, die die Familie abfeiern, abstrahieren damit immer von genau den Anforderungen, die von Staat und Gesellschaft an genau die Einrichtung Familie gestellt werden (siehe 1.). Und so sieht es dann praktisch aus: Familie ist der Ort, an dem Konflikte zwischen Eltern und Kindern rund um das "Erwachsenwerden" stattfinden, Konflikte zwischen Eltern bezüglich der "richtigen Entscheidungen", der "gerechten" Verteilung von Aufgaben, etc. ausgetragen werden. Familienalltag ist daher auch Streit, Frust, Entfremdung, etc., die Jugend- und Familienberatung immer wieder nötig machen. Kein Wunder also, dass Ehen immer regelmäßiger wieder geschieden bzw. Eltern sich trennen. Und diese Situation liegt nicht an "linksgrüner Ideologie", sondern an gesellschaftlichen Verhältnissen, die in Familien Situationen hervorbringen, die von ökonomischen Zwängen, finanziellen und mentalen Abhängigkeiten, zerstörerischen Selbst- und Fremdanforderungen sowie Sexismus geprägt sind.

Die AfD (wie auch die anderen Parteien) erkennt zwar an, dass Familie und Kinder mit harten gesellschaftlichen Anforderungen verbunden sind (siehe Kapitel 1). Die AfD Baden-Württemberg formuliert dies im Wahlprogramm so: „Wer heute für eine Familie Verantwortung übernimmt, verliert an Flexibilität und riskiert berufliche Nachteile. Daher scheuen immer mehr Menschen eine lebenslange Bindung. ... Es muss ein grundsätzlicher Wandel mit dem Ziel erfolgen, Paare zu unterstützen, damit sie auch Krisenzeiten durchstehen.25 Dabei fällt auf, dass aber auch die AfD nicht wirklich Probleme mit der kapitalistischen Gesellschaft und deren Auswirkungen auf Familien hat. Diese sollen nur anders verwaltet werden als es die jetzige Politik tut. Der Staat verwaltet die relative Armut und die AfD sagt, dass es dabei zu wenig oder sogar die falsche Unterstützung für deutsche Familien gäbe. Warum sorgt sich die AfD um die Familie? Zum einen, weil die Familie für den Staat die Schaffung von funktionierenden Staatsbürgern gewährleistet (siehe Kapitel 1). Zum Anderen aber, weil sie dies im Gegensatz zu den anderen Parteien ausschließlich durch deutsche Hetero-Paare gewährleistet sieht und sie durch die derzeitige (Familien-)Politik das deutsche Volk gefährdet sieht (siehe 2.1). Der Familie ist bei der AfD dabei das bürgerliche Ideal der lebenslangen Bindung unterstellt. Die Paare sollen lebenslang für einander da sein und dann in dieser Zweierbeziehung lebenslang um ihre Kinder kümmern. Die subjektiven Bedürfnisse sollen den Aufgaben der gegenseitigen Versorgung (Ehepartner / Kinder) lebenslang möglichst bedingungslos untergeordnet werden. Dabei schadeten alle alternativen Formen des Zusammenlebens diesem Ziel.

Von der AfD wird daher nicht bloß die aktuelle Familienpolitik abgelehnt. Die AfD stellt letztlich nahezu die gesamte Liberalisierung seit den 70-er Jahren in Frage, wozu die Förderung der Vollerwerbstätigkeit der Frauen, Quotierung, Antidiskriminierungspolitik, etc. gehören. Für sie ist es eine falsche Frauenförderung und untergrabe die Familie und damit das deutsche Volk. „Wir respektieren die eingetragene Lebenspartnerschaft. Deren Gleichstellung mit der Ehe lehnen wir aber ab. Das Recht auf Adoption muss Ehepaaren vorbehalten bleiben. Wir sind fest davon überzeugt, dass es für das Wohl von Kindern und Jugendlichen am besten ist, wenn sie von Vater und Mutter umsorgt aufwachsen.“26 Die Gleichstellung der klassischen Hetero-Ehe mit anderen Ehe-Gemeinschaften halten sie für einen fatalen Fehler. Sie sehen in der Diskriminierung anderer Ehegemeinschaften einen Nutzen für das deutsche Staatsvolk. Nur aus der Hetero-Ehe gingen ihrer Ansicht nach erfolgreiche Staatsbürger*innen hervor.

Familienschutz statt Genderwahn: Eine Gender-inspirierte Gleichstellungspolitik, die die durchgehende Vollerwerbstätigkeit beider Eltern als Idealbild anstrebt, lehnen wir ab. Alle Kinder haben das Recht, innerhalb ihrer Familie mit Vater und Mutter aufzuwachsen. Aufgabe der Politik ist es, dafür die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen. Alles, was Familien nicht stärkt, sondern schwächt oder zerstört, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.“27 Die AfD sieht keine Möglichkeit der Modernisierung, weil es für sie nur einen deutschen Weg geben kann, nämlich den traditionellen, der genau zum Deutschsein passe.

Der AfD geht es ihrer eigenen Programmatik nach um die Kinder. Tatsächlich geht es aber nicht um eine schöne Zeit für Kinder überhaupt, sondern um ein striktes Programm, wie deutsche Familien aussehen sollen. Im Kern geht es um den Kindernachwuchs und das die Kinder ihre "deutsche Identität" entwickeln können sollen. Die AfD fokussiert die Familie in erster Linie auf die funktionierende und heteronormative Familie, die lebenslang zusammen bleiben soll. Da „gesunde Kinder“ und funktionierende Staatsbürger*innen aus ihrer Sicht nur aus Heterobeziehungen hervorgehen können, spielen Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien eine schädliche Rolle und werden als Familien verneint (vgl. AfD Sachsen, 2014). Sie haben sich in ihrem politischen Programm für die Rollenverteilung entschieden und bebildern das mit biologistischen Annahmen und Unterstellungen: die geschlechtliche Fortpflanzung sei natürlich und damit die einzig sinnvolle, es ergäben sich daraus biologische Rollen der Geschlechter, die wie bei Tieren funktional seien (was nebenbei auch Quatsch ist), eine Abweichung von einer vermeintlich natürlichen Ordnung führe zu Problemen bei der Fortpflanzung. Allein die Darstellung im Schulunterricht, dass es homosexuelle Lebensgemeinschaften und transidente Menschen gibt, ist für sie ein Angriff auf die traditionellen Rollen in der Familie, die Familie und Volk zu zerstören drohe. Daher sollen Kinder überhaupt nicht mit anderen möglichen geschlechtlichen Identitäten und Möglichkeiten von Sexualität in Kontakt kommen. „Im Zeichen der Verantwortung für unsere Kinder steht die Forderung der AfD nach Beendigung der Frühsexualisierung und anderer ideologischer Beeinflussungen in Schulen und sogar Kindergärten, wie sie der grün-rote Aktionsplan und der Bildungsplan vorsehen. Ein Staat, der sein Bildungsmonopol für Eingriffe in die Intimsphäre und ideologische Indoktrinationen der ihm anvertrauten Kinder missbraucht, ist auf dem Weg zur Gesinnungsdiktatur.“28

Die heutigen Inhalte der Bildungspläne zum Thema Sexualität werden als Gefährdung der Kinder und als Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gebrandmarkt. Das, was der AfD nicht ins Konzept passt, sei ein Eingriff in die Intimsphäre. Warum? Sie vertraut nicht darauf, dass die Bürger*innen sich schon heteronormativ verhalten, sondern will allen nicht-hetero Identitäten gleich einen Riegel vorschieben, indem jeglicher Gedanke und alle Diskussion schon im Ansatz soweit wie möglich eingedämmt wird. Dabei geht die AfD dann im Vergleich zu den anderen Parteien und der aktuellen Staatspraxis unter der Maßgabe der Heteronormativität zurück zu früheren Vorgaben. Der Verweis auf den Eingriff in die Intimsphäre wird hier von der AfD benutzt, da es zu ihrer Argumentation passt. Ansonsten muss man sagen, dass die gesamte Familienpolitik ja immer Vorgaben macht und reglementiert (siehe Abschnitt 1) und die geforderten Vorgaben der AfD die Menschen umgekehrt in vielfältiger Weise sehr stark einschränken würden und diese in die Intimsphäre der Menschen eingreifen.

2.1.4 Absage an alternative Lebensentwürfe

In den 60-er Jahren stießen sich allgemein wahrnehmbar mehr Menschen an der heteronormativen Kleinfamilie, grenzten sich davon ab und suchten nach alternativen Lebensentwürfen (bspw. Kommunen). Sie erlebten oder fühlten, dass sie unter den gesellschaftlichen Zwängen leiden und wollten diesen entkommen. Heute werden manche alternative Entwürfe schon als normal wahrgenommen und angenommen (bspw. Heterobeziehung ohne Ehevertrag). Die Probleme, die auch hier entstehen, kann die AfD dann aufnehmen und dramatisieren, um wieder auf ihr altes Familienkonzept zu verweisen. Also auf Zeiten, in den diese Probleme öffentlich kein Thema waren, auch wenn sie schon da virulent waren. Die AfD mag es schon gar nicht, dass viele dieser Lebensentwürfe nicht einmal mehr als ungewöhnlich oder unnormal betrachtet werden.

Diese Lebensentwürfe werden von der AfD diffamiert und pathologisiert29, aber (vermutlich, um nicht die radikale Position offen zu legen) nicht immer offen bekämpft. „Mein Problem mit der Homo-Ehe ist, dass es dann zugleich ein Adoptionsrecht gibt. Das ist rechtlich so. Und nun bin ich Vater von fünf Kindern und ich habe wirklich ein gelebtes Verständnis davon, dass eine Vaterrolle und eine Mutterrolle ganz unterschiedlich sind. Und wenn ich das jetzt aus der Sicht des Kindeswohls betrachte: Dann glaube ich, dass ein Kind, das adoptiert wird, besser in eine klassische Mann-Frau-Rolle rein kommt, als in eine Frau-Frau- oder Mann-Mann-Rolle. Denn so hat es einen Vater und eine Mutter und das ist besser als zwei Väter oder zwei Mütter. Ich bin nicht erfreut, wenn man mir dann eine Homophobie nachgesagt wird oder so etwas – ich habe Homosexuelle in meinem Bekanntenkreis, das hat, glaube ich, jeder Mensch. Und ich hab damit auch nicht einen Anflug von Berührungsängsten. Ich habe eine Position, die vertrete ich.30

Die alternativen Ideen und Lebensentwürfe dürfen laut AfD nicht öffentlich propagiert werden. Es gibt zwar eine Schwul-Lesbische-Plattform in der AfD, dabei soll Sexualität aber höchstens privat ein Thema sein. Auf keinen Fall soll die eigene nicht-heterosexuelle Vorliebe Ausgangspunkt für politische Forderungen sein. Es soll keine rechtlich und gesellschaftlich anerkannten alternativen Formen von menschlichen Beziehungen geben. Die öffentliche sowie politische Thematisierung und eine damit verbundene grundsätzliche Akzeptanz soll unterbunden werden, auch indem die Inhalte nicht in Parteiprogrammen, auf öffentlichen Kundgebungen oder Parteiveranstaltung thematisiert werden. Wenn es zu einer Thematisierung kommt, dann betonen AfD-ler*innen, dass homosexuelle Mitglieder sich trotzdem den von der Partei selbst gesetzten Norm unterordnen würden und wollen darüber nicht weiter sprechen.31 Kinder sollen stattdessen Identifikationsfiguren in Form idealtypischer Frauen- und Männerrollen haben.32



2.2 Gender-Kritik der AfD

2.2.1 Geschlechtsidentität

Mit ihren Vorstellungen zu den Geschlechtern steht die AfD nicht alleine da: Eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und anderen Parteien ist die Vorstellung, dass man eine Geschlechtsidentität habe. Es steht allgemein die Forderung und der Zwang im Raum, dass man sich einem Geschlecht zuordnen muss. Nach derzeitigem deutschen Recht muss man nach der Geburt sein Kind zuordnen: weiblich, männlich oder divers. Mit der Kategorie divers wird eine Abweichung von der Norm der Geschlechtspole zugelassen, aber deswegen lebt es sich nicht ohne Ausgrenzung und Infragestellung, etc. Die AfD -- und mit ihr viele andere -- halten von der Kategorie divers nichts und bestehen stattdessen auf der Existenz von nur zwei Geschlechtern, die gesellschaftlich auch nur zusammen als Einheit von Frau und Mann funktionieren würden. Entsprechend will die Partei die Zuordnung nicht um das Etikett „divers“ erweitern.

Wie in 2.1 gezeigt, ist aus Sicht der AfD die Familie die Keimzelle des deutschen Volkes. In der Familie gäbe es natürliche Rollen von Mann/Vater und Frau/Mutter. Die AfD sieht die Erfüllung der Rollen durch die gesellschaftliche Liberalisierung im Allgemeinen und die Genderstudies im Speziellen in Frage gestellt und dadurch wiederum auch das Funktionieren der Familie sowie die Reproduktion des deutschen Volkes in Gefahr. Deshalb spricht die AfD vom Gender-Wahn.33

Die AfD malt neben der Zerstörung der Familie auch die Auflösung der Geschlechtsidentität an die Wand, womit die Geschlechterrollen aufgelöst würden, sodass dann die Menschen nicht mehr ihren Pflichten entsprechend ihrer „natürlichen“ Geschlechterrollen wahrnehmen könnten. Auch dadurch sieht sie die Grundlage der Familie und damit des deutschen Volkes in Gefahr. Die AfD behauptet, dass die anderen Parteien tatsächlich das Ziel verfolgen würden, das deutsche Volk durch die durchgesetzte Diversifizierung der Identitäten zerstören zu wollen:„Der grün-rote Kampf gegen die angeblich allgegenwärtige Diskriminierung, der unter der Fahne des „Gender Mainstreaming“ geführt wird, hat die Zerstörung der traditionellen Familie und die Auflösung der geschlechtlichen Identität von Mann und Frau zu seinem eigentlichen Ziel.34

Die bürgerlichen Parteien haben sich in den letzten Jahrzehnten vorgearbeitet zu der Position, dass sie sowohl ökonomisch als auch im politischen Raum nicht nur Cis-Hetero-Bürgern ein Angebot machen: "Wir, der Staat, bringen Antidiskriminierung auf den Weg, so dass auf dem Markt wirklich nur die Konkurrenz der Leistungsfähigkeit zählen möge und damit alle dem Markt zur Verfügung stehen können -- und sollen. Auch ihr dürft nun heiraten und ein Kind adoptieren, also könnt ihr euch so vollumfänglich mit dem Staatswesen identifizieren wie alle anderen auch." Und diese Öffnung weg von der bisher staatlicherseits wie gesamtgesellschaftlich als Non-plus-ultra geltendem Heteromodell genau im Sinne dessen, Deutschland stark und reproduktionsfähig zu halten, das interpretiert die AfD als Aktion gegen den Staat und seine Keimzelle: „Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und stellt geschlechtliche Identität in Frage. Sie will die klassische Familie als Lebensmodell und Rollenbild abschaffen."35 Dabei gibt es auch viel Einigkeit, so geht ein Großteil der Politiker*innen davon aus, dass es eine natürliche Geschlechterordnung mit zwei eindeutig voneinander getrennten geschlechtlichen Polen gäbe. Die AfD geht nur rigoroser und kompromisslos damit um; so schreibt die AfD Hamburg es etwa: „Das biologische Geschlecht wirkt sich unmittelbar auf viele Verhaltensaspekte von Männern und Frauen aus. Die Geschlechtsrollenbilder in den verschiedenen Kulturen bauen darauf auf. Sie können variieren, allerdings darf der Einfluss kultureller und sozialer Aspekte nicht überschätzt werden. Der Mensch ist kein beliebig umformbares Geschöpf, sondern bewegt sich stets in den von der Natur gesetzten Grenzen."36 Das, was die AfD politisch will, versucht sie mit der Biologie plausibel zu machen: Mit dem biologischen Geschlecht seien soziale Geschlechterrollen mitsamt geschlechtlicher Aufgabenteilung gegeben und die sexuelle Orientierung sei eigentlich sowieso nur heterosexuell.

Welche Menschen man interessant findet, was für sexuelle Phantasien man (aus-)lebt und welche Interessen man hat, das ist nicht biologisch festgelegt. Ob man Kinder zeugt, wer sich wie um sie und wer sich um Gelderwerb sowie Haushalt kümmert, das sind alles Entscheidungen (bzw. der Umgang mit biologischen Voraussetzungen), auf die aktuelle gesetzliche Regelungen, ökonomische Zwänge sowie gesellschaftliche Normen ihren Einfluss haben. Zur Zeit wird man von der gesellschaftlichen Realität stark bedrängt und eingeengt. Diese gesellschaftliche Realität besteht einerseits aus Menschen, die sich das mehrheitlich selbst und anderen auch überstülpen und antun und aus einem Staat, der machtpolitisch festlegt, was erlaubt und geboten ist. Im AfD-Wahlprogramm von 2016 wird gefordert, Männer und Frauen sollen vom Kindesalter an dazu angehalten werden, ihr „biologisches Geschlecht anzunehmen.“ Hiermit zeigt die AfD, dass sie durchaus weiß, dass Geschlecht eine gesellschaftliche Zuordnung ist. Die kann auch anders ausfallen, was für die AfD bedeutet, entsprechend zu handeln. „Gender Mainstreaming als Norm zur Dekonstruktion der Geschlechterordnung und Auflösung der Ehe von Mann und Frau lehnt die AfD ab“.

In der Gesellschaft soll die Reflexion der Gesellschaftlichkeit von Sexualität, des sozialen Geschlechts und der Geschlechtsidentität mitsamt ihrer Fluidität nicht thematisiert und schon gar nicht verbreitet werden. So verspricht Björn Höcke, die „Geisteskrankheit“ Gendermainstream „aus den Schulen und Universitäten zu vertreiben“ (Höcke 2014, Min.: 42:50). Er stellt dem „dekadenten Gendermainstream“ eine „natürliche Geschlechterordnung“ gegenüber, benennt die Sexualpädagogik des „roten Blocks“ (gemeint sind Grüne, SPD und Linke) als „pervers“ und unterscheidet homosexuelle Paare von heterosexuellen Paaren dergestalt, dass erstere sich über Sex definieren, letztere hingegen stünden für die „erlebte Polarität des Lebens“ als „Keimzelle der Höherentwicklung des Menschen“ (ebd., Min.: 42:00). Zwischen den geschlechterpolitischen Positionen von Björn Höcke und offen faschistischen, wie sie beispielsweise die NPD zur Geschlechterfrage äußert, lassen sich kaum noch Unterschiede finden. Für das deutsche Volk sollen sich alle dem heteronormativem Familienbild mit den entsprechenden Geschlechterrollen bedingungslos unterordnen und dienen.

Allerdings findet eine selektive und instrumentelle Thematisierung abweichender Lebensentwürfe in Bezug auf Menschen statt, die von der AfD als Nicht-Deutsche einsortiert werden. So werden Muslime diffamiert, wenn es bei ihnen bestimmte Geschlechterrollen gibt oder sie homophobe Äußerungen fällen. So bspw. das Kopftuch als „religiös-politisches Zeichen der Unterordnung von muslimischen Frauen unter den Mann.37

Auf der Grundlage dieses idealisierten Bildes der binären und klar voneinander abgegrenzten Geschlechterrollen spricht die AfD viele an, die eine Aufweichung der immer noch verbreiteten Heteronormativität wahrnehmen. Viele sind irritiert ob der "neuen" menschlichen Beziehungen, die sie nun auch umgeben oder gleich ganz ihre vorgestellte alte, geordnete, scheinbar heile Welt in Gefahr sehen. Und diese Beziehungen betrachten sie als Angriff auf ihre eigenen Zweisamkeiten - einen Angriff, den sie auch daran festmachen, dass Menschen sich nicht mehr wie früher "unbekümmert" äußern und handeln könnten. (Dabei ahnen sie vielleicht durchaus, dass es sich um gesellschaftliche und damit veränderbare Normen handelt, die sie sich gegenseitig und sich selbst antun.) Sie sind deswegen begeistert, wenn von allen Abweichler*innen militant der Respekt vor der heteronormativen Dominanz eingefordert wird. Auf der anderen Seite gibt es viele, die es zwar ok finden, andere nicht zu benachteiligen, dies seien aber eben die anderen und nicht die gesellschaftliche Mehrheit, um die man sich eigentlich kümmern müsse. Die Partei kann mit ihren Thesen zur Geschlechterordnung so auf den commen-sense der Gesellschaft zurückgreifen (vgl. Siri, 2016).38

2.2.2 Geschlechterrollen

Die AfD sorgt sich also um die mit Geschlechtsidentitäten einhergehenden Geschlechterrollen insbesondere aus Sorge um die biologische Reproduktion des deutschen Volkes: „Nur aus der Verbindung zwischen Mann und Frau gehen Kinder hervor, die die nächste Generation unserer Gesellschaft bilden.“39 Nur aus "deutschen" Männern und Frauen gingen auch "deutsche" Kinder hervor, das deutsche Volk müsse sich entsprechend biologisch reproduzieren. Das gilt aber nicht nur für den biologischen Akt des Kinderkriegens, sondern auch für die nächsten 18 Jahre. Die AfD geht, wie übrigens auch Teile der CDU und CSU, von einem festen Rollenverständnis aus, dass zu jedem der zwei Geschlechter gehöre so wie zu jedem Topf nur ein Deckel passt. So ist bei der AfD der Mann klar der materielle Versorger: „Familienschutz statt Genderwahn: Eine Gender-inspirierte Gleichstellungspolitik, die die durchgehende Vollerwerbstätigkeit beider Eltern als Idealbild anstrebt, lehnen wir ab.“40 Gerne wird dies ergänzt durch das alte, aber weiterhin verbreitete Männlichkeitsbild des wehrhaften und starken Beschützers. „Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde.“41 Bei der Frau geht man von der fürsorglichen Mutter und Hausfrau aus: Sie sei zuständig für Kinder und Haushalt, für das innere und emotionale Band der Familie, da sie verständnisvoll sei. Und so ist auch klar, dass die AfD eine Mann-Frau-Kinder-Familie für eine prima Keimzelle der Gesellschaft hält im Gegensatz zu allen anderen möglichen Konstellationen (vgl. Zitat von Jörg Meuthen in 2.1.4).

Die AfD stellt zurecht einen Angriff auf diese falsche Vorstellung von Seiten derer fest, die sich dafür stark machen, dass man seine sexuelle Orientierung und empfundene geschlechtliche Identität ausleben kann. Wer sich diesen Vorstellungen anschließe, weiche vom „Natürlichen“ und „Sittlichen“ ab, und wird zusätzlich der Schädigung des angeblichen Überlebensinteresses des eigenen Volkes angeklagt.

2.2.3 'Genderideologie ist Volkszersetzung'!

Die AfD sieht in allen Bemühungen, größere Spielräume für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung gesellschaftlich durchzusetzen, einen Angriff auf die bürgerliche (Geschlechts-)Identität.42 Folgerichtig wertet die AfD "die Genderpolitik“ als Angriff, und zwar als „ideologisch begründeten“ und unwissenschaftlichen Angriff einer Minderheit. Dieser ziele darauf ab, ein in seiner „natürlichen Ursprünglichkeit“ intaktes soziales Gefüge von innen her zu ersetzen und mache sich also der Schädigung des unterstellten kollektiven Überlebensinteresses des eigenen Volkes schuldig. Daran ist alles falsch:

1. Der deutsche Staat ist ein historisch durch gewaltvolle Auseinandersetzungen entstandenes Produkt und keine natürliche und ursprüngliche Entwicklung.

2. Der bürgerliche Staat organisiert seine Untertanen als Staatsvolk. Das ist die einzig objektive Gemeinsamkeit aller Staatsbürger*innen. Dieses Staatsvolk dient oft als Basis für die Vorstellung, es sei nur der Ausdruck eines eigentlich immer schon dagewesenen Volkes, dessen Mitglieder ganz ohne Staat zusammengehörten. Es gibt nichts Gemeinsames am Volk, das nicht vorgestellt oder hergestellt wäre. Die gegenteilige Behauptung, also das Volk als ewiges Kollektiv, ist weit verbreitet, wirkmächtig und wird permanent neu inszeniert. Insofern kann es auch kein natürliches Überlebensinteresse geben, sondern höchstens eines, was sich überzeugte Nationalisten einleuchten lassen.43

3. Diese Gesellschaft ist nie ein Hort der Eintracht und Harmonie gewesen, sondern durch (staatliche verordnete) Konkurrenz von Einzelsubjekten mit gegensätzlichen Interessen geprägt.

Das heißt auch, nur weil es tatsächlich ein paar Jahrzehnte eine Liberalsierung des Familienverständnisses und der Geschlechterrollen gegeben hat, findet (leider) noch lange keine Zersetzung des Volkes statt. Stattdessen wird das bisher (auch von anderen Parteien) als abweichend verhandelte Verhalten und Begehren erfolgreich in die bestehenden Strukturen und Vorstellungen integriert.

Auch die Wissenschaft macht die AfD für angebliche Fehlentwicklungen verantwortlich: „Die Gender-Ideologie widerspricht sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und der Entwicklungspsychologie als auch der lebenspraktischen Alltagserfahrung vieler Generationen."44 Das Thema Gender fällt allerdings gar nicht in den Bereich der Biologie, da es eine soziale und gesellschaftliche Frage ist. Von daher kann die Biologie auch gar keine Antwort darauf geben. Die AfD lehnt auch die universitäre Gender-Forschung ab und fordert, Gender-Lehrstühle und -Projekte abzuwickeln: „Die Gender-Forschung erfüllt nicht den Anspruch, der an seriöse Forschung gestellt werden muss. Bestehende Gender-Professuren sollen nicht mehr nachbesetzt, laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängert werden.“45 Damit sollen jegliche Ansätze der Emanzipation von konservativen, restriktiven Geschlechtervorstellungen im Keim erstickt werden.

Verschwörungsideologie

Weiterhin unterstellt die AfD bei all jenen, die etwas an der dominanten Geschlechterordnung auszusetzen haben und als „Geschlechterideologen“ von der AfD betitelt werden, ein einheitliches Interesse und Vorgehen – was angesichts des Spektrums von liberalen bis linksradikalen Kritiker*innen der Geschlechter-Binarität mit deutlich mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten in der Theorie (was wird wie kritisiert?) und Praxis (wie soll die Welt den bezogen auf Geschlechter aussehen?) schlicht quatsch ist. Die Partei weiß genau, warum die „Links-Grün-versifften“ Politiker*innen im Allgemeinen die Zerstörung von Familie und Volk in Kauf nehmen würden und begründet dies verschwörungstheoretisch: „Heimlicher Souverän in Deutschland ist eine kleine, machtvolle politische Oligarchie, die sich in den bestehenden politischen Parteien ausgebildet hat. Sie hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Es hat sich eine politische Klasse herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Diese Oligarchie hat die Schalthebel der staatlichen Macht, der politischen Bildung und des informationellen und medialen Einflusses auf die Bevölkerung in den Händen. Wir wollen das Land unserer Väter und Mütter nicht irgendjemandem hinterlassen, der dieses Erbe verschleudert oder ausplündert, sondern unseren Nachkommen, denen wir unsere Werte vorgelebt und mitgegeben haben."46 Dies ist verschwörungstheoretisch, weil sie an die Nation als gute Rechte- und Pflichtengemeinschaft glauben und ihr Ideal retten, indem sie die Abwesenheit ihres Ideals sich nur durch eine machtvolle, kleine, integrante Gruppe erklären wollen.

Zwar gibt es auch zwischen anderen Parteien deutliche Differenzen in der Ausgestaltung der Familienpolitik, und sie kritisieren sich gegenseitig dafür, dass familienpolitisch falschen Maßnahmen ergriffen würden. Die AfD aber unterstellt den anderen Parteien, ein zum Eigennutz betriebenes Programm zu verfolgen, das dem deutschen Volk und dem deutschen Staat schade oder diese sogar beide abschaffen solle. Wenn man eines den bürgerlichen Parteien bescheinigen kann, dann leider den ernsthaften Willen, das bestmögliche für Staat und Kapital herauszuholen - diesen Zweck sollen auch die Entwürfe der verschiedenen Parteien zur Familienpolitik erfüllen.



3 Exkurs - politische Strategie der AfD

3.1 Instrumentalisierung des Sexismusvorwurfes

Ihren Vorstellungen zu Familie und Geschlechtlichkeit sieht die AfD als natürlich und unproblematisch. Sexismus entdeckt die AfD aber bei Menschen, die sie als Nicht-Deutsche einsortieren. Dies zeigt sich beispielhaft im Antrag zum Verschleierungsverbot. "Die AfD begründet ihren Antrag unter anderem damit, dass eine Vollverschleierung für bewusste Abgrenzung sowie für eine Ablehnung „unserer aufgeklärt-demokratischen Werte und unseres Menschenbildes“ stehe. Dies widerspreche der Gleichberechtigung von Mann und Frau.47

Sexismus ist für die AfD nur dann als politische Kritik interessant, wenn man damit gegen Nicht-Deutsche agitieren kann. Dieses Vorgehen ist Ausdruck des von ihnen gezeichneten rassistischen Bedrohungsszenarios. Es geht ihr hier nicht um die Sache, sondern sie instrumentalisiert Sexismus für ihren Rassismus. Damit werden diejenigen gebrandmarkt, die sie nicht als Teil der deutschen Gesellschaft ansieht und als Fremde kennzeichnet. Sie rechnet mit dem Commen-Sense, den sie sonst immer bekämpft. Dem Vorwurf des Sexismus können sich dann auch alle anschließen, die rassistische Urteile gegenüber anderen Menschen haben oder dem offen gegenüber sind. Gleichzeitig kann sich die AfD damit als mit den aufgeklärt-demokratischen Werten vereinbar erscheinen lassen und sich als konstruktive politische Kraft hinstellen.  

3.2 Beeinflussung der Diskurse

Eine wichtige Strategie der AfD besteht zur Zeit darin, die Gesellschaft zu verändern, indem intellektuelle Diskurse beeinflusst werden. Die richtige Verwendung von Begriffen sei eine Frage der „Taktik und der Macht: „Wer Begriffe prägt, prägt die Sprache. Wer die Sprache prägt, prägt das Denken. Wer das Denken prägt, prägt den politischen Diskurs. Und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik – egal, ob er in der Opposition ist oder in der Regierung."48 Ein Beispiel für die Prägung eines Diskurses ist die Instrumentalisierung und Besetzung des Themas Übergriffe in der Silvesternacht 2015 in Köln: "Ist Ihnen nach der Welle an Straftaten und sexuellen Übergriffen Deutschland nun 'weltoffen und bunt' genug, Frau Merkel?", schrieb AfD-Vorstandssprecherin Frauke Petry auf Facebook." Der Spiegel fasst dies dann folgendermaßen zusammen: "Massive Attacken gegen Merkel, Zuspitzungen, Übertreibungen, Unterstellungen, schiefe historische Vergleiche, hämische Angriffe auf den politischen Gegner - so versucht die AfD aus Köln Kapital zu schlagen." 49

Insbesondere die EU, aber auch der demokratische Mainstream in der Demokratie wird grundsätzlich in Frage gestellt. Dabei kann die AfD auf Vorwürfe zurückgreifen, die Politiker*innen auch anderer Parteien gegenüber der EU machen, wenn es zu ihrer politischen Stoßrichtung passt. Mit dem Ausdruck „Gender-Wahn wird die Position nicht nur  in Frage gestellt, sondern pathologisiert und man spricht ihr so die Vernunft ab.50 Mit dieser Strategie haben sie schon jetzt Erfolg, insofern in den sozialen Medien, bei Demonstrationen, etc. in ihrem Sinne agitiert wird. Der Abweis der rassistischen Vorwürfe durch andere Parteien führt dazu, dass beständig Nicht-Deutsche mit Gewalt, Kriminalität, Sexismus, etc. in Verbindung gebracht werden.

3.3 Gegendiskurs

Die AfD betreibt damit einen Gegendiskurs zur von ihr als „Gendermainstreaming-Diskurs“ bezeichneten gesellschaftlichen Entwicklung, was mit der aus ihrer Sicht existierenden Bedrohung begründet wird. Es ist das Szenario einer Gesellschaft, in der die klare Trennung zwischen dem rassitischen „Wir“ und den „Anderen“ einem „Einheitsbrei“ weichen.51 Die Partei entwirft ein Angst-Szenario der „Umerziehung und Frühsexualisierung“.52 Dem liegt eine grundsätzliche Infragestellung der bisherigen Liberalisierung des Geschlechterverhältnisses zugrunde.

Heute dient insbesondere der Begriff des „Genderismus“ heterogenen gesellschaftlichen Gruppen von Gender-Kritiker*Innen über die AfD hinaus zur Benennung eines gemeinsamen Feindbildes. Dadurch, dass Vokabeln nicht nur von der AfD benutzt werden, sondern auch von denen, die mit den entsprechenden Aussagen zustimmen, fühlen sich die Gegner*innen der politischen Diskreditierung des Genderns gezwungen, auf diesen Diskurs als wichtigen gesellschaftlichen Diskurs einzugehen. Sie nehmen dann aber - wie immer in solchen Fällen - auch die Kritik der AfD auf, geben ihr eine weitere Bühne und nehmen sie ernst. Politiker*innen und Medienvertreter'*innen diskutieren dabei zum Teil im Sinne der AfD und nicht unbedingt dem Gegenstand angemessen.



Literatur:

- Achter Familienbericht (2012): Zeit für Familie – Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik; https://www.bmfsfj.de/blob/93196/b8a3571f0b33e9d4152d410c1a7db6ee/8--familienbericht-data.pdf

- AfD Antrag in den Bundestag (01.07.2020): Kinder gegen sexuelle Gewalt wirksam schützen. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/206/1920677.pdf

- AfD (2016). Grundsatzprogramm für Deutschland. Alternative für Deutschland, Bundesparteitag in Stuttgart, 30. April bis 1. Mai 2016. gesichtet, www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2018/01/Programm_AfD_Druck_Online_190118.pdf

- AfD Baden-Württemberg, Landeswahlprogramm (2016): gesichtet unter

https://afd-bw.de/afd-bw/wahlprogramme/landtagswahlprogramm_afd_2016_1.pdf

- AfD Bundeswahlprogramm (2021): Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag. Beschlossen am 11. April 2021. gesichtet unter:

https://www.afd.de/wp-content/uploads/2021/06/20210611_AfD_Programm_2021.pdf

- AfD Europawahlprogramm: Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 9. Europäischen Parlament 2019. https://www.afd.de/europawahlprogramm/

- AfD – Familie/Bevölkerung (2022): www.afd.de/familie-bevoelkerung/ (gesichtet, 23.11.2023)

- AfD Hamburg (2020): Wahlwerbespot der AfD Hamburg zur Bürgerschaftswahl.

www.afdkompakt.de/2020/01/20/afd-hamburg-will-ueberfremdung-wohnungs-und-bildungsnot-bekaempfen/

- AfD, Landesverband Berlin (2016a): Berlin braucht blau. Das Wahlprogramm der AfD Berlin, Berlin.

- AfD Nordrhein-Westfalen (26.01.2020): Grundlegenden Gedanken zum Wiegenfest der AfD. gesichtet unter:

https://afd.nrw/aktuelles/2020/01/grundlegende-gedanken-zum-wiegenfest-der-alternative-fuer-deutschland/

- AfD Rheinland-Pfalz (2016): Wahlprogramm des Landesverbandistes Rheinland-Pfalz der Alternative für Deutschland zur Landtagswahl 2016, gesichtet unter: https://www.alternative-rlp.de/wp-content/uploads/sites/110/2015/11/ wahlprogramm- ausfuehrlich.pdf, 18.08.2020

- AfD Watch Heidelberg (05.05.2018): https://www.facebook.com/afdwatchhd/posts/615754262101556/

- AfD Hamburg: https://afd-hamburg.de/genderwahnsinn-beenden/

- Aufarbeitungskommission (2021): Sexuelle Gewalt in der Familie. Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von 1945 bis in die Gegenwart. Prof. Dr. Sabine Andresen, Marie Demant, Anna Galliker, Luzia Rott gesichtet unter: https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/Studie_Sexuelle-Gewalt-in- der-Familie_bf.pdf

- Bürgerliches Gesetzbuch: Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002; zuletzt geändert durch Art. 9 G v. 21.12.2020 gesichtet unter: www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html

- Friedrich (Hrsg.). Aufstand der Wutbürger. AfD, Christlicher Fundmentalismus, PEGIDA und ihre gefährlichen Netzwerke. PAPERS 7/2015

- Gauland, Alexander; Höcke, Björn (18.11.2015): 5 Grundsätze für Deutschland. https://www.youtube.com/watch?v=d0k1IKItYfs (gesichtet, 08.03.2021)

- Häusler, Alexander (Hrsg.) (2016): Die Alternative für Deutschland - Programmatik, Entwicklung und politische Verortung. Wiesbaden 2016

- Höcke, Björn (2014): Ansprache während des Weihnachtsfests der Jungen Alternative Baden-Württemberg am 22.12.2014 in Stuttgart. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=YhYCrQR-xBI (Zugriff: 26.4. 2015)

- Kemper, Andreas (2014): Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise. Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung – Forum Politik und Wissenschaft, Berlin.

- Kemper, Andreas (2016): Antiemanzipatorische Netzwerke und die Geschlechter- und Familienpolitik der

- Lang, Juliane: Feindbild - Familien- und Geschlechterpolitik in der AfD.

- Lang, Juliane: Feindbild „Genderismus“ - Antifeministische Diskurse in der extremen Rechten.

- Meuthen, Jörg: RheinNeckarBlog 19.10.2015

- Programm für Deutschland (2017): Wahlprogramm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen Bundestag am 24. September 2017:

www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/06/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf

- rbb, 21.05.2019: AfD-Chef Meuthen will mit "sanften Instrumenten" gegen Schwangerschaftsabbrüche vorgehen, gesichtet unter: https://www.presseportal.de/pm/51580/4276749, 12.08.2020

- Siri, Jasmin (2016): Geschlechterpolitik in der AfD: Einordnung und Einschränkung des Themas. In:Alexander Häusler (Hrsg.): Die Alternative für Deutschland - Programmatik, Entwicklung und politische Verortung. Wiesbaden 2016

- Strafgesetzbuch: StGB, §218-219, siehe https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__218.html, gesichtet, 12.08.2020



1Wer schwerpunktmäßig etwas über die Kritik der AfD-Familienpolitik lesen möchte, kann gleich zu Kapitel 2 springen. Allerdings wird dort auf Bestimmungen zur Familienpolitik aus dem 1. Kapitel zurückgegriffen.

2Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) versteht unter Familie die zwischen Eltern und Kindern bestehende Gemeinschaft einschließlich der Gemeinschaft mit Stief-, Adoptiv- und Pflegekindern. Einbezogen ist auch das Verhältnis der Mutter und des Vaters zu ihrem nichtehelichen Kind.

3An dieser Stelle wird nicht näher ausgeführt, warum sich die Menschen in Familien organisieren, was sich die Leute für ideologische Vorstellungen machen und was tatsächlich dran ist.

4Achter Familienbericht, 2012, S. XII

5Bürgerliches Gesetzbuch: 4. Buch zum Thema Familienrecht. Es regelt unter anderem: Verwandtschaftsverhältnisse, Unterhaltsansprüche, Umgangsrecht, „elterliche Sorgepflicht bzw. Sorgerecht“

6Achter Familienbericht, 2012, S. 1

7 Vgl. „Die Misere hat System“ unter: www.gegner.in

8AfD 2016c, 41

9Die wörtlichen Aussagen der Parteimitglieder sind zum Teil noch zugespitzter und radikaler als die Aussagen aus den Programmen, siehe Höcke unter 2.4

11Im Hauptartikel der Süddeutschen Zeitung vom 10./11. September 2016, S.1: „Familie der Zukunft“

12AfD Baden-Württemberg, 2016, S.28ff.

13Gauland / Höcke, 2015

14Zur Kritik des Nationalismus „Blut, Sprache, Kultur, Geschichte, Werte- Was für eine Gemeinschaft?!, unter: www.gegner.in

15AfD, 2021

16 AfD-Hamburg: „AfD-Hamburg will Überfremdung, Wohnungs- und Bildungsnot bekämpfen."

17 Programm für Deutschland, 2017

18 AfD, Grundsatzprogramm, 2016c; 6.4 Wirtschaftliche Zukunft trotz Demografiekrise: „Wie in ganz Deutschland, so werden auch in Baden-Württemberg schon seit Jahrzehnten viel zu wenige Kinder geboren. Diese Lücke durch Zuwanderung kompensieren zu wollen, ist von der demographischen Forschung längst als Illusion entlarvt worden. Neben einer auf das zuträgliche Maß begrenzten und nach Kriterien gesteuerten Einwanderung ist es daher vor allem notwendig, die Geburtenrate in unserem Land zu steigern.“

AfD Baden-Württemberg, 2016, S.28f.: „Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.“

19AfD Rheinland-Pfalz, Wahlprogramm 2016

20Zur Kritik des Strafrechts siehe „Das staatliche Strafen“, unter: www.gegner.in

21Denn auch in der aktuellen Fassung der §218-219 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch immer noch nicht legal, sondern lediglich unter bestimmten Bedingungen straffrei. Ansonsten umfasst das Strafmaß eine Geldstrafe bis hin zu Gefängnisstrafe von bis zu 3 Jahren.

22rbb, 21.05.2019

23Übrigens, als weiteren Schuldigen für die niedrige Geburtenrate hat die AfD den derzeitigen Sozialstaat entdeckt, der dazu führe, dass die Menschen in jedem Moment auf finanzielle Unterstützung bauen könnten und deswegen glatt materialistisch nur an sich denken würden und keine Kinder bekämen: "Die Wahrnehmung des Staates als Helfer in allen Lebenslagen hat die Vorstellung von der eigenen Familie auch als generationsübergreifende Wirtschafts- und Versorgungsgemeinschaft ersetzt. Vor diesem Hintergrund wurde der Hang zur vorrangigen ökonomischen Wohlstandsoptimierung während der Lebenserwerbsphase zum Leitbild einer materialistischen Gesellschaft. Immer mehr Paare haben daher den ideellen Wert einer Familie als Sozialisationsraum und emotionale intergenerative Lebensgemeinschaft aus den Augen verloren. Der Gedanke einer vorrangigen „Selbstverwirklichung” hat dazu geführt, zugunsten von Einkommen und Karriere Kinderwünsche zurückzustellen oder gänzlich aus der eigenen Lebensplanung zu verdrängen" (AfD, 2021).

24In den 70-er Jahren begannen Reformen des Familienrechts, wozu bspw. 1979 die Einführung des Mutterschaftsurlaubs gehörte. Diese Reformen reichen bis in die 2000-er, wozu u. a. das 2017 beschlossene Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Eheschließung gehört.

25AfD Baden-Württemberg, 2016, S.28ff.

26ebd.

27AfD Rheinland-Pfalz, Wahlprogramm, 2016

28In diesem Familienbild finden sich auch evangelikale und katholische Christen wieder, auch wenn sie eine andere und der AfD widersprechende göttliche Begründung haben. Diese christliche Seite bringt der AfD Wählerstimmen auch aus diesem Lager.

29siehe Höcke unten

30Meuthen, Jörg: RheinNeckarBlog, 2015

31Bsp. Alice Weidel: "Auf Fragen, wie sie ihre Homosexualität und das Familienkonzept der AfD mit sich vereinbaren kann, wird sie schmallippig. Ihr Thema sei Wirtschaftspolitik. Und: "Familienpolitische Sprecherin werde ich bestimmt nie werden." https://kurier.at/politik/ausland/alice-weidel-jung-lesbisch-und-sehr-weit-rechts/287.157.550]

32Diese Vorstellung taucht auch bei Überlegungen anderer Parteien auf, bspw. im Zuge der Förderung von Männern in Frauenberufen wie Erzieher*innen.

33Das Thema Gender wird an dieser Stelle nur soweit behandelt, wie es bezüglich der AfD von Belang ist.

34AfD Baden-Württemberg, 2016, S.28ff.

35Programm für Deutschland, 2017, S.40

36AfD, 2021

37AfD, Grundsatzprogramm, 2016c

38Ein Aspekt der Begeisterung für das Idealbild der bürgerlichen cis-heteronormativen Kleinfamilie speist sich aus der Angst vor Identitätsverlust: Wenn alles gar nicht so natürlich wäre, warum bin/verhalte ich mich so, wie es von mir als Mann/Frau erwartet wird und wie ich selber dachte, sein zu sollen? Jede*r hat sich ein geschlechtliches Selbstbild und eine geschlechtliche Identität zugelegt. Dies wird indirekt in Frage gestellt, wenn es „plötzlich“ Wahlmöglichkeiten und Fluiditäten gibt. Wer sich dadurch angegriffen fühlt, geht dann möglicherweise im Alltag auch zum Gegenangriff über.

39Wahlprogramm der AfD Baden-Württemberg, 2016, S.28.

40 AfD Rheinland-Pfalz, 2016

41Tagesspiegel, 29.11.2015

42 Zur Kritik der bürgerlichen Sexualitäten siehe: „Der Hass auf Homosexuelle“ unter: www.gegner.in

43 Zur Kritik des bürgerlichen Staates siehe: Der bürgerliche Staat - eine Einführung unter: www.gegner.in

44 Programm für Deutschland, 2017, S.40

45AfD, Grundsatzprogramm, 2016c; 8. Schule, Hochschule und Forschung

46Programm für Deutschland 2017, S. 8

48AfD Watch Heidelberg, 2018

50Ähnliche pathologisierende Formulierungen fallen auch in anderen Kontexten auf. Die „Festung der Etablierten“ müsse von mehreren Seiten „in die Zange genommen werden“, erklärte Höcke in seinem jüngsten Buch. Frustrierte Sicherheitsbedienstete seien dabei eine Chance: weil sie die „Wahnsinnspolitik der Regierenden ausbaden müssen“. Vgl. www.taz.de/Rechte-Umsturz-Aufrufe/!5599939/

51AfD Nordrhein-Westfalen, 2020

52AfD Antrag in den Bundestag, 2020, S. 3