30.04.2001 PDF

Es gibt kein Recht auf Faulheit

Warum die Faulenzer-Debatte im Frühjahr 2001 so verlogen ist.
"Es gibt kein Recht auf Faulheit" (Gerhard Schröder)
So'ne und solche
Hat der Kanzler recht? Sind sie Drückeberger, die Arbeitslosen? Leute, die aus Charakterschwäche oder mit verbrecherischen Absichten der Allgemeinheit auf der Tasche liegen? Alle kennen sie, die Geschichten von den gesunden jungen Männern, die sich träge am Baggersee wälzen, hie und da mal ?Nachbarschaftshilfe? leisten und sich die Haushaltskasse vom Arbeitsamt füllen lassen. Und alle kennen auch die anderen Geschichten von den arbeitslosen jungen Müttern, die keinen passenden Job finden, weil sie sich aufreiben für die lieben Kleinen. Ja ja, hört man also, es gibt überall so´ne und solche. Und deshalb stimme es schon, was der Kanzler sagt, aber vielleicht nicht ganz so pauschal.
Die Debatte auf diese Weise zu den Akten zu legen ist nicht etwa Ausweis für eine besonders kluge Weltsicht, sondern ebenso selbstgefällig wie falsch. Und vor allem geht der in dieser Weise daherredende ?gesunde Menschenverstand? darüber hinweg, dass es in der Debatte eigentlich um etwas ganz anderes geht.


Wer sich nur richtig bemüht, der schafft es schon...
Selbstverständlich wissen auch Schröder und seine Kollegen aus den anderen Parteien, dass vier Millionen Arbeitslose nicht auf 350.000 offene Stellen zu verteilen sind. Zu behaupten, Arbeitsunwilligkeit sei der Grund für Arbeitslosigkeit, ist ein Irrtum oder (meistens) eine Lüge. Es geht Schröder überhaupt nicht darum, zu erklären, warum Leute arbeitslos sind. Dann müsste er nicht von Faulheit reden, sondern von Kapitalverwertung, von Gewinnmaximierung und ?Rationalisierungen?: Leute werden nicht deshalb entlassen, weil sie nicht arbeiten wollen, sondern weil sich ihr Einsatz für das Unternehmen nicht (mehr) lohnt. Und sie werden erst dann (wieder) eingestellt, wenn sie deutlich mehr Gewinn zu produzieren versprechen als sie kosten.
Schröder and friends geht es stattdessen darum, welche Konsequenzen aus der gegebenen Arbeitslosigkeit zu ziehen sind.

Ärmel hochkrempeln statt Quasselbudenhöflichkeit
Schröder hat mit seiner Faulenzer-Bemerkung getan, was schon seit Jahren fester Bestandteil seiner Selbstvermarktung ist: sich als jemanden präsentieren, der Tacheles redet, der kein Blatt vor den Mund nimmt, der auch schon mal mit der Faust auf den Tisch haut. Das hat er in bezug auf Nichtdeutsche getan ("kriminelle Ausländer ausweisen") oder auch bezogen auf deutsche Lehrer ("faule Säcke"). Sowas mögen die Leute und danken es dem Kanzler, jedenfalls dann, wenn es nicht allzu deutlich sie selbst trifft.
Wen es trifft, ist aber nicht etwa zufällig. Mit Schröders Bemerkung sollte der Nation zwar Arbeitslosigkeit nicht erklärt werden, aber den Leuten mitgeteilt, was Arbeitslose zu tun haben: sich erstens schlecht fühlen und zweitens gefälligst in die Hände spucken. Und die, die Arbeit haben, sollen wenig dezent daran erinnert werden, dass Arbeitslosigkeit eine Drohung ist: Zwang zum Fleißigsein ist die Botschaft.

Was ist eigentlich Faulheit?
Faulheit soll ja eigentlich heißen, dass da einer nichts tun will ? und dass das, der Himmel weiß warum, eine schwere Charakterschwäche sei. Ob aber ein Arbeitsloser emsig in seinem Garten ackert oder nur auf dem Sofa liegt, ob einer in seinem Sportverein eine große Nummer ist, oder bloß ?ran? auf SAT1 guckt, das ist dem Kanzler völlig egal. Faulheit? Ob einer dreißig Jahre geschuftet hat, bevor er arbeitslos wurde, ist übrigens auch nicht von Bedeutung: Den Vorwurf, ein Faulenzer zu sein, kann der Arbeitslose weder mit ehrenamtlichem Engagement noch mit seinem Lebenswerk entkräften. Um sich wieder zu einem angesehenen Menschen zu machen, hilft nach dieser Auffassung nur etwas ganz bestimmtes ? die bedingungslose Bereitschaft, alles für einen Job zu tun. Und wann man genug getan hat? Wenn man einen Job bekommen hat, selbstverständlich! Fleißigsein nach Schröder heißt also gar nichts anderes, als schon einen Job zu haben ? und alles zu tun, um ihn nicht zu verlieren! Arbeitslose sind Faulenzer, weil sie arbeitslos sind. Denn nur wer ein Einkommen hat, liegt der Gesellschaft nicht auf der Tasche, sondern nützt ihr.

Die Not zur Chance machen
Es wurde in den letzten Jahren wiederholt bis zum Erbrechen: ?Man lernt nie aus! Im 21. Jahrhundert wird jeder Mensch alles dreimal völlig neu lernen müssen!" Klingt gar nicht so schlecht. Haben doch die Gewerkschaften immer gefordert: Bildungsurlaub usw. Nicht mehr einfach malochen, sondern ab in die wunderbaren Welten von Bildung und Wissenschaft! Tatsächlich aber ist die ?Chance?, die so beschrieben wird, von der Politik als Drohung gemeint. Wer nicht lebenslang lernt, fliegt raus. Und was man hätte lernen müssen, sieht man immer nur daran, dass es auf dem Arbeitskräftemarkt gerade gefragt ist. Wer also 20 Jahre lang Verkäufer war und nun auf der Straße sitzt, hat damit den Faulenzer-Ausweis auf die Stirn gestempelt: Hätte der sich nicht vor 15 Jahren denken können, dass heute eher Programmierer mit guten Englischkenntnissen gefragt sind? Stattdessen hat er sich wohl nur ausgeruht ? "marktinkonformes Verhalten" nennt sowas der Ökonom. Umgekehrt bekommt man selbstverständlich keinen Versicherungsschein ausgestellt darüber, dass man mit irgendetwas Gelerntem auch einen Job bekommt. Kapitalismus ist schließlich keine Planwirtschaft....

Ein altes Problem...
Gegen Arbeitslose hatte man selbstverständlich schon immer etwas. Dass sich Leute schämen, wenn sie niemand ausbeuten will, ist die Folge einer viele Jahrzehnte dauernden ?Erziehung?. Und selbstverständlich gehörte die Drohung mit Elend schon immer zu den Mitteln, mit denen die Arbeitskraft gefügig gemacht wurde.
Allerdings markiert die Faulenzerdebatte einen neuen Abschnitt in der staatlichen Propaganda zur Arbeitslosigkeit. Bis vor wenigen Jahren galt Arbeitslosigkeit noch als bedauerliches Schicksal. Irgendwie vertraten die staatlichen Stellen schon noch die Auffassung, dass den Betroffenen geholfen werden müsse. Das feste Beschäftigungsverhältnis mit 38- bis 40-Stunden-Woche galt als Normalzustand ? und zu einem solchen sollte den Arbeitslosen verholfen werden. Gleichzeitig war man stolz darauf, dass die Arbeitenden diese ?Sicherheit? mit besonderer Folgsamkeit gegenüber Staat und Kapital belohnten. Der Staat trat grundsätzlich mit dem Anspruch auf, seinen Teil dieses Paktes mit Hilfe einer entsprechenden Wirtschaftspolitik einhalten zu wollen und zu können. Noch in den Kahlschlagsreden von Arbeitsminister Blüm klang das Wissen durch, dass es erstmal eine vernichtende Lage für die Arbeitslosen ist, von heute auf morgen auf der Straße zu stehen und im günstigsten Fall mit etwas mehr als der Hälfte ihres Einkommens auskommen zu müssen - und nicht irgendetwas zwischen Urlaub, Rente und Feierabend. Zu viel kosten allerdings sollte die Warteschleife bis zur Wiedereinstellung nicht.
Auch in Zeiten vor Schröder herrschten deshalb für Erwerbslose keine paradiesischen Zustände. Dass die meisten Menschen ihren Job in dieser Gesellschaft machen, nicht weil sie fleißig sind, sondern weil sie müssen, ist eigentlich jedem klar. Egal, wie und warum jemand keinen Erwerb hatte, wurde deshalb auch in den 80er Jahren schon darauf geachtet, dass Arbeitslose mit weniger auskommen müssen, als sie eigentlich brauchen. Dass Erwerbslosigkeit die Existenz bedroht, wurde also einerseits öffentlich beklagt, andererseits aber immer auch bewußt durch Staat und "die Wirtschaft" hervorgerufen. Dass diese Wirtschaft nicht für die Menschen da ist, sondern umgekehrt, hätte man sich also zwar auch in früheren Zeiten schon erschließen können, das ?soziale Netz? galt allerdings als Ausweis der Qualität des demokratischen (West-)Deutschland. Eine Bedrohung wurde vor allem in den eingewanderten oder einwandernden Nichtdeutschen gesehen, die, obwohl nicht zum "deutschen Volkskörper" gehörend, teilhaben wollten an Kranken- und Arbeitslosenversicherung.

...und eine neue "Lösung"
Arbeitslosigkeit gibt es nach wie vor, sonst aber hat sich einiges geändert. Schröders Neue Mitte hat inzwischen gemerkt, dass die Arbeitslosenzahlen selbst im ?Aufschwung? nicht wesentlich nachgeben ? und die nächste Krise kommt bestimmt. Erfolg wird vor diesem Hintergrund immer weniger als ein Anrecht des Normalbürgers gesehen, sondern immer mehr als ?Chance?, der man gerecht werden muß. Das gilt für Deutschland unter der Globalisierung genauso wie für den Malocher, der sehen soll, dass er die nötigen Qualifikationen bekommt..
Das Ausland erscheint nicht nur als Konkurrenz und als zukünftiger Absatzmarkt, sondern auch als Reservoir billiger und qualifizierter Arbeitskräfte. Auf dieser Grundlage wandelt sich der öffentlich propagierte Rassismus. Garantiert wird im neuen Deutschland niemandem etwas, auch dem guten Volksgenossen nicht. Das war der Sache nach zwar schon immer so; inzwischen behauptet es aber auch keiner mehr. Umgekehrt ist man gegenüber anderen ?Kulturen? selbstverständlich nach wie vor misstrauisch; wenn jemand aufgrund seiner Qualifikationen aber sehr nützlich für ?unsere Wirtschaft? ist, darf er auch als Ausländer zumindest zeitweise die Vorteile deutscher Lebensart genießen ? wenn er nicht zufällig in einer ?national befreiten Zone? landet, denn das könnte tödlich für ihn ausgehen. Und wer weiß? Wenn sich die Progressiven im politischen Personal durchsetzen, darf man via Einwanderungsgesetz in Zukunft auch Deutscher ehrenhalber werden.

"Wir sind nicht faul!" ? Die Tragik einer falschen Kritik
In dem unsinnigen Streit, ob ?die? Arbeitslosen faul sind, sind sich alle in einem einig: dass Fleiß eine Tugend und Faulheit eine Sünde sei. Einige Arbeitslose und einige Menschenfreunde meinen allerdings, zum Fleißigsein reiche es schon aus, etwas nützliches tun zu wollen. So wird dann gefordert, ehrenamtliches Engagement zu bezahlen oder zumindest den guten Willen der allermeisten Arbeitslosen anzuerkennen. Damit vertreten sie eine denkbar schwache Position. Denn so erkennen sie vollständig an, dass die Einzelnen vor allem für die Gemeinschaft da zu sein haben: ?Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann...". Da könnten Schröder und Co. dann schnell nachweisen, dass ein Arbeitsloser Geld kostet, ob er nun nette Sachen macht oder nicht, Geld, das andere bezahlen müssen. Dass jeder Streik für höhere Löhne die Arbeitskosten erhöht und damit das Bruttoinlandsprodukt schwächt usw.
Vor allem aber kommen sie mit ihrer Kritik an Schröder dessen Absichten zum Verwechseln nahe: Wer lautstark vertritt und als Lob meint, dass die Arbeitslosen doch alle arbeiten wollten, dass sie jeden Job und jede Fortbildung annähmen, dass sie, ja, auch auf Einkommen verzichten würden, um nur wieder in Lohn und Brot zu kommen, sagt eigentlich nur, dass Schröder sich die Mühe seiner Kampagne hätte sparen können.

Es gibt viel zu tun, packen wir?s an!
Dabei gäbe es noch so viel zu deregulieren! Man kann, das sagt Schröder natürlich nicht so direkt, doch auch von mehreren Aushilfsjobs ganz gut leben! Und ein eigener Niedriglohnsektor mit minimalem Kündigungsschutz könnte den einen oder anderen Kapitalisten noch eine Weile davon abhalten, seine Arbeiter durch eine Maschine zu ersetzen. Das Interesse an einer Verbesserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals hat keine absehbare Grenze ? und damit auch das Interesse nicht, die Kosten zu verringern, die die Arbeitskraft so verursacht, wird sie nun gerade gebraucht oder nicht. Es kann immer noch weiter gespart werden, jede Ausgabe ist zu hoch, und eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der großen Mehrheit wird dabei zumindest billigend in Kauf genommen. Weil in diesem Prozeß kein Ende abzusehen ist, kann das Volk ruhig noch etwas besser vorbereitet werden auf die schöne neue Welt. Wenig verdienen reicht nicht; weniger verdienen wäre noch besser fürs Wirtschaftswachstum. Es reicht nicht, dass Leute sich eh schon schämen, wenn sie selbst aus Gründen der Profitmaximierung ihren Job verloren haben. Darüber hinaus sollen auch diejenigen aus Arbeitslosigkeit und ?Schande!? eine Gleichung machen, die noch einen Job haben ? und die entsprechenden politischen Konsequenzen unterstützen. Wenn es auf diese Weise gelingt, die Bestrafung von Arbeitslosen als nationale Pflicht zu deklarieren, steht einer weiteren Verarmung der Massen auch moralisch nichts mehr im Wege. Wer davon wenig hält, sollte sich nicht gegen den Faulenzer-Vorwurf wehren, sondern der Frage nachgehen, was in dieser Gesellschaft Fleiß ist, wem er nützt - und wem nicht.