02.09.2012 PDF

Digitales Eigentum bleibt gemein!

Die Open-Source/Freie-Software Bewegung genießt unter Linken einen relativ guten Ruf.1 Schuld daran ist nicht nur, dass deren Entwickler Dinge, für die man sonst zahlen muss, kostenlos zur Verfügung stellen, sondern auch, dass die Bewegung in Opposition und deren Erzeugnisse sogar als praktischer Gegenentwurf zum kapitalistischen Privateigentum vorgestellt werden. Aber steht das Konzept Open Source wirklich im Gegensatz zu den herrschenden Eigentumsverhältnissen?

Immaterielle Güter sind anders...

Zumindest einige Vertreter dieser Bewegung scheinen sich am Eigentum zu stören. Und zwar dort, wo es digitale Güter betrifft. Ihr Thema ist also nicht das Eigentum an Lebensmitteln, Land und Fabriken, sondern das Eigentum, wenn es Software, Patente und Texte betrifft. In der Tat gibt es in der Sache durchaus einen Unterschied zwischen physischen und sogenannten „immateriellen“ Gütern.

Wenn jemand mein Fahrrad benutzt, kann ich es nicht gleichzeitig verwenden. Ideen aber – wie sie zum Beispiel in diesem Text vorkommen – kann man verbreiten und mit anderen teilen, ohne dass man davon weniger hat. Wir wissen vom Inhalt dieses Textes nicht weniger, wenn die LeserInnen nach dem Lesen mehr darüber wissen. Aber immerhin: Ihn zu lesen, zu verstehen, Fehler zu finden, die wir vielleicht darin gemacht haben, ist jedes Mal intellektueller Aufwand – eine Tätigkeit also, die Zeit kostet und Voraursetzungen hat, z.B. die Fähigkeit Lesen zu können. Ganz „umsonst“ und ohne Voraussetzungen geht das mit dem Verbreiten also nicht. Dennoch, der Text als solcher, und damit die darin enthaltene Information, hat die Eigenschaft, dass man ihn ohne Informationsverlust beliebig oft kopieren (und damit auch übertragen, darstellen, verfügbar machen, kurz: benutzbar machen) kann. Wenn bestimmte Voraussetzungen einmal vorhanden sind (Computer, das Internet), kann man eine Datei, die den Text enthält, billig vervielfältigen – der Aufwand dafür wird dann so gering, dass er irgendwann für den Einzelnen praktisch gleich Null ist.

...und das Eigentum an ihnen fällt anders auf

Auf hin- und herschwirrende Ideen, auf Dateien oder andere digitale „Informationsbehälter“ einen Eigentumstitel zu kleben, erscheint so als eine Einschränkung, die „künstlich“ ist, die nicht sein müsste – alleine schon deshalb, weil man es gewöhnt ist, diese Dateien zu kopieren. Hier fällt auf: Eigentum zu sein ist keine Eigenschaft dieser Sachen selbst, sondern es wird äußerlich gesetzt. Was dabei noch auffällt, ist, dass manche Dateien, z.B. Musiktitel, nicht kopiert werden dürfen. Es gibt ein Verbot, diese weiterzugeben. Und das scheint bei Dateien nochmal besonders abstrus, da der Inhalt durch das Weitergeben gar nicht verändert oder beschädigt wird. Beim „digitalen Eigentum“ erscheint also anders, nämlich deutlicher, dass die staatliche Gewalt mit ihren Patent-, Urheber- und sonstigen Rechten die Benutzung einschränkt. Das Eigentum erscheint hier klar als das, was es ist: als eine Schranke.

Mehr noch, die Resultate von Wissenschaft und Technik waren schon lange vor dem Beginn der digitalen Datenverarbeitung Gemeinschaftsprodukte in dem Sinne, dass noch die kleinste neue Entdeckung oder Erfin­dung auf so zahlreichen anderen Entdeckungen und Erfindungen aufbaute, dass der jeweilige Urheber nur bei einem Bruchteil dieser notwendigen (im-)materiellen Voraussetzungen weiß, wo sie herkommen. Mathematische Erkenntnisse bauen auf anderen mathematischen Erkenntnissen auf, Software basiert auf Ideen anderer Softwarepakete oder gleich ganzen anderen Paketen.2

Um mit Erkenntnissen und Technologie voranzukommen, braucht man also Zugang zu dem, was es schon gibt. Wenn heute immer wieder Eigentumstitel verteidigt und genutzt werden, wenn also der Zugang und die Anwendbarkeit vorhandener Informationen gesetzlich beschränkt wird, dann ist das ein Hindernis für die Entwicklung neuer Ideen. Eigentum erscheint als eine willkürliche Trennung dessen, was doch notwendig aufeinander verwiesen ist: Es ist nicht nur eine Schranke, welche verhindert an bestehende Dinge oder vorhandenes Wissen zu kommen, sondern auch ein Hindernis für die Entdeckung und Entwicklung neuer Sachen.

Eigentumslosigkeit als Norm

Das Konzept Open Source ist zusammen mit der Entwicklung von Großrechnern, PCs und Internet entstanden und hat diese Entwicklung selbst vorangebracht. Ausgangspunkt der Open-Source-Bewegung war die Wertschätzung besonderer Eigenschaften digitaler Güter, insbesondere die verlustfreie Reproduzierbarkeit und die damit verbundenen Vorteile bei der gemeinsamen Bearbeitung von Code. Die Protagonisten dieser Bewegung wussten sich diese Eigenschaften bei ihrer Arbeit zunutze zu machen und beschäftigten sich mit den Voraussetzungen dafür. Die Beschäftigung mit diesem Thema war neu, denn am Anfang der praktischen Informatik, so ab den 1950er Jahren, war der freie Zugang und die de facto uneingeschränkte Benutzbarkeit aller benötigten Informationen – zumindest was Software anging – selbstverständlich. Jedenfalls für Leute mit dem entsprechenden Wissen, die an einschlägigen, gut ausgestatteten Forschungseinrichtungen arbeiteten. Software wurde schlicht als Gratiszugabe zu massiven, teuren Großrechnern angesehen und entsprechend offen verteilt, studiert und verändert.

Erst ab Ende der 1970er Jahre entwickelte sich ein Markt für proprietäre Software – also Software, die man nicht einfach verbreiten und verändern darf. Firmen wie Microsoft begannen, mit dem Verkauf von Software und insbesondere von Lizenzen für die Benutzung von Software ein Geschäft zu machen.3 Gegen diese neue Bewegung traten Leute wie Richard Stallman – Gründer des GNU Projekts, welches die bekannteste Open-Source-Lizenz, die General Public License (GPL), heraus gibt – an, um den Status quo zu bewahren. Stallman und seine KollegInnen entwickelten Software gemeinsam und bestanden darauf, dass andere ihre Produkte studieren, benutzen und weiterverbreiten dürfen sollen. Das ist, vom Stand­punkt der planvollen Produktion nützlicher Dinge betrachtet, eine vernünftige Sache.

Eigentum – eine Norm für die Welt der physischen Dinge?

Das GNU-Projekt war der Ursprung der Open-Source-Bewegung. Dieser Bewegung ist heute wichtig, dass aus den sachlichen Besonderheiten immaterieller Güter folge, dass das Eigentum für diese Güter eine geringere oder andere Rolle spielen müsse als für andere – materielle – Sachen.

Damit entgeht dieser Bewegung aber genau das, was gerade an der Unterwerfung immaterieller Güter unter das Eigentumregime, vorangetrieben durch die Pioniere der proprietären Softwareentwicklung, auffallen könnte: Dass das Eigentum stets ein den Gütern äußerliches soziales Verhältnis ist. Protagonisten von Open Source (oder Bewegungen, die davon inspiriert wurden) unterstellen das Eigentum an solchen physischen Dingen als der Natur der Sache, insbesondere ihrer (angeblichen) natürlichen Knappheit, entsprechend.

Zum Beispiel schreiben die Piraten in ihrem Grundsatzprogramm: „Systeme, welche auf einer technischen Ebene die Vervielfältigung von Werken be- oder verhindern („Kopierschutz“, „DRM“, usw.), verknappen künstlich deren Verfügbarkeit, um aus einem freien Gut ein wirtschaftliches zu machen. Die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichen Interessen erscheint uns unmoralisch, daher lehnen wir diese Verfahren ab. […] Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der meisten Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert.4

Was digitale Güter angeht, beklagen die Piraten also, dass dort Menschen qua Eigentumstitel „künstlich“ vom Benutzen abgehalten werden, entgegen der „natürlichen“ Eigenschaft von Information kopiert werden zu können. Andererseits können sie dies bei materiellen Dingen so generell nicht feststellen, diese sind nach der Logik des Grundsatzprogramms durchaus von selbst „wirtschaftliche Güter“. Eine Annahme die den Verfassern so selbstverständlich zu sein scheint, dass sie dies nicht explizit erwähnen.

Das GNU-Projekt spricht den angenommenen Unterschied zwischen ideell und materiell explizit an: „Unsere Ideen und Intuitionen über das Eigentum an materiellen Dingen handeln davon, ob es richtig ist jemanden ein Objekt wegzunehmen. Sie betreffen das Kopieren nicht direkt. Eigentümer wollen aber, dass wir jene dennoch anwenden (…) Aber Leute im Allgemeinen haben wahrscheinlich nur Sympathien für die Beanspruchung von natürlichen Rechten aus zwei Gründen. Ein Grund ist eine überdehnte Analogie mit materiellen Dingen. Wenn ich Spaghetti koche, dann erhebe ich Einspruch dagegen, wenn jemand anderes sie isst, weil ich sie dann nicht mehr essen kann. Seine Aktion schadet mir genauso viel wie sie ihm nützt; nur einer von uns kann die Spaghetti essen, die Frage ist, wer von uns? Der kleinste Unterschied zwischen uns ist genug um die ethische Balance zu stören. Aber wenn Du ein Programm, das ich geschrieben habe, ausführst oder veränderst, dann betrifft das Dich direkt und mich nur indirekt. Ob Du deinem Freund eine Kopie gibst, betrifft Dich und deinen Freund wesentlich mehr als es mich betrifft. Ich sollte nicht die Macht haben, Dir zu sagen das nicht zu tun. Niemand sollte das.5

Die aufgemachte Trennung zwischen materiellen und ideellen Dingen im Bezug auf das Eigentum, stimmt aber so nicht.

  1. Unter dem Regie des Eigentums ist erst einmal gleichgültig, ob der Eigentümer eine Sache benutzt oder nicht. Wenn Leute an Eigentum an materiellen Gütern denken, dann denken sie an ihre persönlichen Hab­seligkeiten, Dinge die sie mehr oder weniger regelmäßig brauchen. Das trifft aber das Eigentum nur am Rande, es funktioniert viel grundsätzlicher. Zum Beispiel werden besetzte Häuser geräumt und stehen dann wieder leer. Oder Waldstücke von Eigentümern werden eingezäunt, die in ganz anderen Gegenden wohnen. Die Frage, ob jemand eine Sache gebrauchen kann, stellt sich dank des Eigentumsverhältnisses so nicht. Das Eigentum an einer Sache gilt, ganz egal, ob der Eigentümer oder jemand anderes diese – zum Beispiel gegen Bezahlung – benutzt. Die absolute Verfügung über Reichtümer egal welcher Art und welchen Umfangs einklagbar zu machen, das ist das Privateigentum und es wird mit allen erforderlichen Mitteln vom Staat durchgesetzt. Egal ob materi­elles oder immaterielles Gut – den Regeln des Eigentums nach ist es erst einmal ziemlich egal, wer was wie benutzen will. In dieser Hinsicht ist die Unterscheidung also Pustekuchen.

  2. In einer Hinsicht spielt das Benutzenwollen aber schon eine Rolle – eine negative. Das Ei­gentum an einem Haus ist Ausdruck des Ausschlusses Dritter von der Benutzung des Hauses. Mit dem Haus selber kann man nämlich kein Eigentumsverhältnis eingehen, es ist nur ein Haus, nicht fähig zu einem Rechtsverhältnis. Genauso wie eine DVD mit „Windows“ darauf nicht unbedingt installiert werden darf, nur weil sie gerade bei mir herumliegt: Die Funktion eines Eigentumstitels ist ja gerade die, dass andere mein Eigentum nicht ohne mein Einverständnis be­nutzten dürfen, obwohl sie wollen und vielleicht auch unmittelbar physisch könnten. Das, was den FreundInnen der freien Software an digitalen Gütern auffällt, könnte ihnen am Eigentum an materiellen Dingen genauso auffallen: Eigentum ist ein Verhältnis zwischen Leuten, nicht zwischen Dingen und Leuten, und ein ziemlich negatives Verhältnis zwischen Leuten dazu. Eigentum wirkt als eine Schranke für die Benutzung, bei der es darauf ankommt, dass der andere das, was meines ist, will, es aber, weil es meines ist, nicht (unmittelbar) bekommen kann. Die Eigentumsgarantie für materielle Dinge gibt es nicht obwohl, sondern weil andere die Eigentumsgegenstände wollen, brauchen, benötigen. Das Eigentum an Brot und erst recht an Brotfabriken ist deswegen relevant, weil andere Leute Hunger haben. Sonst bräuchte man den Ausschluss nicht zu garantieren.

  3. Außerdem: Den harten Gegensatz zwischen materiell und immateriell bezüglich der Reproduzierbarkeit von Gütern gibt es nicht. Man kann materielle Dinge herstellen, was nichts anderes heißt, als die festgestellte Knappheit zu beseitigen. Es gibt nicht eine bestimmte (Maximal-)Anzahl von Brotmessern in der Welt, man kann mehr herstellen. Klar, dafür muss man dann was tun, aber einfach „knapp“ ist da nichts.6 Zum Herstellen braucht man aber Zugang zu den Produkti­onsmitteln, die wiederum auch in privater Hand sind. Auch dabei ist gleichgültig, ob man sie „wirklich“ braucht oder ob sie gerade benutzt werden. Allerdings ist ein Unterschied zwischen Software und Brotmessern, dass die zeitgemäßen Produktionsmittel für Software inzwischen billige Massenprodukte sind und bei den meisten Leuten sowieso schon zu Hause herumstehen. Mit einem zehn Jahre alten Computer vom Sperrmüll kann man Softwa­re schreiben, die auf dem Stand der Technik ist.7 Entsprechend braucht man in die Produktion von Software „nur“ Bildung und Arbeitszeit zu investieren, während man bei etwa bei Brotmessern von ihren Produktionsmitteln – auf dem Stand der Technik – ausgeschlossen ist. Dafür bräuchte es tatsächlich eine Brotmesserfabrik und die will erst einmal gekauft werden.

  4. Die Produktionsmittel wiederum sind auch nicht einfach „knapp“, sondern auch größtenteils herstellbar. Zu den Produktionsmitteln bekommt man keinen Zugang, weil ihr Zweck für den Eigentümer ist, sich da­mit Zugang zu den Reichtümern der Gesellschaft zu verschaffen und darüber hinaus Geld zu vermehren. Er weiß ja, dass er sich mit anderen immer einigen muss, um an deren Produkte heranzukommen. Entsprechend benutzt er seine Fabrik – sowie Leute, die keine Fabriken haben, d.h. Arbeitskräfte – um etwas herstellen zu lassen, was er verkaufen kann. Mit dem Erlös kann er dann einkaufen gehen – am besten und in der Regel wieder Arbeitskräfte und Produktionsmittel, damit der Spaß wieder von vorne losgeht. Genau wie bei immateriellen Gü­tern ist man bei materiellen Gütern in einer arbeitsteiligen Gesellschaft auf die anderen angewie­sen. Weil hier Eigentumsansprüche gelten, ist man aber von deren Produkten prinzipiell ausgeschlossen und so darauf verwiesen, den Bedarf anderer für sich auszunutzen. Die Absurdität anders auf den Punkt gebracht: Gerade weil man auf die anderen ange­wiesen ist, beharrt man auf deren Ausschluss. Wenn alle mir nur etwas geben, wenn ich ihnen etwas gebe, dann werde ich darauf schauen, dass ich das, was ich habe, auch dafür einsetze, dass ich was bekommen kann … indem ich anderen genauso gegenüber trete, wie sie mir.

Eigentum hat den gleichen ausschließenden Charakter, unabhängig davon, ob es um materielle oder immaterielle Güter geht. Das sieht die Open-Source-Bewegung aber ganz anders – und teilt damit eine fatale Fehleinschätzung über den Kapitalismus mit so vielen anderen Menschen.

Nochmal anders formuliert: Der „linke Flügel“ der Open-Source-Bewegung beharrt auf einer strikten Trennung zwischen digitalen und materiellen Gütern, um damit das Eigentumsregime über digitale Güter zu kritisieren. Mit ihrer Argumentation bestätigen und zementieren sie aber gerade, dass Menschen qua Eigentum von den Dingen, die sie brauchen, ausgeschlossen sind. Die Parole „Free Software today, free carrots tomorrow“ eines linken Open-Source-Aktivisten mag nett klingen, mit dem Appell an die „Eigentumskritik“ von Open-Source wird aber eine falsche Vorstellung bestätigt, die „Karotten für alle und zwar umsonst“ verhindert.

Open-Source-Lizenzen: Eigentumskritik mit den Mitteln des Rechts?

Wenn man Open-Source-Software entwickelt, ist der Zugang zum eigenen Arbeitsprodukt in Form von Recht organisiert. Insbesondere das Urheberrecht gilt ohnehin: Es wird vom Staat für alles gesetzt, was einen ideellen Urheber hat. Aber darüber hinaus legt eine Open Source-Lizenz mit den Mitteln des Rechts fest, was man mit dem Produkt machen darf und was nicht – grundsätzlich nicht anders als an vielen anderen Stellen in der bürgerlichen Gesellschaft üblich, insbesondere in der Industrie. In der Regel darf man den Quellcode lesen, verändern und weiterverbreiten.8 In den genauen Bestimmungen unterschei­den sich die verschiedenen Lizenzen erheblich. Grob lassen sich dabei zwei Varianten von „Offenheit“ unterscheiden. Die bereits erwähnte GPL sagt aus, dass sobald man ein GPL lizenziertes Stück Software in seinem Programm benutzt, das gesamte Programm unter GPL stehen muss. Das heißt, die Lizenz ist „virulent“ und Komponenten stecken sich gegenseitig an. Zum Beispiel kann man nicht einfach den Linux Kernel (also den Kern des Betriebssystems) nehmen, ein paar Veränderungen ma­chen und das Ergebnis ohne Quellcode verbreiten; man muss auch den Quellcode der eigenen Änderungen frei­geben.

Die BSD-Lizenz ist da weniger strikt.9 So sind zum Beispiel BSD-Programme Bestandteil von „Microsoft Windows“, ohne dass deswegen irgendwelche Quellen veröffentlicht werden müssten. Die Lizenz verlangt in erster Linie, dass die Autoren genannt werden müssen. Und sie regelt zweitens, dass man niemanden verklagen darf, wenn etwas schief geht: ein Haftungsausschluss. Die beiden Seiten können sich in der Frage lange streiten: Die einen (GPL) meinen, man müsse die Freiheit mit Zwang schützen, die anderen (BSD) meinen, dass dabei die Freiheit verloren ginge.10

Wer nun Recht hat oder ob die Frage sich nicht lösen lässt, weil diese Freiheit ihr Gegenteil, die Herrschaft, enthält, müsste in einem anderen Artikel geklärt werden. Was man aber feststellen kann, ist, dass diese Art der praktischen Eigentumskritik das (Mit-)Eigentum an einem Softwareprodukt notwendig voraussetzt. Richard Stallman hat deswegen die GPL als einen „legal hack“, also als einen legalen Trick bezeichnet.11 Man insis­tiert auf seinem Eigentum12 (indem man Lizenzbedingungen einfordert), um die freie Weitergabe zu garantieren.

Das Rechtssystem – garantiert durch die Staatsgewalt – lässt sich aber nicht überlisten: Lizenzen (egal welcher Art) sind legal bindende Verträge, die im Zweifelsfall von der Staatsgewalt durchge­setzt werden können, wenn eine Seite sie einfordert.13 Dies hat zu der Situation geführt, dass z.B. Wissenschaft­lerInnen, die ihre Forschungssoftware für andere zugänglich machen, sich massenweise mit verschiedenen inkom­patiblen Lizenzmodellen beschäftigen: Darf ich die Open-Source-Software eines anderen Wissenschaftlers le­gal mit meiner Open-Source-Software kombinieren?14 Aus der kreativen Anwendung und Überlistung des Rechts – Stallman und Co. machen „Ansagen“ an das Recht –, wurde die ganz prinzipielle Unterwerfung unter das Recht – das Recht macht Ansagen an Stallman und Co –, schlicht, weil das Recht so funktioniert.

Mehr noch, in einer Gesellschaft, wo fast nur Anhänger des Rechts herumlaufen, hat solch ein „Hack“ so seine eigene Dynamik. Inzwischen hat sich der Bereich, auf den Lizenzen in diesem Stil angewendet werden, erheblich erweitert. Die Creative-Commons-Bewegung15 empfiehlt auch Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und im Zweifelsfall je­dem, der seine Urlaubsfotos ins Internet hochlädt, sich nachhaltig zu Eigentümern ihrer jeweiligen Informati­onsprodukte zu erklären, um dann, aus einem Baukasten der Rechteeinräumung schöpfend, Dritte mehr oder weniger von der Benutzung auszuschließen. Lawrence Lessigs Creative-Commons-Initiative hat im Gegensatz zu Richard Stallman auch keine Probleme mehr mit dem real existierenden Copyright-Regime, wenn sie richtig feststellt: „Creative Commons licenses are copyright licenses – plain and simple. CC licenses are legal tools that creat­ors can use to offer certain usage rights to the public, while reserving other rights. Without copyright, these tools don’t work.“16 Und bei der Durchsetzung dieses Copyright-Regimes hilft die CC-Bewegung kräftig mit. Inzwischen werden auch Dinge mit Eigentumstiteln ausgestattet, über die sich vorher einfach niemand Gedanken ge­macht hat, z.B. die oben erwähnten Urlaubsfotos17.

Wie präsent der Formalismus des Rechts in den Köpfen dieser Leute ist, kann man an der Kontroverse und der Zurückziehung der Devnations-2.0-Lizenz sehen.18 Die Devnations-2.0-Lizenz sah vor, dass Menschen in „Entwicklungsländern“ Produkte kostenlos benutzen dür­fen, aber Leute aus den kapitalistischen Zentren nicht. Eine Lizenz, die also die echte materielle Ungleichheit wenigstens zum Thema gemacht hat.19 Sie wurde zurückgezogen, weil sie Bewohner aus Industriena­tionen diskriminierte, und damit die Gleichheit vor dem Gesetz verletzte. Wenn man der Open-Source Bewe­gung nachsagen will, sie sei mit einer Eigentumskritik ans Werk gegangen – wenn auch auf immaterielle Gü­ter beschränkt – oder sie habe sich am Ausschluss der Menschen vom digitalen Reichtum dieser Welt gestört, dann hat sie auf jeden Fall das Gegenteil erreicht. Hacken kann man die Rechtsordnung eben nicht – eine vernünftige Kritik sieht anders aus.

Software-Allmende für Unternehmensgewinne

Der Erfolg der Open-Source-Bewegung beruht auch darauf, dass sie sich bestens mit der ansonsten weiterhin nach allen bekannten Prinzipien der privaten Ausnutzung von Erfindungen gedeihenden IT-Branche ver­trägt20. Im Folgenden ein paar Beispiele, die verdeutlichen sollen, wie Geschäft und Open-Source zusammen passen, also wie man mit etwas Geld verdient, was man umsonst zur Verfügung stellt.

Die Mozilla Foundation – vor allem bekannt als Herstellerin des Browsers „Firefox“ – erhält einen Großteil ihres Verdienstes von Google Inc. Google Inc. zahlt dafür, dass Google auf dem Firefox die voreingestellte Suchmaschine des Browsers ist. Apple wiederum setzt mit seinem OS-X-Betriebssystem auf ein Open-Source-System auf, dafür arbeiten sie auch mal an Open-Source-Projek­ten mit oder kaufen diese gleich auf. Die Resultate nutzt diese Firma dann, um Hardware, Softwarepakete, Filme und Musik zu verkaufen. Die Entwicklung des Kerns des Linux-Betriebssystems geschah (laut einer kürzli­ch veröffentlichten Studie), nur zu 7,7 % explizit unbezahlt.21 Die größten Firmen, die Mitarbeiter damit beschäftigen, an diesem Betriebssystem mitzuwirken, sind Red Hat Linux, IBM und Novell, also Global Player auf dem internatio­nalen IT-Markt. Sie entwickeln Linux mit, um lohnende Geschäfte damit zu machen. Sie verkaufen zum Beispiel An­wendungen, die auf Linux laufen oder bieten Firmen Support-Verträge an: Ihr kauft unser Produkt und wir stellen sicher, dass es rund läuft. Dafür zahlen andere Unternehmen dann Geld, obwohl man sich aus Open-Source-Projek­ten das Resultat grundsätzlich selbst zusammen bauen könnte. Google verbreitet sein „Android“-Betriebssystem und seinen Web­browser unter einer Open-Source-Lizenz – vor allem damit auch Smartphone-Nutzer Google-Produkte verwenden, an denen der Konzern direkt oder indirekt durch Werbung verdient. Viele Firmen steuern Hilfe zur Entwicklung vom GCC-Compiler bei, weil das ein zentrales Stück Infrastruktur für jede Softwarefirma ist.22 Es ist billiger, das zusammen zu entwi­ckeln, als unabhängig eine eigene Alternative zu entwickeln. Selbst Microsoft hat inzwischen einige Produk­te unter Open Source-Lizenzen veröffentlicht.

Moderne Standort- und Wettbewerbspolitiker, die der Liebhaberei für das Hin- und Herschieben von Bytes ganz unverdächtig sind, haben dies verstanden – sie fördern und propagieren die Pflege und den Ausbau dieser gemeinschaftlich verfügbaren Infrastruktur nach Kräften. Zum einen, weil das den Standort stärkt und zum anderen weil die eigenen Behörden mit so manchem Open-Source-Produkt einfach billiger fahren. Übrigens: Durch sein Universitätswesen hat der bürgerliche Staat schon lange vor dem C6423 dazu bei­getragen, dass Grundlagenforschung und Wissen zum Wohle des nationalen Wirtschaftswachstums verwendet werden. Dazu passt auch ganz gut, dass die zwei prominentesten Open-Source-Lizenzen (GPL und BSD) an amerikanischen Eliteuniversitäten (MIT und Berkeley) entwickelt wurden.

Auch hat der moderne bürgerliche Staat erkannt, dass sein Patentrecht nicht nur Hebel für die private Ausnutzung von Innovationen ist, sondern eben auch Schranke – insofern versteht er auch die Sorgen der Open-Source-Aktivisten ganz gut. Wenn Innovationen nicht als Grundlage für neue Innovationen genutzt werden können, sieht es schlecht aus mit dem Wirtschaftswachstum. Darum hat er sich ein Patentrecht gegeben, das Patente jeweils für nur begrenzte Zeiträume schützt. Damit gibt er den widersprüchlichen Interessen von Ein­zelkapitalisten (die ihre patentierten Erfindungen ordentlich ausbeuten wollen, qua Ausschluss aller anderen Nicht-Zahler von der Nutzung der Patente) und ideellem Gesamtkapitalist (der Rest der Wirtschaft will und soll die Patente als Grundlage und Mittel des eigenen Wachstums nutzen können) an der Ausnutzung und Fortschreibung der Technik eine Verlaufsform.

Im kulturellen Bereich, also dort, wo CC-Lizenzen verbreitet sind, verhält sich die Sache oft nicht anders. Übrigens auch nicht bei denen, die ihren Produkten eine nicht-kommerzielle CC-Lizenz verpassen, also eine Lizenz, derzufolge man ein Produkt nur im nicht-kommerziellen Rahmen verwenden darf. Darin steckt die Absicht, andere davon auszuschließen, von den eigenen Arbeitsergebnissen geldmäßig zu profitieren. Dieser prinzipielle Vorbehalt, selbst im Falle eines online gestellten Urlaubsfotos der Einzige zu sein, der von dessen Verbreitung profitieren könnte, hat selbstverständlich nichts zu tun mit der Kritik an einer Gesellschaft, die auf wechselseitigem Ausschluss von nützlichen Dingen und notwendiger Angewiesenheit jedes Einzelnen auf eigenes Eigentum oder eigene Arbeitskraft basiert. Das Beharren auf dem Recht des Urhebers ist keine Eigentumskritik, sondern der Standpunkt des Eigentümers in Konkurrenz zu anderen.


1 In der Szene tobt ein teilweise erbitterter Streit um die Frage, ob man nun „Open Source“ Software oder „Freie Software“ entwickele. Das erste ist ein Modell zur Softwareentwicklung, das zweite ist ein umfassender Ansatz zum Thema Software und was man mit dieser machen können soll. Wir benutzen in diesem Text die Bezeichnung „Open Source“ ganz einfach, weil sie besser bekannt ist. Korrekterweise müssten wir „Freie Software“ schreiben, da unsere Kritik den umfassenderen Anspruch dieser Bewegung betrifft und nicht das schlichte Projekt, das Entwickeln von Software effektiver zu gestalten.

2 Bei der Softwareproduktion ist es – vernünftigerweise – üblich, häufig genutzte Funktionen in separate Pakete auszulagern, die man dann in ver­schiedenen Produkten benutzt. Die Dinger, in die solche Funktionen ausgelagert werden, heißen treffend Bibliotheken.

3 Bill Gates' Brief an den Homebrew Computer Club ist ein interessantes Dokument der Zeitgeschichte, in dem man gut nachlesen kann, dass es zu Beginn der neuen Entwicklung durchaus notwendig war, diese Privatisierung zu rechtfertigen: http://www.digibarn.com/collections/newsletters/homebrew/V2_01/gatesletter.html

5 „Our ideas and intuitions about property for material objects are about whether it is right to take an object away from someone else. They don't directly apply to making a copy of something. But the owners ask us to apply them anyway. [… ] But people in general are only likely to feel any sympathy with the natural rights claims for two reasons. One reason is an overstretched analogy with material objects. When I cook spaghetti, I do object if someone else eats it, because then I cannot eat it. His action hurts me exactly as much as it benefits him; only one of us can eat the spaghetti, so the question is, which one? The smallest distinction between us is enough to tip the ethical balance. But whether you run or change a program I wrote affects you directly and me only indirectly. Whether you give a copy to your friend affects you and your friend much more than it affects me. I shouldn't have the power to tell you not to do these things. No one should.https://www.gnu.org/philosophy/why-free.html, Hervorhebungen von uns.

6 Deswegen ist es auch albern, wenn Ökonomen immer mit Strandhäusern und berühmten Gemälden um die Ecke kommen, um ihre Theorien zu bebildern. Sie wählen Beispiele, wo Dinge wirklich knapp sind, um damit Aussagen über Sachen wie Brote, Wohnungen, Autos und Kleidung zu machen. Anders gesagt, sie wählen sich als Beispiele, Sachen die man nicht einfach durch Produktion vermehren kann, um die Ökonomie, wo es ja anscheinend ständig darum geht, dass die Leute mehr ackern, zu erklären.

7 Dieses Verhältnis ändert sich im Moment, so dass die Aussage in ein paar Jahren so nicht mehr stimmen könnte. Wenn Software auf vielen verteilten Rechnern läuft, die zusammen etwas berechnen, dann ist der 10 Jahre alte PC vielleicht nicht mehr das adäquate Produktionsmittel.

8 Quellcode heißt einfach nur das Programm in einer Sprache, die man als Mensch mehr oder weniger gut lesen kann, naja außer Perl halt.

9 BSD steht für Berkeley Software Distribution.

10 Manchmal stecken aber auch ganz einfache ökonomische Überlegungen hinter der Wahl der Lizenz. Die Mehrheit der Open-Source-Software im Bereich der „angewandten Mathematik“ steht unter der BSD-Lizenz, weil es oft Firmen gibt, die diese gar nicht weiterverkaufen, sondern selbst benutzen Software wollen und nur dann mitarbeiten, wenn sie das relativ uneingeschränkt können. Die Mehrheit der Open-Source-Software im Bereich „pure Mathematik“ hingegen steht un­ter GPL-Lizenzen, weil die einzigen Firmen, die sich für diesen Code interessieren, solche Firmen sind, die am Verkauf von dieser Software Geld verdienen. Entsprechend schützt man sich dagegen, dass der eigene Code als Teil einer solchen kommerziellen Software an einen für teures Geld wieder verkauft wird.

11 Dass jemand wie er darauf kommt, das Rechtssystem kreativ anzuwenden, ist auch nicht verwunderlich. Schließlich hat er gar kein Problem damit, dass die Dinge des täglichen Bedarfs nur für Geld zu haben sind, nämlich dass da jemand auf sein „gutes Recht“ auf Bezahlung behaart (siehe Fußnote 20).

12 Übrigens: Sein Eigentum gibt man mit einer Open-Source-Lizenz ganz und gar nicht auf. Die Bestimmungen in den Lizenzen gelten grundsätzlich nur für andere, ich als Eigentümer darf mit meinem Eigentum weiterhin machen, was ich will. Das ist die Grundlage eines Geschäftsmodells, durch welches man eine (eingeschränkte) Version seines Produkts als Open Source zugänglich macht und eine (verbesserte) Version ganz normal verkauft (z.B. die Arbeitsorganisationssoftware Zimbra)

13 Dieser „Trick“ wurde inzwischen in den führenden kapitalistischen Ländern als rechtlich bindend anerkannt: D.h., man kann in Deutschland jemanden verklagen, wenn er gegen die General Public License verstößt, z.B. indem er seine Änderungen am Quellcode nicht öffentlich zugänglich macht.

14 Die Antwort auf die Frage kann gut auch mal „nein“ heißen, wie ein relativ junges Beispiel aus der mathematischen Software-Welt zeigt: http://gmplib.org/list-archives/gmp-discuss/2008-May/003180.html

15 Die Creative-Commons-Bewegung ist eine Reaktion auf Industriezweige, in denen die unmittelbaren Produzenten wie z.B. Musiker ihre Rechte in der Regel komplett an eine Verwertungsgesellschaft abtreten, d.h. ihr Eigentum an den eigenen Produkten verlieren. Das ist analog zum Industriear­beiter bei Mercedes, dem ebenfalls kein Stück des von ihm hergestellten Autos gehört. Dagegen sind CC-Lizenzen erst einmal die Behauptung des Eigentums am eigenen Produkt.

16 „Creative Commons-Lizenzen sind Copyright Lizenzen – schlicht und einfach. CC-Lizenzen sind rechtliche Werkzeuge, die Urheber verwenden, um bestimmte Nutzungsrechte für die Öffentlichkeit unter Vorbehalt anderer Rechte bieten zu können. Ohne Urheberrecht würden diese Tools nicht funktionieren.“ Vgl. http://creativecommons.org/weblog/entry/22643, unsere Übersetzung.

17 Auf der inzwischen nicht mehr ganz so beliebten Photoplattform Flickr wird man mit der Frage behelligt, welche Lizenz denn die eigenen Fotos, darunter viele Schnappschüsse, haben würden; ein erst einmal etwas fernliegender Gedanke.

19 Um ein Missverständnis zu vermeiden: Wir meinen nicht, dass man die Armut in der Welt mit solchen Lizenzen abschafft.

20 „Many people believe that the spirit of the GNU Project is that you should not charge money for distributing copies of software, or that you should charge as little as possible — just enough to cover the cost. This is a misunderstanding. Actually, we encourage people who redistribute free software to charge as much as they wish or can.“ Vgl. http://www.gnu.org/philosophy/selling.html

21 Bei 25% der Arbeit war allerdings unklar, ob und wer bezahlte. Vgl. http://lwn.net/Articles/222773/

22 Ein Compiler übersetzt Programme aus dem Quellcode in ein Format, das auf dem Computer ausführbar ist. Ohne einen freien und vernünftigen Compiler macht Open-Source wenig Sinn. Ist der Compiler nicht frei verfügbar, kann man Software zwar im Quellcode verändern, aber diese Änderungen nicht anwenden – es sei denn man kauft sich eine Lizenz für einen Compiler. Ist der Compiler schlecht, dann haben Open-Source Programme das Nachsehen gegenüber der proprietären Konkurrenz.

23 Commodore 64, beliebter Heimcomputer in den 80ern.