30.06.2007 PDF

Germany's Next Topuni

Mit der neuen Elite die Welt erobern


Es ist kein Geheimnis, dass der bundesdeutsche Staat seinen Hochschulen eine prinzipielle Reform verordnet hat. Es ist auch kein Geheimnis, dass eine solche Reform Ausdruck einer ganz schön grundsätzlichen Unzufriedenheit ist. Die Politik ist von den Ergebnissen ihres Bildungssystems nicht begeistert und propagiert daher als Gegenmaßnahme etwas, das noch vor wenigen Jahren einen Sturm der Entrüstung unter Studierenden, deren Vertretungen und der politischen Opposition ausgelöst hätte: Elite. Es fehlt offensichtlich an richtig guten Leuten, die an richtig guten Universitäten ihr Können unter Beweis stellen dürfen. Die Situation an bundesdeutschen Hochschulen spiegelte bislang nach Meinung der Politik den Zustand in der BRD nur allzu getreu wider. Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen hingen in der Hängematte rum, ProfessorInnen und StudentInnen machten es ihnen an dafür viel zu teuren Institutionen nach. Eine Lektion, die jeder Mensch, der in dieser Wirtschaft lebt, zur Genüge kennt, soll jetzt auch den Hochschulen Beine machen. Gegen zu wenig Eigenleistung hilft der Anreiz zu mehr Leistung, den die Politik — ganz wie im echten Geschäftsleben - durch Konkurrenz um die Geldtöpfe installieren möchte. Universitäten und mit ihnen ihre Angestellten und StudentInnen sollen gegeneinander konkurrieren. Mit der Gleichung mehr Konkurrenz = mehr Leistung will die Politik das deutsche Hochschulwesen dahin katapultieren, wo es eigentlich eh schon immer hingehörte: an die internationale Spitze. Die Hoffnung auf Harvard in Deutschland und viele zukünftige Nobelpreisträger deutscher Provenienz verdankt sich keineswegs dem Wunsch, die Menschheit mit hilfreichem Wissen zu versorgen, sondern handfesten wirtschaftlichen Interessen. Die Reformen der vergangenen Jahre - von der Steuer bis Hartz IV - waren alle motiviert dadurch, dass man glaubte, Deutschland einen besseren Platz in der internationalen Konkurrenz der Wirtschaftsmächte sichern zu müssen. Die Hochschulreform macht da keine Ausnahme. Auch sie soll dem deutschen Wirtschaftswachstum dienen. Wie das funktionieren soll und welche Folgen Maßnahmen wie die Einführung von Exzellenzinitiativen haben, kommt jetzt.


1. Akt: Drittmittel
Lange Zeit galt das Prinzip, dass die Wissensproduktion möglichst unbehelligt von Geldsorgen stattzufinden habe, da nur so gewährleistet sei, dass sich Wissenschaftler auf ihre Forschungen konzentrieren könnten. Dieses Prinzip, der Staat stellt seinen Hochschulen Geldmittel zur Verfügung, die sie dann relativ frei nach Fakultäten und Instituten aufgeteilt ausgeben können, wurde zunächst mit der Einführung von Drittmitteln aufgeweicht. Zusätzliche Mittel aus der freien Wirtschaft sollten die relativ teure Wissensproduktion in Forschungsbereichen garantieren, deren Finanzierung über Haushaltsgelder sonst nicht zustande gekommen wäre. Wer sich dann Gelder für seine Forschung außerhalb der obligatorischen Haushaltstöpfe organisieren konnte, galt ziemlich schnell als erfolgreicherer Wissenschaftler. Immerhin konnte dieser Wissenschaftler seinem außeruniversitären Geldgeber klarmachen, dass seine Forschungen mehr Praxisnähe aufwiesen oder wie auch immer irgendwie relevant seien. Schon die Einführung von Drittmitteln hat die Hochschulen bereits ordentlich umgekrempelt. Hochschulstandorte mit millionenschweren Sonderforschungsbereichen, die von der Deutschen Forschungsgesellschaft finanziert werden oder mit Graduiertenkollegs, die so klangvolle Namen tragen wie „Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz“ zogen den Neid anderer Hochschulen auf sich. Für das Renommee von WissenschaftlerInnen wurde es plötzlich wichtig, an solchen Projekten mitzuarbeiten oder noch besser, sie überhaupt einzuwerben. Die Teilnahme an derartigen Projekten wurde zur Notwendigkeit bei Berufungen auf andere begehrte Stellen. Der Politik jedoch reichten die Bemühungen ihrer vereinzelten WissenschaftlerInnen nicht aus, sondern sie wollte ganz nach amerikanischem Vorbild „Leuchttürme der Bildung“ einführen; Zentren, die es mit Princeton oder Oxbridge aufnehmen können. Dafür steht die Idee der Eliteuni. Das soll so gehen:

Exzellente Kröten
Der Staat stellt zusätzliche Mittel in Form eines Geldtopfes zur Verfügung. Doch anstatt diese Gelder breit zu streuen, lässt er die Universitäten, die auch vorher schon um Fördermittel und Studierende stritten, um diese neuen Gelder konkurrieren. Drei neue Förderlinien (Graduiertenschule, Exzellenzcluster, Zukunftskonzepte) sollen den Kampf um die Eliteplätze unter den Universitäten Deutschlands einleiten. Die Graduiertenschulen dienen der Ausbildung von DoktorandInnen, Exzellenzcluster stellen die wissenschaftliche Forschung von 25 gemeinsam arbeitenden WissenschaftlerInnen zu einem Themenkomplex gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Relevanz dar. Bei den Zukunftskonzepten dagegen handelt es sich um die langfristige Planung der Forschung einer Universität. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass eine Universität mindestens einmal in beiden erstgenannten Kategorien erfolgreich war. Zusätzlich zu diesen neuen Förderlinien werden noch einige Sonderregeln wie beispielsweise die leistungsbezogene ProfessorInnenbezahlung eingeführt. Die Hochschulen nehmen diese Angebote ernst und eröffnen bereitwillig den Kampf um den Status der Eliteuniversität. Die neue staatliche Hochschuleoffensive glaubt schwer an die Gleichung mehr Konkurrenz = mehr Leistung. Indem sie den Wettbewerb unter den Hochschulen an dasjenige knüpft, wovon die Forschung immer zu wenig hat, nämlich an Geld, hofft sie, die gewünschten Ergebnisse herbei zu regieren. Der Leistungsdruck, der dabei entsteht, aber ja auch von allen Beteiligten gewollt ist, bleibt jedoch nicht auf die Forschung beschränkt. Auch Studierende müssen sich zukünftig fragen lassen, was sie für ihre Hochschulen zu leisten bereit sind: materiell und im Sinne der Aufwendung von Lebenszeit.

Vorbei mit dem schönen Leben
Neben und mit der Förderung von Eliteuniversitäten und der Einführung von Studiengebühren forciert der Staat mit dem auf europäischer Ebene beschlossenen Bologna-Prozess einige zusätzliche Härten für Studierende. Zunächst müssen die dem Anspruch nach international anerkannten neuen Abschlüsse Bachelor und Master her. Deutschland will genauso schnell und kostengünstig wie der Rest der Welt den Arbeitsmarkt mit BachelorabsolventInnen bedienen. Nicht mehr neun oder zehn Semester sollen StudentInnen „bummeln“, sondern nach sechs Semestern ihren akademischen Grad erhalten und damit genauso schnell wie Briten und Amerikaner ihren zukünftigen Arbeitgebern dienstbar sein. Die Universitäten wiederum, nicht nur weil sie von Staats wegen verpflichtet werden, sondern auch weil sie die Zielvorgaben durchaus teilen, machen sich bereitwillig an die Umsetzung eines kurzen Studiums und straffen die Lehre. Den BachelorstudentInnen wird in kürzerer Zeit nur bestimmtes Wissen, das als ausreichend definiert wird, vermittelt. Die Fähigkeit zukünftig eigenständig weiter zu denken oder zu forschen, bleibt dabei ein wenig auf der Strecke. Das wird bewusst in Kauf genommen. Alles andere wäre Verschwendung von Ressourcen. Nur 20% der AbsolventInnen sollen dann überhaupt noch den Zugang zur nächsten Stufe der Hochschulausbildung, dem in der Regel vier Semester dauernden Master, und somit zur Berufstätigkeit als Wissenschaftler oder Führungskraft in der Wirtschaft gewährt werden.
Durch die Schaffung von Eliteuniversitäten und der Einführung internationaler Vergleichbarkeit der akademischen Abschlüsse bezweckt der Staat mehrere Ziele. Mit der Vergleichbarkeit der Abschlüsse will er gemeinsam mit den anderen EU-Staaten einen gemeinsamen europäischen Bildungsmarkt schaffen, der seinen nationalen Kapitalien als größere Zugriffsmöglichkeit auf Wissen und Personal dienen soll. Weiterhin versucht er damit führende WissenschaftlerInnen aus aller Welt anzulocken, um nicht zuletzt — gerade in Verbindung mit der Ermöglichung der Erhebung von Studiengebühren — zahlungskräftige und —willige StudentInnen den Vorteil des Studiums an einem Harvard in Sachsen schmackhaft zu machen.
Die verstärkte Selektion durch Leistungsdruck, Verkürzung der Studienzeit und achtstündiger Arbeitstage an der und für die Uni (working-load) soll die Elite unter den besten Studenten herausfiltern. Das dann diejenigen Studierenden, die zur Elite gehören wollen auch an eine Eliteuniversität wollen, wird zur logischen Konsequenz. Für die bessere Ausbildung und höhere Chancen auf dem Arbeitsmarkt wird man dann aber natürlich auch verstärkt zur Kasse gebeten, was durch die Einführung von Studiengebühren möglich gemacht wird. Angestrebt ist also ein Hochschulsystem, bei dem man den Platz der jeweiligen Hochschule im Ranking, an den Preisen für das Studium ablesen kann. Dieses Verfahren kann man durchaus elitär finden. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch jetzt schon diejenigen, die es überhaupt an die Hochschulen geschafft haben, einen Selektionsprozess durchlaufen haben, der es in sich hatte. Selektiert wurde da mindestens seit der ersten Klasse. Die Klage über zu wenige Arbeiterkinder bleibt uns also auch im neuen Elitewesen erhalten. Mit manchen Studierenden ist eben kein Staat zu machen, mit anderen hingegen — so die Hoffnung - eine durchaus noch potentere Wirtschaftsnation.

Wo Bildung draufsteht, ist Deutschland drin
Bei Bildungspolitik geht es nicht um Wissen, sondern um für die Nation verwertbares Wissen in bestimmter Zeit. Wissen ist kein Selbstzweck, sondern dient dem handfesten Interesse des Geldverdienens. Der Staat braucht eine Wissenschaft als Grundlage wirtschaftlicher und natürlich auch militärischer Macht in der internationalen Konkurrenz um den Reichtum der Welt. Jetzt könnte mensch glauben, so schlecht steht es doch gar nicht um diese Nation. Das Problem ist nur, dass das erstens ein komischer Standpunkt wäre, weil: was hat mensch davon, dass es Deutschland gut geht? In der Regel nichts. Ein Leben, dass sich in den Stationen Schule, Arbeit, Rente, Kiste erschöpft, ist nichts wofür mensch dankbar sein sollte. Zweitens: Dass Deutschland so schlecht in der internationalen Konkurrenz nicht dasteht, ist nichts, womit sich PolitikerInnen zufrieden geben, deren Arbeit ja genau darin besteht, Deutschland den bestmöglichen Platz in der Konkurrenz herbeizuregieren. Da soll Deutschland nämlich nicht nur eine der führenden Exportnationen und Nummer eins in der EU sein, sondern die Position dauerhaft behalten und ausbauen. Spitzenforschung, die Deutschland in angeblich zukunftsträchtigen Bereichen wie der Gentechnologie nach vorne bringt, ist dann ebenso fester Bestandteil der Politik fürs Volk wie das beständige Lohnsenken. Die auf ihre Neutralität pochende Wissenschaft spielt in diesem Prozess auch so ihre Rollen.
Die Eliteuniversität soll im besonderen Maße dem Zweck nachkommen, exklusives Wissen zu produzieren, also Wissen, das sich vom durchschnittlichen Universitätsbetrieb abhebt. Wissen steht natürlich in Widerspruch zur Exklusivität. Wird ein neues Produkt exportiert, können WissenschaftlerInnen anderer Nationen ziemlich schnell herausfinden, was für ein Wissen hinter dem Produkt steht. Damit aus neuem Wissen ein Kassenschlager für die Nation wird, muss das internationale Patent dazwischen geschoben werden. Das exklusive Recht auf ein Produkt hat natürlich seinen Grund nicht im Wissen, sondern in der staatlichen Macht gegenüber anderen Nationen. Aber die Bedingungen für diese internationalen Konkurrenzmanöver sollen die Eliteunis liefern, und deshalb sind sie ein einziger Widerspruch zum Ideal, mehr Wissen mache allen Menschen in der Welt das Leben einfacher. Da kann die Wissenschaft sich noch so viel Neutralität einbilden.
Unterhalb des Patents sind Innovationen in den Werkstoffwissenschaften und im Maschinenbau erwünscht. Der technische Fortschritt senkt die Produktionskosten, indem mehr, günstiger oder mit weniger ArbeiterInnen hergestellt werden kann. Wissen ist immer dann besonders nützlich, wenn es wirklich nützt — und zwar Deutschland und seinem Wachstum. Zeitlich begrenzte Konkurrenzvorteile in bestimmten Produktionssphären durch einen technischen Fortschritt, den andere Nationen noch nicht haben, sind bezweckt, wenn der Staat sich Bildung leistet.
Sollten sich diese Konkurrenzvorteile jedoch nicht einstellen und müssen Staaten um ihr Wachstum bangen, dann werden der Reihe nach alle gesellschaftlichen Bereiche durchgenommen - jeder kriegt da sein Fett ab. Und wenn Elfenbeintürme zu Leuchttürmen werden sollen, könnte vielleicht noch dem letzten Zweifler klar werden, dass die viel beschworene Autonomie der Wissenschaft eben jenen praktischen Nutzen zeitigen sollte: Geldverdienen für Deutschland. Und das, so glaubt man heute, geht am besten mit einer Elite, die sich endlich auch so fühlt, nachdem sie sich an den Universitäten durchgeboxt hat und die erworbenen Schlüsselqualifikation von allzeit ausgefahrenem Ellbogen jederzeit anzuwenden bereit ist. Wen solche Konkurrenzveranstaltungen nicht anmachen, ist herzlich eingeladen, mal bei unseren Seminaren vorbeizuschauen, die sich von denen an der Uni grundlegend unterscheiden. Deutschland ist da jedenfalls nicht drin.


Dieser Text wurde im Sommer 2007 im Zusammenhang mit der Unibroschüre "Texte gegen den Wissenschaftsbetrieb" von der Gruppe jimmy boyle veröffentlicht. Du kannst die Broschüre hier als pdf[195kb] herunterladen.