27.02.2002 PDF

NATO bombt Menschenrecht ins Kosovo

Über humanitäre Gründe und andere Lügen und Irrtümer
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Die vorgeblich humanitären Gründe des Krieges der NATO gegen Jugoslawien sind nicht die eigentlichen. Das ist nicht allein am Umgang mit den Flüchtlingen zu ersehen. Um deren Verbleib mußte, weil er finanziert werden muß und in den Aufnahmeländern zu 'Überfremdung' führen würde, erstmal verhandelt werden: Als wüßte mensch nicht ganz genau, daß in Kriegen und Bürgerkriegen Menschen vertrieben werden und fliehen. Als hätte dieses Problem nicht schon Wochen, Monate und Jahre zuvor bestanden. Damals allerdings nur als Problem der Flüchtlinge selbst und einiger Hilfsorganisationen und ,linker Spinner', die immer noch nicht kapiert hatten, daß ,unser' Boot doch längst voll ist und ,unsere' Kassen leer sind, weshalb ,wir' ja auch Abschiebeweltmeister sind. Nicht nur an den zähen Verhandlungen nach den ,Luftschlägen', die die ,humanitäre Katastrophe' noch verstärkt hatten, ist abzulesen, daß dieser Krieg so ,menschlich' nicht motiviert sein kann, sondern auch daran, daß erst jetzt der seit zehn Jahren schwelende und seine Opfer fordernde Konflikt zum Thema der bewaffneten Weltöffentlichkeit wurde - und daran, daß andere Konflikte solcher Art gar nicht zu deren Thema werden: so der Umgang der Türkei mit der kurdischen Minderheit u.v.a.m. Wenn dieser Konflikt erst jetzt Anlaß zum militärischen Eingreifen gab, und andere Konflikte gleicher Art überhaupt keine Sanktionen der NATO oder UNO nach sich ziehen, liegt nahe, daß andere als humanitäre die wirklichen Gründe sind.
De facto herrscht in Jugoslawien Krieg, weil dieses sich zu weitgehend geweigert hat, sich in seiner Souveränität einschränken zu lassen. Während die Bundesrepublik Jugoslawien nicht will, daß das Kosovo unabhängig oder autonom wird, kämpft die UCK für genau dieses Ziel - und dieser Konflikt besteht wie gesagt nicht erst seit gestern. Der ,freie Westen' hat im letzten Jahr beschlossen, daß das Problem unter internationale Kontrolle gebracht werden soll - Verhandlungen von Rambouillet - und weil der jugoslawische Staat dagegen aufzubegehren versucht, daß er durch Anwesenheit von NATO-Truppen in seiner Verfügungsgewalt über Land und Leute beschnitten wird, wird er jetzt mit Waffengewalt in seine Schranken gewiesen. Und vielleicht nicht nur das - vielleicht darf es gar keinen jugoslawischen Staat mehr geben, zumindest keinen unter serbischer Führung.
Die Abstrafung eines Staates, der sich dem erklärten Willen des ,freien Westens' nicht beugen will, ist nichts Neues - welches Interesse aber haben die USA und Europa daran, sich ausgerechnet dieses Konflikts nicht nur mit bedauernden, sondern drohenden Worten und schließlich mit Waffengewalt anzunehmen?
Auf dem Balkan sichern sich die USA und Europa das politische und ökonomische Feld. Kleine Staaten sind generell leichter in politischer und ökonomischer Abhängigkeit zu halten als große - daher die Unterstützung der Spaltungstendenzen auf dem Balkan. Als ehemals realsozialistischer steht der jugoslawische Staat nicht ohne weiteres dem kapitalistischen Wirtschaften zur Verfügung, und in seiner Allianz mit Rußland steht er der Machtpolitik des ,freien Westens' entgegen.
Eine gewisse Rolle spielt außerdem das historische Ressentiment zumal Deutschlands gegen Serbien. Dem ,freien Westen' geht es in diesem wie in anderen Fällen um die weltweite Durchsetzung seines imperialistischen Interesses: Um die Einrichtung bürgerlich-kapitalistischer Staaten überall auf der Welt - und darum, nirgendwo alternative Herrschaftsformen, beispielsweise islamistische, entstehen zu lassen -, sowie um die Optimierung der Verwertungsbedingungen des Kapitals, um politische Hegemonie, um geostrategische Frontstellungen dort, wo Gebiete angrenzen, in denen die ökonomischen und politischen Interessen der Weltmächte noch nicht durchgesetzt werden können - und schließlich um die Demonstration, daß der ,freie Westen' zu all dem wirklich die Macht hat.
Eine solche handfest militärische Durchsetzung der Interessen der Weltmächte, wo die bloße Drohung nicht reicht, ist nichts Neues. Neu ist auch nicht, daß eine derartige Militäraktion unter Bruch des sogenannten Völkerrechts, ohne Mandat der entsprechenden Institutionen, stattfindet - das war schon im Krieg gegen den Irak so, von solchen zur Zeit des Kalten Krieges, über die in der UNO nicht geredet wurde, ganz zu schweigen. Neu ist in diesem Krieg, daß die USA mit Europa im Gefolge sich auf das Menschenrecht berufen, um den Bruch des Völkerrechts zu rechtfertigen.


Sowohl das Völkerrecht als auch das in dessen Präambel verankerte Menschenrecht gelten dem Anspruch nach für alle Staaten, ganz gleich ob diese noch Mitglieder der UNO sind oder irgendwann nicht mehr. Im Völkerrecht beschränken die Staaten sich darauf, "Waffengewalt nurmehr im gemeinsamen Interesse" einzusetzen (Präambel der Satzung der Vereinten Nationen (SVN)), und gestehen einander das "Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung" zu (Art.51 SVN). Krieg ist als "ein Akt der Gewalt, um unseren Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen" (Clausewitz) eines der Mittel der Auseinandersetzung zwischen Staaten. Als zwischenstaatliches Recht regelt das Völkerrecht u.a. den Kriegsfall. Ob ein gemeinsames Interesse am Militäreinsatz oder ein Fall von Selbstverteidigung vorliegt, entscheiden stellvertretend für die über 170 Vereinten Nationen die Mitglieder des Sicherheitsrates - einstimmig (Art.27 Abs.3 SVN), gibt es ein Veto, gibt es kein UN-Mandat. Aber so wie eine UN-Resolution noch kein hinreichender Grund ist, die Drohung wahrzumachen - mensch denke an Israel - ist das Fehlen einer solchen kein hinreichender Grund, einen militärischen Eingriff zu unterlassen - mensch erinnere sich des Irak. Seit der Kalte Krieg mangels machtvollen Gegners erledigt ist, haben die USA vielmehr, wo sie gewaltsamen Handlungsbedarf für ihre Interessen entdecken, wiederholt versucht, die UNO zu einem entsprechenden Mandat zu bewegen. Indem die Weltmacht ersten Ranges draufloshandelt, und die UNO mit ihrem Mandat dann sehen kann, ob sie der ersteren nachkommt, beansprucht diese letztendlich, einzig kompetente Auslegerin und Vollstreckerin der UN-Charta zu sein. Neu ist im jetzigen Krieg gegen Jugoslawien wie gesagt, daß der ,freie Westen' zum Zwecke der Rechtfertigung der ,Luftschläge' das Menschenrecht in Anschlag bringt. Dieses Menschenrecht, das alle Staaten ihrer Souveränität zum Trotz allen ihren BürgerInnen zubilligen sollen, umfaßt laut UN-Charta Freiheit, Gleichheit und die Sicherheit der Person und ihres Eigentums.
Mißachtet ein Staat diese grundlegenden Rechte seiner BürgerInnen, steht Menschenrecht gegen Selbstbestimmungsrecht dieses Staates, und genau das ist in Jugoslawien der Fall: Die KosovarInnen werden mitnichten den SerbInnen gleich behandelt. Doch das ist bezüglich TürkInnen und Kurdinnen, ChinesInnen und TibeterInnen nicht anders. Im Prinzip berücksichtigt der jugoslawische wie andere Staaten die Menschenrechte - und wie manch anderer Staat ist er der Sache nach inkonsequent in der Befolgung dieses Prinzips. Aber anders als andere Staaten wird der jugoslawische - und sein Staatsvolk gleich mit - vorgeblich deswegen von den Weltmächten, selbsternannten Vollstreckerinnen des Menschenrechts, ohne Mandat der UNO abgestraft. - Oder ist der Krieg obendrein doch mit dem Völkerrecht auf Selbstverteidigung des ,freien Westens' zu begründen, wie der Krieg gegen Irak, weil so ein Balkankonflikt, wie uns die Geschichte wieder mal gar nichts lehrt, zum weltweiten Waffeneinsatz führen könnte? - Richtende und vollstreckende Gewalt des über die Staatsgrenzen hinweg geltenden Rechts sind jedenfalls nach Auffassung der USA weniger die übrigen Mitglieder des Sicherheitsrats als vielmehr die Vereinigten Staaten von Amerika selbst. Da es dem zwischenstaatlichen Recht an einem staatenübergreifenden Garanten fehlt, der die Rechtsprinzipien interessenunabhängig durchsetzte, bleibt es zwischen Staaten eine Gewaltfrage, wer Recht behält: In wessen Interesse internationales Recht gesprochen und vollstreckt wird, entscheidet letztendlich die militärische Stärke - zugunsten der USA, und Europa mischt nach Kräften mit.
Recht ist auch dort keine gewaltfreie Angelegenheit, wo es einen Garanten hat, der über den partikularen Interessen der Rechtssubjekte steht, sondern Recht ist Gewalt, die im Gegensatz zu willkürlicher an Prinzipien ausgerichtet ist. Der erforderliche Garant dieser Gewalt ist heute fast überall der Staat. Als Rechtsstaat hat dieser gewisse, den Menschenrechten entsprechende Grundsätze, nach denen er das Verhältnis seiner StaatsbürgerInnen untereinander und zu ihm selbst regelt. Der bürgerliche Rechtsstaat stellt seine Untertanen als freie, gleiche und EigentümerInnen einander gegenüber - nur gibt es im Eigentum eine entscheidende Differenz: die einen haben nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die anderen besitzen Privateigentum an Produktionsmitteln. Erstere müssen sich ausbeuten lassen, letztere nicht, und so ist die Gleichheit der Menschen im bürgerlichen Staat eine bloß formelle. Qua Garantie dieser Ungleichheit und Regelung der kapitalistischen Konkurrenz ist der bürgerliche Staat keineswegs dazu da, das materielle Wohl seiner Untergebenen zu garantieren. Ganz egal, was PolitikerInnen sich so sozialromantisch einbilden, dieser Staat hat den Zweck , auf seinem Territorium die Reichtumsproduktion zu befördern, und Reichtum wird nicht anders als durch Ausbeutung Lohnabhängiger geschaffen. Generell unterwirft der Staat seine BürgerInnen seinen Verboten, Strafen, Steuern und Befehlen, beispielsweise dem, im Krieg zu töten und sich töten zu lassen. Dennoch ist es objektiv besser, in einem bürgerlichen Rechtsstaat zu leben als einer über Leib, Leben und manch anderes ihrer Bürger stets willkürlich verfügenden Herrschaft ausgesetzt zu sein. Daß die BürgerInnen des Rechtsstaates sich deswegen glücklich schätzen müssten, versuchen dessen ApologetInnen ihnen nun auch am Beispiel Jugoslawien wieder mal vor Augen zu führen. Aber daß es dem Individuum schlimmer ergehen kann als im bürgerlichen Staat, wo doch zumindest seine Grundrechte garantiert sind, kann kein Argument gegen Kritik an den herrschenden kapitalistischen und imperialistischen Verhältnissen sein!
In der Rede vom Menschenrecht wird unter der Hand behauptet, daß mensch natürlicherweise in einem Rechtsverhältnis stehe, und daß dieses Verhältnis dem von bürgerlichem Staat und BürgerInnnen untereinander entspreche, einem Verhältnis, das von Freiheit, formeller Gleichheit, und Eigentum geprägt ist. Ganz egal, ob die, die Menschenrecht sagen, das ahnen, wissen, affirmieren oder nicht. Zwar meinen die linken Gutmenschen unter denen, die vom Menschenrecht sprechen, gar kein solches Recht, sondern bezeichnen mit diesem schiefen Ausdruck ihre Vorstellungen davon, wie Menschen miteinander umgehen sollen: Menschen sollen einander nicht vergewaltigen, nicht Hungers sterben lassen, nicht töten, nicht ausbeuten und nicht diskriminieren. Aber wenn das damit gemeint ist, ist Menschenrecht schlicht der falsche Titel. Eine solche Forderung, die letztendlich die nach vernünftigem Umgang der Menschen miteinander ist, ist nicht in einen Rechtsanspruch an bürgerlich-kapitalistische oder andere Staaten zu übersetzen. Herrschafts- und Gewaltverhältnisse wie die von Staaten in die Welt gesetzten stehen solchen ,Nettigkeiten' prinzipiell entgegen - daß Menschen vernünftig miteinander umgehen, das kann es nur in einer herrschaftsfreien Gesellschaft geben.
Die Rede vom Menschenrecht wird aber von einigen in ihrem strengen Sinne affirmativ verstanden: Die Gewalt, die der bürgerliche Staat über die Menschen ausübt, wurzelt demzufolge in der Menschennatur. Das ist falsch, aber fester Bestandteil bürgerlicher Ideologie. Falls ein Staat nun ein anderes als dieses vermeintlich natürliche, bürgerlich-kapitalistische Verhältnis, das eben auch die Grundrechte einschließt, zu seinem Prinzip macht, wird das zwar nicht ausdrücklich als ,widernatürlich' bezeichnet, gilt aber als Frevel und zu ändern. Doch ob die bürgerliche Staatengemeinschaft dann daraus militärische Konsequenzen zieht, hängt von anderen Faktoren ab: Ein Konflikt mit einer nationalen Minderheit muß kein Anlaß zum Eingreifen sein, kann aber Anlaß geben, den imperialistischen Einfluß auf den Balkan zu sichern und - und das ist wie gesagt das Neue in diesem Krieg - die eigene Weltmacht als Vollstreckerin des Menschenrechts gegen das Völkerrecht zu demonstrieren.
Das jüngst gebrochene Völkerrecht wird als zwischenstaatliches Recht von keiner übergeordneten Gewalt garantiert. Es gilt daher nur solange, wie die Staaten, die es setzen, sich dran halten und mit ihrer Gewalt hinter es und seine Institutionen - UNO, internationaler Gerichtshof in Den Haag, OSZE - stellen. Wenn die mächtigsten ihre Interessen nicht an denen anderer Staaten, die aufgrund internationaler Rechtsvereinbarungen auch noch was zu sagen hätten, relativieren wollen, verzichten sie eben auf die Legitimation durchs Völkerrecht - wie gesagt: Ganz locker ziehen die USA und Europa klar, daß die UNO in Jugoslawien nichts zu sagen hat. Die anderen Mitglieder des Sicherheitsrats, Rußland und China, werden nicht gefragt. Sie müssen sich das bieten lassen, weil sie es sich mangels Macht bieten lassen müssen.
Vor der Weltöffentlichkeit versucht der ,freie Westen' seinen Krieg unter Berufung auf das Menschenrecht zu rechtfertigen, darauf, daß Humanität gewahrt werden müsse. Gegen diese Lüge das Völkerrecht hochhalten zu wollen, sei es in Gestalt der UNO oder des Selbstbestimmungsrechts des jugoslawischen Volkes, ist genauso falsch wie der affirmative Bezug aufs Menschenrecht im bürgerlich-kapitalistischen Sinne. Völkerrecht soll ein Recht der Völker sein. Jeder affirmative Bezug auf ein Volk ist aber falsches Bewußtsein, das voraussetzte, daß Menschen von anderen Menschen wesentlich unterschieden wären, sei es durch Blut, Sprache oder Kultur. Doch durch das Blut in ihren Adern sind Menschen nicht unterschieden, und Sprach- oder Kulturkenntnis sind sowohl zu erwerben als auch konsequenterweise nirgendwo hinreichende Bedingungen einer Staatsangehörigkeit. Wenn eine Gruppe von Menschen einen souveränen Staat fordert, weil sie sich als Volk und somit auf irrationale Weise als von anderen Menschen unterschieden betrachtet, so ist das genauso zu kritisieren wie die Unterwerfung dieser Gruppe unter eine andere Staatsgewalt. SerbInnen wie KosovarInnen kämpfen mit ähnlich brutalen Mitteln für die Ausübung von Herrschaft, nur wollen sie verschiedene Herren. Eine vernünftige Kritik, die die von Herrschaft überhaupt und bürgerlich-kapitalistischer im besonderen sein muß, kann sich deshalb auf keine dieser beiden Seiten schlagen. Und eine vernünftige Kritik kann sich auch nicht gegen den Kriegseinsatz der NATO auf das Völkerrecht berufen, das Jugoslawien doch seine Souveränität zugestehe. Oder auf das Menschenrecht, das doch aus humanitären Gründen nach Jugoslawien getragen werden müsse. Dieser Krieg ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Zu kritisieren ist er aber nur, indem die Lügen und Irrtümer ob seiner Gründe entdeckt werden und die kapitalistische Weltordnung kritisiert wird. Die Kriegsgründe sind keine humanitären, vielmehr macht der ,freie Westen' hier dem Rest der Welt klar, daß sich in der herrschenden Weltordnung jeder Staat seine Interessen von den Mächten zu genehmigen lassen hat, die diese Weltordnung mit ihrer Macht garantieren. In der Konkurrenz um die Reichtumsquellen der Welt bestimmen die Weltwirtschaftsmächte, was die anderen dürfen und was nicht. Ein Staat, der im Verdacht steht, sich mit dieser Ordnung nicht abgefunden zu haben, darf erstmal gar nichts - nicht mal auf seinem Territorium über seine BürgerInnen schalten und walten.
Krieg überhaupt ist nur zu verhindern, indem die Leute, mit denen Krieg gemacht wird, nicht mehr bei ihm mitmachen. Indem die Leute sich nicht mehr mit ihrem Staat oder dem, was erst einer werden will, identifizieren, indem sie aufhören, für ihn zu morden, vergewaltigen, verstümmeln - und andere Greueltaten zu begehen. Krieg abzuschaffen geht nur, indem mensch die Gründe von Krieg aus der Welt schafft: Nationalismus, Imperialismus, Kapitalismus.