Diese Frage knüpft an die allbekannte Parole „die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ an. In dieser stecken bereits mehrere Verdrehungen, zu denen etwas gesagt werden sollte.
Arbeitsplätze wegnehmen: Wenn jemand „deinen“ Arbeitsplatz wegnehmen könnte, dann würde das ja bedeuten, dass er dir gehört hat. Das trifft die Sache aber nicht. Unternehmen entscheiden, wann wer eingestellt und entlassen wird.1 Das Kriterium dafür ist die ökonomische Brauchbarkeit der Arbeitskräfte: Die Arbeitsplätze gibt es nur, wenn es sich für eine Kapitalist*in lohnt, Lohnabhängige für den Unternehmensprofit arbeiten zu lassen. Wenn es um den Unternehmensprofit geht, dann ist auch eingeschlossen, dass die Arbeit möglichst wenig kosten darf, der Lohn also niedrig sein muss, und möglichst viel Ertrag bringen soll, also möglichst lange und intensiv gearbeitet werden muss. Deswegen ist der „Besitz“ eines Arbeitsplatzes auch kein Zuckerschlecken.
uns: Mit dem „uns“ sind „wir Deutschen“ gemeint. Sonst könnten Menschen ja auch auf den Gedanken kommen, dass die Zwanzig- bis Dreißigjährigen oder Menschen mit Schuhgröße 42 „uns“ die Arbeitsplätze wegnehmen. Wenn Rechten unter allen möglichen Konkurrent*innen aber vor allem bei den Ausländer*innen auffällt, dass deren Konkurrenz ihnen schadet, dann ist für sie klar: „Die“ gehören nicht dazu.
Mit Letzterem haben sie sogar in gewisser Weise recht: Ausländer*innen haben nicht die gleichen Rechte wie Deutsche. Sie dürfen sich nur durch staatliche Erlaubnis den Unternehmen anbieten.2 Von Staat und Kapital in Beschlag genommen zu werden, ist aber erstens kein Glücksfall und zweitens kein deutsches Vorrecht. Der Staat entscheidet nach seinen Kriterien, wann er wie viele Ausländer*innen ins Land lässt. Da kann er – wie z.B. ab Mitte der 1950er Jahre mit den sogenannten „Gastarbeiter*innen“ – durchaus auf den Gedanken kommen, dass es zu wenig Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gibt, weswegen die Löhne zu hoch sind. Dann werden Ausländer*innen aktiv angeworben, um die inländischen Löhne zu drücken.3 Auch hier sind es nicht „die Ausländer*innen“, die etwas wegnehmen, sondern ein ganz anderer Akteur, der viel mehr Macht hat als irgendwelche Ausländer*innen jemals haben können.
Nun zu dem guten Bild der „deutschen Gemeinschaft“: Diese „Gemeinschaft“ (das „wir“) besteht erstens aus lauter Konkurrent*innen, z.B. in der Schule und natürlich auf der Arbeit. Wo Konkurrenz herrscht, gibt es auch notwendigerweise Verlierer*innen, die sich dann beim Jobcenter anstellen müssen. Macht es da wirklich einen Unterschied, ob eine Ausländer*in oder eine andere Deutsche den Job bekommt, auf den mensch sich beworben hatte?4 Zweitens sind überall in der Gesellschaft Gegensätze eingerichtet. Am Beispiel des Arbeitsplatzes: Dort schmälert – wie oben festgestellt – der Lohn der Arbeitnehmer*in den Gewinn der Arbeitgeber*in. So merkt man dem Arbeitsplatz auch sehr deutlich an, dass er zur Bereicherung des Unternehmens eingerichtet ist und nicht, damit Lohnabhängige ein gut versorgtes und angenehmes Leben haben. Obwohl die Unternehmerin so deutsch ist wie ihre Angestellten, hat sie nicht die gleichen Interessen. Auch bei Mietverhandlungen mit einer deutschen Vermieterin zeigen sich schnell die gegensätzlichen Ziele. Ein positiver Bezug zu dieser „Gemeinschaft“ ist also wirklich fehl am Platz. Statt einer Identifikation mit „uns Deutschen“, wäre es sinnvoller, darauf zu schauen, mit wem mensch gemeinsame Interessen hat.
die Ausländer*innen: „Die Ausländer*innen“ werden in der oben genannten Parole zu Täter*innen erklärt. Das sind sie aber nicht. Ob sie hier überhaupt Arbeitsplätze suchen dürfen, ist nicht ihre Entscheidung.5 Und ob eine Ausländer*in den Arbeitsplatz bekommt, den eine Deutsche gerne hätte, hat auch nicht die Ausländer*in in der Hand, sondern das einstellende Unternehmen. Die Ausländer*innen sind also wie alle anderen Arbeitssuchenden nur Manövriermasse unternehmerischer Entscheidungen.
Mit der Aussage soll oft betont werden, dass die Ausländer*innen nicht zu Deutschland gehören. Sie sollen nicht an der Konkurrenz um (meist miese) Arbeitsplätze beteiligt werden. Damit wird die soziale Frage, die sich angesichts von Arbeitslosigkeit und schäbigen Jobs stellt, in eine nationale verwandelt. Statt die Ursachen von der systemisch angelegten Misere anzugehen, wird das Bild einer rein deutschen Konkurrenzgesellschaft als Ideal verbreitet.
Nachtrag: Keine gute Kritik an dieser rechten These wäre es übrigens, wenn der Hinweis käme: „Wir können doch froh sein, dass die Ausländer*innen die Jobs machen, die Deutsche nicht machen wollen“.6 Ebenso wenig überzeugend ist die Aussage: „Die Ausländer*innen schaffen doch auch Arbeitsplätze! (Und sind gut für Deutschland)“. Beide Argumente beinhalten die Vorstellung, dass Ausländer*innen (nur) willkommen sind, sofern diese Deutschland nutzen. Im Umkehrschluss wird die Argumentation nichtig, wenn Ausländer*innen wirtschaftlich mal nicht gebraucht werden. Das ist erstens eine sehr konjunkturabhängige Kritik. Zweitens wird damit auch nicht der verkehrte Gedanke einer Gemeinschaft von „uns Deutschen“ kritisiert, der über alle Gegensätze zwischen den qua Pass als „deutsch“ einsortierten Menschen hinweggeht. Und diesem Gedanken entspringt die ganze Ausländerfeindlichkeit ja erst.7
Dieser Text ist der vierte in der Reihe 50 Fragen 50 Antworten - Über den Rechtsruck – und wie man ihn besser nicht kritisiert.
Wöchentlich veröffentlichen wir eine weitere Kurzanalyse über rechtsradikale Standpunkte, schlecht gemachter Kritiken an der AfD und Stichwörtern in der Debatte über den Rechtsruck.
1Das bedeutet faktisch, dass jede lohnabhängige Person nur eine Kündigungsfrist von der Arbeitslosigkeit entfernt ist. Dann zeigt sich auch, dass selbst eine jahrzehntelange engagierte Tätigkeit für das Unternehmen keine anderen Rechte begründet als eine etwas verlängerte Kündigungsfrist.
2Unter welchen Bedingungen sie das machen können, hängt von der wirtschaftlichen Lage und staatlichen Kalkulationen ab. Wenn es insgesamt schon zu viele Arbeitslose gibt, die die staatlichen Kassen belasten, wird konsequent eine Vorrangprüfung durchgeführt: eine Ausländer*in bekommt den Job nur, wenn es keine/n gleich qualifizierte Deutsche/n gibt. Wenn der Staat Bedarf nach zusätzlichen Arbeitskräften sieht, in einer Branche oder insgesamt, wird das lockerer gehandhabt. Als Beispiel für die gegenwärtige Praxis: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/migration/fachkraefteeinwanderung/faqs
3Ein größeres Angebot an Arbeitskräften für die gleiche Anzahl an offenen Stellen führt dazu, dass die einzelne Arbeitskraft verhältnismäßig leichter ersetzt werden kann, wodurch die Unternehmer*in bei den Lohnverhandlungen in eine günstigere Ausgangsposition gerät.
4Auch in einer Wirtschaft, in der nur deutsche Arbeitskräfte arbeiten, müssen sich Arbeitsplätze für die Unternehmen lohnen, bevor man um diese konkurrieren darf.
5Diese Entscheidung liegt beim Staat. Dieser legt zudem fest, wer überhaupt „Ausländer*in“ ist. Dass sich Rechte oft an der konkreten Ausgestaltung des Staatsbürgerrechtes und nicht wenige „Deutsche“ zu „Ausländer*innen“ erklären, soll hier nicht gesondert kritisiert werden, da wir bereits mit der prinzipiellen Einteilung in Inländer*innen und Ausländer*innen ein Problem haben und nicht erst mit der Frage, wer dazugehören soll und wer nicht.
6Eine Kritik an (miesen) Arbeitsplätzen sieht anders aus.
7Über den Zusammenhang von staatlicher Sortierung von In- und Ausländer*innen, die Verwandlung dieser Sortierung in eine vorstaatliche Gemeinschaft und sogenannte „Fremde“, die da nicht dazugehören, weil man ihnen nicht so richtig trauen könne, siehe die Broschüre „Von Schland nach Gauland – Das Krisenprogramm der AfD und seine demokratische Grundlage“, S. 11-19.