23.05.2012 PDF

Bitcoin - endlich ein faires Geld?

Bitcoin (BTC) wurde von Satoshi Nakamoto im Jahr 2009 als eine neue elektronische oder besser virtuelle Währung vorgestellt, die ein Äquivalent zum Bargeld im Internet1 sein soll. Anstatt Kreditkarten oder Überweisungen zum Einkaufen im Netz zu benutzen, installiert man eine Software auf seinem Computer, den Bitcoin Client. Dieser erlaubt dann, unter einem Pseudonym Bitcoins an andere Nutzer zu senden, d.h. man gibt die Anzahl an Bitcoins und den Empfänger ein und die Transaktion wird anschließend über ein Peer-to-Peer-Netzwerk2 abgewickelt. Bitcoins können zur Zeit auf ein paar hundert Websites zum Einkaufen verwendet werden, darunter um Währungen, Web Hosting, Web Space, Web Design, DVDs, Kaffee, Kleinanzeigen zu kaufen. Auch kann man dank Bitcoin via Internet an Wikileaks3 spenden oder Glücksspielseiten benutzen, was praktisch sein kann, wenn diese im betreffenden Land verboten sind. Was allerdings Bitcoin zumindest für kurze Zeit große öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte, war die Möglichkeit über eine Kleinanzeigenseite namens „Silk-Road“4 verbotene Drogen zu kaufen.

Am 11. Februar 2012 kostete 1 BTC ungefähr $5,85 USD. Insgesamt wurden bis zu diesem Zeitpunkt 8,31 Millionen BTC ausgestellt. An diesem Tag wurden 0,3 Mio. BTC in 8.600 Transaktionen verwendet und circa 800 Bitcoin-Clients waren im Netzwerk angemeldet. Das zeigt, dass es mehr als eine bloße Idee oder nur ein Vorschlag für ein neues Bezahlsystem ist, auch wenn dessen Umfang noch sehr deutlich hinter dem gängiger Währungen zurücksteht.

Es gibt drei Eigenschaften von Bargeld, die Bitcoin versucht nachzuahmen: Anonymität, Unmittelbarkeit und sehr kleine bzw. das Fehlen von Transaktionsgebühren. Diese Eigenschaften hat der aktuelle Onlinehandel mit Kreditkarten oder Bankenüberweisungen nicht. Bitcoin ist Peer-to-Peer in Reinform, genauso wie Bargeld im Gebrauch Peer-to-Peer ist.

Was das Projekt aber tatsächlich so ambitioniert macht, ist der Versuch, eine neue Währung zu etablieren. Bitcoins sollen kein Weg sein, Euros, Dollars oder Pfund zu transferieren, sie sollen selbst als neues Geld verstanden werden. Sie werden als BTC gehandelt und nicht als GBP oder EUR. Vielmehr noch, Bitcoins sind sogar als Geld gedacht, welches auf anderen Prinzipien aufbaut als das heute übliche Geld. Am markantesten fällt das daran auf, dass es keine „vertrauenswürdigen Dritten“ gibt, d.h. es gibt keine Zentralbank. Weiterhin sind Bitcoins auf die Anzahl von 21 Millionen insgesamt beschränkt – mehr Bitcoins soll es nicht geben. Aus diesem Grund spricht diese neue Währung marktradikale Liberale an, die zwar den freien Markt schätzen, dem Staat bzw. dessen Einmischung in den Markt allerdings skeptisch gegenüber stehen.5

Bitcoin ist also der Versuch, etwas Bekanntes, nämlich das Geld, unter einem anderen Ansatz anzugehen und bietet dadurch einen neuen Blick auf diese alltägliche Sache. Es muss durch den Verzicht auf „vertrauenswürdige Dritte“ in seiner Konstruktion einige technische Probleme oder Fragen lösen, damit es als Geld auch wirklich brauchbar ist. Damit verweist Bitcoin mit seinen technischen Probleme auf die Eigenschaften, die eine Gesellschaft hat in der die Wirtschaft über Geld abgewickelt wird.

Unter Verwendung von so wenig Fachjargon wie möglich wollen wir im ersten Teil dieses Textes versuchen zu erklären, wie Bitcoin funktioniert und was uns dies Funktionieren über eine Gesellschaft lehrt, in der freier und gleicher Tausch die vorherrschende Form von wirtschaftlicher Interaktion ist. Daraus folgt auch eine Kritik an der Ideologie von marktradikalen Liberalen. Im zweiten Teil wollen wir dann näher auf das Verhältnis von Kreditgeld zu Kapitalismus eingehen, da Bitcoin eine praktische Kritik am Kreditgeld darstellt.

Als erstes kann man von Bitcoin lernen, dass die Beschreibung des freien Marktes von Bitcoin-Anhängern genauso falsch ist, wie die der meisten anderen Leute auch. Die Behauptung nämlich, dass sich im Austausch folgendes ausdrücke:

Gegenseitiger Nutzen, Kooperation und Harmonie

Auf den ersten Blick mag eine Wirtschaft, welche auf freiem und gleichem Austausch beruht, wie eine harmonische Sache erscheinen. Menschen produzieren Dinge in Arbeitsteilung und so erhalten sowohl Kaffeebauer als auch Schuhmacher jeweils Schuhe und Kaffee. Das vermittelnde Element, damit Konsumenten zu diesen beiden Dingen kommen, ist das Geld. Die Arbeit der Produzenten ist zu deren gegenseitigen Nutzen oder auch zum Nutzen der ganzen Gesellschaft. In den Worten eines Bitcoin Anhängers:

„Wenn wir beide eigennützige rationale Wesen sind und wenn ich Dir mein X für Dein Y anbiete und Du diesem Handel zustimmst, dann bewerte ich Dein Y notwendigerweise mehr als mein X und Du bewertest mein X mehr als Dein Y. Mit diesem freiwilligen Handel haben wir beide etwas, dass wir als wertvoller erachten, als das, was wir ursprünglich hatten. Wir sind beide besser dran. Das ist nicht ausbeuterisch, das ist kooperativ.“6

Die Bitcoin-Gemeinschaft stimmt damit dem Konsens der Wirtschaftswissenschaft zu, dass Kooperation Geld richtiggehend benötige: „Eine Gemeinschaft ist definiert durch die Kooperation ihrer Teilnehmer und effiziente Kooperation benötigt ein Mittel des Tausches (Geld)...“7

Sie stimmen also mit modernen Ökonomen darin überein, dass freier und gleicher Austausch Kooperation bedeutet und Geld ein Mittel ist, um beidseitigen Vorteil zu ermöglichen. Sie malen eine Idylle des freien Marktes, dessen negative Eigenschaften dem (wie sie meinen: falschem) Eingreifen des Staates zugeschrieben werden; manchmal auch den Banken und deren Monopolstellung8.

Bargeld

Einer dieser Eingriffe des Staates ist die Bereitstellung von Geld und dagegen richtet sich Bitcoin ja auch. Denn Bitcoin basiert darauf, keine „vertrauenswürdigen Dritten“ zu benötigen und damit keinen Staat, der Geld herausgibt und dieses verwaltet. Stattdessen ist Bitcoin nicht nur Peer-to-Peer in seinem Umgang mit Geld, sondern auch in dessen Aufrechterhaltung und Erzeugung: Ganz so, als ob es keine Europäische Zentralbank gäbe und alle Menschen in der deutschen Wirtschaft gemeinschaftlich Geld drucken und sich ebenso gemeinschaftlich um dessen Verbreitung kümmern würden. Um dies zu bewerkstelligen, müssen einige technische Hürden überwunden werden. Manche sind trivial, andere nicht. Zum Beispiel muss Geld teilbar sein, also zwei Fünfeuronoten müssen das Gleiche sein wie eine Zehneuronote und jeder gleichwertige Teil eines Geldes muss genauso gut sein wie ein anderer, so dass es keinen Unterschied macht, welchen Zehneuroschein ich nun in der Hand halte. Diese Eigenschaft lässt sich recht einfach erreichen, wenn man Zahlen auf Computern als Geld hat.

Jedoch sind die zwei folgenden Eigenschaften des Geldes nicht ganz so einfach zu bewerkstelligen:

Digitale Signaturen: Garantien wechselseitigen Schadens

Wenn man mit physischem Geld hantiert, also Bargeld, ist der Eigentumswechsel offensichtlich. Wenn zum Beispiel Anna einen Zehneuroschein an Bernd gibt, dann hat Bernd den Schein und nicht Anna. Nach einem Austausch (oder auch Raub) ist es offensichtlich, wer das Geld hat und wer nicht. Es gibt für Anna nach dem Bezahlen keine Möglichkeit zu behaupten, sie hätte Bernd das Geld nicht gegeben, weil sie es nunmal getan hat. Umgekehrt kann aber Bernd vor dem Händewechsel den Geldschein nicht einfach in seine Tasche stecken ohne Annas Zustimmung, außer natürlich mit Gewalt. Letzteres soll durch das Gewaltmonopol des Staates verhindert werden. Wenn man seine Zahlungen über Banken abwickelt, ist es die Bank, welche dieses Verhältnis durchsetzt, in letzter Instanz aber auch wieder die Polizei.

Online in einem Peer-to-Peer-Netzwerk ist das natürlich nicht so einfach. Eine Banknote ist nun durch nichts anderes repräsentiert als durch eine Nummer oder eine Zeichenkette. Nehmen wir mal an, 0xABCD sei eine 1 BTC Note9. Man kann diese Zeichenkette ganz einfach kopieren. Es gibt erst einmal keine Möglichkeit nachzuweisen, dass jemand diese Zeichenkette nicht irgendwo gespeichert hat und weiter benutzt oder anders herum, dass jemand diese vielleicht auch gar nicht mehr besitzt, sie mir aber als Bezahlung weiterreicht. Weiterhin kann Bernd die Banknote (hier ausgedrückt durch diese Zeichenkette) von Anna einfach kopieren, wenn er sie gesehen hat. Der Eigentumswechsel ist also schwierig: Wie kann man sicherstellen, dass Anna Bernd den Bitcoin wirklich gezahlt hat?10

Damit hat man das erste Problem an der Hand, welches virtuelle Währungen und somit auch Bitcoin lösen müssen.

Um zu beweisen, dass Anna wirklich die Zeichenkette 0xABCD an Bernd übergeben hat, unterzeichnet sie digital einen Vertrag. Dieser gibt an, dass die Zeichenkette nicht mehr ihr selbst, sondern ab jetzt Bernd gehört. Eine digitale Signatur ist auch nichts anderes als eine weitere Zeichenkette oder eine große Zahl. Jedoch hat dieser spezielle kryptografische und mathematische Eigenschaften, die sie – soweit man weiß – unfälschbar machen. Also ähnlich wie Menschen normalerweise Eigentum übertragen, zum Beispiel den Titel auf ein Grundstück durch die Unterzeichnung eines Vertrages verschriftlichen, wird das Eigentum am Geld im Bitcoin-Netzwerk auch über Unterschriften unter Verträgen transferiert. Nur eben digital. Die Zeichenkette. die unsere Geldnote darstellen sollte, an sich zählt nicht. Nur der Vertrag, der anzeigt wer die Note gerade besitzt macht sie gültig. Dieses Verfahren der digitalen Unterschriften ist inzwischen so weit verbreitet, das es kaum Beachtung erfährt, nicht mal im Designdokument von Bitcoin selbst.11

Die Frage nach dem Eigentum an Bitcoins zeigt aber schon ein Problem mit dem idyllischen Bild auf, welches Menschen von der Wirtschaft mit und ohne Bitcoins haben. Es zeigt, dass es bei einem Geschäft mit Bitcoins – oder allgemeiner: bei jeglicher Art von Tausch – eben nicht damit getan ist, dass Anna, die Kaffee macht, aber Schuhe haben möchte, die wiederum Bernd hergestellt hat. Wenn es nämlich wirklich so einfach wäre, würden sie sich einigen, wie viel Kaffee und Schuhe sie benötigen und würden dies dem jeweils anderen einfach zur Verfügung stellen und jeder könnte glücklich werden mit Kaffee und Schuhen.

Stattdessen aber tauscht Anna ihre Dinge gegen die von Bernd – über das Geld vermittelt. Sie benutzt also ihren Kaffee als einen Hebel, um an Bernds Dinge zu kommen. Ihre Waren sind ihre jeweiligen Mittel, um an die Produkte zu gelangen, die sie konsumieren möchten oder müssen. Sie erzeugen also ihre Produkte nicht für ihr eigenes Bedürfnis und auch nicht direkt für das eines anderen. Vielmehr verkaufen sie ihre Produkte, damit sie sich dann das kaufen können, was sie tatsächlich brauchen. Bernd benutzt also Annas Abhängigkeit von Schuhen, um an ihr Geld zu gelangen und Anna macht das umgekehrt mit Bernd. Daraus ergibt sich, dass man dem jeweils anderen so viel seiner Mittel wie möglich versucht abzunehmen – was ich nicht unmittelbar brauche, ist für mich immer noch Material für künftige Tauschgeschäfte. Gleichzeitig möchte man so viel der eigenen Mittel behalten möchte wie möglich: billig kaufen, teuer verkaufen.

In anderen Worten ausgedrückt. Dies ist keine harmonische Arbeitsteilung für den gemeinschaftlichen Nutzen. Es wird eher versucht im Austausch einen Vorteil zu erlangen, weil man es eben muss. Mehr noch, der Vorteil der einen ist gleichzeitig der Nachteil des anderen. Ein geringer Preis für Bernds Schuhe bedeutet nämlich weniger Geld für Bernd und mehr Geld für Anna, welches sie noch für andere Sachen ausgeben kann. Das Geld löst diesen Interessenkonflikt nicht, es vermittelt ihn. Damit ist es übrigens auch nicht der Grund für den Konflikt. Der ist im Tausch selbst schon angelegt. Die Tauschenden müssen zu einer Einigung kommen, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht lieber einfach das nehmen würden, was sie brauchen.

Dieses gesellschaftliche Verhältnis gibt also Gründe ab zum Betrügen, Rauben und Stehlen. Unter diesen Umständen ist es schon sehr notwendig zu wissen, wer den Zehneuroschein besitzt und wer nicht, weil es eben darum geht, ob man das bekommt, was man braucht oder nicht.

Diese systematisch und damit dauernd auftretenden Situationen, in denen des einen Vorteil des anderen Nachteil ist, verlangen nach einem Gewaltmonopol des Staates. Der Tausch als das zentrale Mittel wirtschaftlicher Interaktion ist auf breiter Basis überhaupt nur möglich, wenn die Tauschpartner sich darauf beschränken: auf den ausgemachten Tausch. Nähmen sie sich einfach mit Gewalt, was sie wollten, würde das Tauschprinzip nicht mehr funktionieren. Die marktradikalen Liberalen hinter Bitcoin mögen staatliche Einmischung verabscheuen, ihre Wirtschaft jedoch setzt sie voraus.

Wei Dai beschreibt die Online-Gemeinschaft als „eine Gemeinschaft, in der die Angst vor Gewalt machtlos ist, da Gewalt unmöglich ist und Gewalt unmöglich ist, weil ihre Teilnehmer nicht mit ihren Realnamen oder ihrem Aufenthaltsort in Verbindung gebracht werden können“. Er erkennt damit nicht nur an, dass die Menschen in der virtuellen Wirtschaft durchaus Gründe haben sich gegenseitig zu schaden, sondern auch, dass diese Wirtschaft nur ohne direkte Gewalt der Teilnehmer läuft, weil Menschen gar nicht richtig miteinander in Kontakt treten. Durch die Staatsgewalt in der physischen Welt geschützt, können sie im eingeschränkten Bereich des Internets miteinander in Kontakt treten, ohne Angst vor Gewalt haben zu müssen.

Online oder offline, es sind ganz schön umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen nötig, um diesen Laden am Laufen zu halten. Bei Bitcoin sind es die „unknackbaren“ digitalen Signaturen, offline hingegen kümmert sich der Staat mit seiner Strafverfolgung z.B. darum, Dieben das Handwerk zu legen. Und das alles, um eine so einfache Transaktion wie den Transfer von Gütern vom Produzenten zum Verbraucher zu sichern. Das verweist auf einen grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen den beteiligten Tauschparteien. Wenn das liberale Bild des freien Marktes als eine harmonische Kooperation zum Nutzen aller wahr wäre, bräuchte man keine fälschungssicheren Signaturen. Die Bitcoin-Konstruktion, also das marktradikale Projekt einer Alternative zum Status Quo zeigt, dass diese Theorie falsch ist.

Man könnte dagegen einwenden, dass es nun einmal immer schwarze Schafe gäbe, die sich an der gesellschaftlichen Harmonie versündigen würden. Dann würde sich allerdings die Frage stellen, in welchem Verhältnis Aufwand (Polizei, digitale Signaturen, etc.) und Nutzen (ein paar schwarze Schafe) stehen. Der Aufwand, mit dem diese schwarzen Schafe in die Schranken gewiesen werden sollen, zeigt ziemlich anschaulich, dass man davon ausgeht, dass es ganz schön viele wären, gäbe es diese Schranken nicht. Dem mögen manche prinzipieller entgegenhalten, dass die Menschen nun mal so seien, es läge quasi in unserer Natur. Damit hat man aber erstens schon mal den Punkt eingesehen, dass es mit der Harmonie hier nicht so weit her ist. Zweitens ist der Satz „es ist halt so“ keine Erklärung, auch wenn er so daher kommt; zu den Gründen, warum Leute so aufeinander losgehen, wie sie hierzulande aufeinander losgehen, stehen oben ein paar Argumente.

Kaufkraft

Mit digitalen Unterschriften hat man erst einmal nur die Seite des Geldes am Wickel, welche die Beziehung zwischen Anna und Bernd betrifft. Aber wenn es um Geld geht, ist auch Annas Beziehung zum Rest der Gesellschaft wichtig. Die Frage ist nämlich, wie viel Kaufkraft Anna insgesamt hat. Physisches Geld, also eine Banknote, kann Anna nicht verwenden, um zwei verschiedene Leute auf einmal zu bezahlen. Mehrfachausgeben desselben Geldscheins gibt es nicht. Ihre Kaufkraft ist auf das beschränkt, was sie an Geld besitzt.

Wenn es nun aber um virtuelle Währungen geht, die mit digitalen Unterschriften gesichert sind, hält jedoch Anna erst mal nichts davon ab, viele Verträge auf einmal zu unterschreiben, um ihr Eigentum mehrfach zu übertragen. Sie kann das, weil sie selbst es ist, die unterschreibt. In diesem Fall würde sie Verträge unterschreiben, die besagen, dass 0xABCD nun gleichzeitig Bernd, Christian, Eva und so weiter gehören.

Der zentrale technische Durchbruch von Bitcoin ist, dieses Problem des Mehrfachausgebens gelöst zu haben – und zwar ohne eine Zentralbehörde zu brauchen. Das ist ein Fortschritt gegenüber allen früheren Ansätzen für digitales Geld, die auf irgendeiner Art von Zentralstelle aufbauten. Diese stellte sicher, dass Anna ihr Geld nicht mehr als einmal ausgeben kann, indem alle Transaktionen über diese Zentralstelle abwickelt werden.

Das Problem wird im Bitcoin-Netzwerk dadurch gelöst, dass alle Transaktionen öffentlich sind. Also anstatt Annas Vertrag einfach an Bernd zu schicken, wird dieser von Annas Software im Netzwerk veröffentlicht. Anschließend unterschreibt die Software eines anderen Teilnehmers im Netzwerk dass sie diesen Vertrag gesehen hat. Jemand fungiert bei dieser Unterschrift also als Notar, unterschreibt die Unterschrift von Anna und bezeugt damit die Transaktion. Ehrliche Zeugen unterschreiben nur das erstmalige Ausgeben eines Bitcoins und verweigern ihre Unterschrift bei weiteren Versuchen derselben Person, denselben Bitcoin gegen die Regeln noch einmal ausgeben zu wollen. Sie bestätigen, dass Anna das Geld, welches sie ausgibt, auch tatsächlich besitzt. Die Unterschrift dieses Zeugen wird auch wieder veröffentlicht. All diese eben beschriebenen Vorgänge werden von der Software übrigens im Hintergrund automatisch erledigt.

Allerdings könnte sich Anna einfach mit Christian zusammentun und ihn bitten, all ihre Verträge zu unterschreiben, egal ob sie ihr Geld mehrfach ausgibt. Sie würde damit also ein falsches Zeugnis von einem unehrlichen Zeugen bekommen. Dies wird im Bitcoin-Netzwerk dadurch verhindert, dass ein Zeuge zufällig für alle Transaktion zu einem bestimmten Zeitpunkt gewählt wird. Also kann sich Anna gar keinen Zeugen aussuchen. Diese zufällige Auswahl wird als eine Art Lotterie organisiert. Die Teilnehmer konkurrieren um das Recht, Zeuge für den aktuellen Zeitraum zu werden. Als Einsatz müssen sie dafür Rechenzeit auf ihren Computern zur Verfügung stellen. Diese wird dazu verwendet, Lösungen für ein mathematisches Rätsel zu finden. Dieses Rätsel ist so konstruiert, dass es die beste Strategie ist, zufällige Lösungen auszuprobieren. Wendet man dafür mehr Rechenzeit auf, erhöht man seine Chance, ausgewählt zu werden. Um jedoch eine ordentliche Wahrscheinlichkeit zu haben als Zeuge ausgewählt zu werden und zu gewinnen, bräuchte man so viel Rechenzeit, wie ungefähr der Rest des Bitcoin-Netzwerks zusammen.

Eine Nebenwirkung von diesem Ansatz ist natürlich, dass viele Computer im Bitcoin-Netzwerk Rechenzeit für das Lösen dieser Aufgaben verschwenden, nur um die Lotterie zu gewinnen. Wie dem auch sei, Anna und Christian müssten erhebliche Rechenzeit aufwenden, um diese Lotterie zu gewinnen. Zu viel, als dass es sich lohnen würde – zumindest ist das die Hoffnung. Betrug in diesem Sinne ist somit unwahrscheinlich, weil ehrliche, nämlich zufällig ausgewählte, Zeugen Fälschungen zurückweisen werden.

Falschgeld

Was aber ist nun eigentlich Falschgeld und warum ist das eigentlich so schlimm? So schlimm, dass erheblicher Aufwand dafür betrieben und Rechenzeit verschwendet wird, um sein Aufkommen zu verhindern? Unmittelbar verhält sich Falschgeld nicht viel anders als echtes Geld: Man kann damit Dinge kaufen und Rechnungen bezahlen. Das ist ja genau das Problem. Es ist erst einmal von echtem Geld nicht zu unterscheiden, andernfalls würden Leute es ja auch nicht akzeptieren. Mit normalem Geld und Falschgeld zusammen steht allerdings mehr Geld derselben Warenmenge gegenüber, der Wert des Geldes könnte also sinken.

Was ist also dieser Wert des Geldes? Was bedeutet es, dass Geld Wert hat? Es bedeutet Kaufkraft zu haben und damit Zugriffsmacht auf den gesellschaftlichen Reichtum. Erinnern wir uns, dass Anna und Bernd beide ihr mehr oder weniger armseliges Eigentum haben. Wollen sie was damit anfangen, treten in ein Tauschverhältnis zueinander; sie geben ihre Dinge nicht einfach her, nur weil jemand anders sie braucht. Sie bestehen auf ihrem Recht, über ihr eigenes privates Eigentum zu verfügen. Unter diesen Umständen nun ist Geld die einzige Möglichkeit, um an des anderen Dinge zu kommen. Geld „überzeugt“ die andere Seite, dieser Transaktion zuzustimmen. Zugriff auf Privateigentum eines anderen zu erlangen, ist auf der Basis von staatlicher Privateigentumsgarantie nur möglich, indem man sein eigenes zum Tausch anbietet. Auf wie viel Reichtum jemand in der Gesellschaft zugreifen kann, wird dabei in Geld gezählt. Damit wird Privateigentum als solches gemessen. Es wird darin ausgedrückt, von wie viel Reichtum als solchem jemand Gebrauch machen kann. Also nicht nur Kaffee oder Schuhe, sondern Kaffee, Schuhe, Gebäude, Dienstleistungen, Arbeitskraft, fast alles. Auf der anderen Seite wird in Geld aber auch angegeben, wie viel Reichtum mein Kaffee wert ist. Kaffee ist nicht nur Kaffee, sondern ein Mittel Zugang zu all den anderen Waren auf dem Markt zu bekommen. Er wird gegen Geld eingetauscht, so dass man damit Sachen kaufen kann. Der Preis von Kaffee drückt aus, auf wie viel Kram ganz generell – und eben nicht nur Kaffee – man zugreifen kann. Ganz klar, dass unter diesen sozialen Umständen, also dem freien und gleichen Tausch, diejenigen, die nichts haben, auch nichts bekommen. Alles in allem zeigt das Geld auf meinem Konto an, wie viel ich mir leisten kann – also die Grenze meiner Zugriffsmacht. Denn es zeigt nicht nur an, was ich mit leisten kann, sondern auch, was jenseits der Macht in meinem Geldbeutel liegt. Anders ausgedrückt: von wie viel Reichtum ich ausgeschlossen bin.

Geld ist Macht, die man in seiner Tasche tragen kann. Es drückt aus, wie viel Kontrolle über Land, Menschen, Maschinen, Produkte usw. ich habe. Daher macht eine Fälschung den Zweck des Geldes zunichte. Es verwandelt diese Grenze, diese Größe in eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten. Alles ist im Prinzip verfügbar – und zwar nur, weil ich es will. Wenn jeder unendliche Macht hätte, verlöre Macht ihre Bedeutung. Es würde nicht zahlungskräftige Nachfrage zählen, sondern einfach die Tatsache, dass Bedarf besteht.

Zusammengefasst ist Geld ein Ausdruck von bestimmten sozialen Verhältnissen und nicht von Kooperation ganz generell. Solche sozialen Verhältnisse nämlich, in denen Privateigentum die Bedürfnisse von den Mitteln ihrer Befriedigung trennt. Damit Geld diese Qualität des Privateigentums vermitteln kann, ist es zwingend erforderlich, dass ich nur das ausgeben kann, was ich auch besitze. Diese Qualität und die damit einhergehende Ignoranz und Brutalität gegenüber den Bedürfnissen muss gewaltsam von Staat und Polizei durchgesetzt werden. Im Internet, wo es schwierig ist, jemandes habhaft zu werden, wird dies durch ein sorgfältig ausgearbeitetes Protokoll von Zeugen, Zufälligkeit und schweren mathematischen Problemen gelöst.

Der Wert von Geld

Es bleiben zwei Probleme übrig:

  1. Wie kommt neues Bitcoin Geld in die Welt (bis jetzt haben wir ja nur den Transfer behandelt)?

  2. Wie werden die Teilnehmer überzeugt Rechenzeit aufzuwenden um Transaktionszeuge zu werden?

Letzteres Problem wird im Bitcoin-Protokoll durch das Erste gelöst. Um die Teilnehmer nämlich dazu zu bewegen, Rechenzeit zur Überprüfung von Transaktionen bereitzustellen, werden diese mit einer bestimmten Anzahl an Bitcoins belohnt, wenn sie als Zeuge gezogen werden. Momentan bekommen sie jedes Mal, wenn sie gezogen werden, 50 BTC und darüber hinaus noch Transaktionsgebühren für jedes Geschäft, dass sie bezeugen. Das ist die Antwort auf die Frage, wie neue Bitcoins erzeugt werden: Sie werden „abgebaut“, wie das Lotteriegewinnen im Bitcoin-Netzwerk heißt.

Im Bitcoin-Netzwerk „fällt“ das Geld also „einfach vom Himmel“, indem Computer ziemlich sinnlose mathematische Rätsel lösen. Entscheidend ist, dass sich das mathematische Rätsel nur mit erheblichem Aufwand lösen lässt. Worauf es letztendlich ankommt, wenn es darum geht, ob Bitcoin als Geld zählt: Händler müssen sich auf Bitcoin als Geld beziehen und es auch so benutzen. Wie es auf die Welt kam, ist dabei zweitrangig.12

Vom Himmel gefallen: Bitcoin, Kreditgeld und Kapitalismus

Die Anzahl an Bitcoins, die man als Zeuge verdient, werden in Zukunft jedoch weniger. Sie wird alle vier Jahre halbiert, ab 2012 gibt es nur noch 25 BTC pro Lotteriegewinn, irgendwann ist das dann Null.13 So kommen da am Ende 21 Millionen raus, mehr werden nie „abgebaut“.

Es gibt keinen technischen Grund für dieses Beschränkung. Weder für die Höchstgrenze von 21 Millionen, noch für eine Grenze überhaupt. Man könnte einfach Bitcoins weiter in einem konstanten Maß produzieren, ein Maß, dass auf der wirtschaftlichen Aktivität der letzten Woche basiert oder dem Alter des Chefentwicklers. Es ist eine willkürlich festgelegte Zahl und Grenze. Die Motivation für diese Entscheidung basiert jedoch auf der Annahme, dass eine begrenzte Geldmenge zu einer besseren Wirtschaft führen würde. Wobei „besser“ hier „fairer“, stabiler und frei von staatlicher Einmischung bedeutet. Liberale Bitcoin- Anhänger und Entwickler behaupten, dass Staaten durch das Drucken von Geld über ihre Zentralbanken die Währung abwerten würden und ihre Bürger um deren Reichtum betrögen. Sie behaupten auch, dass das Prinzip des freien Marktes dadurch verletzt würde, dass Staaten (und manchmal auch die Banken) Geld aus dem Nichts schaffen würden, da dies auf Monopol statt auf Wettbewerb basiere. Daher hat Satoshi Nakamoto, inspiriert von natürlichen Ressourcen wie zum Beispiel Gold entschieden, die Anzahl von Bitcoins, die jemals „abgebaut“ werden, auf 21 Millionen zu begrenzen.

Auf Grund dieser Tatsache machen viele Experten direkt den Übergang zur Diskussion der „Deflationsspirale“. Also ob diese Entscheidung den Untergang der Währung qua Deflation, dem Ansteigen des Geldwertes, bedeuten würde. Ihnen stellt sich die Frage gar nicht erst, warum moderne Währungen Kreditgeld sind und eben keine Obergrenze haben.14 Sie fragen nicht, wie Kreditgeld zustande kommt, ob und wie es zur kapitalistischen Wirtschaft passt und warum der Goldstandard aufgegeben wurde. Sie sind nicht daran interessiert, zu erklären, warum die Welt so ist, wie sie ist, sondern setzen ihr Ideal dagegen. Deswegen übersehen sie auch, was wohl passieren würde, wenn Bitcoin sich als Währung etablieren würde. Es spricht viel dafür, dass Deflation kein Problem wäre, sondern sich auf der Grundlage von Bitcoins ein neues Kreditsystem entwickeln würde.

Wachstum

Kapitalistische Unternehmen investieren Geld, um mehr Geld zu verdienen, also um Profit zu machen. Sie kaufen Dinge, wie Güter oder Arbeitskräfte, lassen diese „arbeiten“ und verkaufen die Erzeugnisse für mehr Geld, als sie vorher eingesetzt haben. Sie kaufen, produzieren und verkaufen.15 Je schneller jeder einzelne dieser Schritte vollzogen wird, desto schneller landet das eingesetzte Geld wieder in der Tasche des Unternehmers, desto schneller wird Profit gemacht und desto schneller können neue Investitionen getätigt werden, die dann wiederum für mehr Gewinn sorgen können. Auf das Wachstum kommt es an. Natürlich spielt die absolute Menge an Geld zwar eine Rolle: Mehr Geld bedeutet eine bessere Basis für mehr Vermehrung. Kapitalistischer Erfolg wird aber entscheidend nicht am absoluten Bankguthaben einer Firma gemessen, sondern am Unterschied zwischen Einsatz und Ertrag bzw. Überschuss. Für ein kapitalistisches Unternehmen ist schließlich Geld ein Mittel und gleichzeitig mehr Reichtum, in Geld ausgedrückt, das Ziel.

Damit haben die liberalen Bitcoin-Anhänger auch gar kein Problem. Während Bitcoin momentan hauptsächlich zum Kauf von Konsumgütern verwendet wird, hoffen sie darauf, dass eines Tages so etwas wie Bitcoin den US-Dollar und andere Währungen ersetzen wird, die von einer Zentralbank kontrolliert werden. Bitcoin soll eine Währung sein, in der ernsthafte Geschäft abgewickelt werden können.

Das unterscheidet Bitcoin von anderen virtuellen Währungen wie dem Linden-Dollar oder dem Gold im Online-Spiel World of Warcraft. Diese Spielgelder sind dazu da, um Dinge im eingeschränkten Bereich einer virtuellen Welt zu kaufen oder verkaufen. Bitcoin ist hingegen im Prinzip für jeden Erwerb (im Internet) brauchbar. Bitcoin soll Geld sein und nicht irgendein Zirkulationsmittel in einer virtuellen Realität.

Kredit

Weil das Geld bloß ein Mittel ist, soll das Fehlen von Geld auch kein ausreichender Grund sein, damit dessen Vermehren nicht mehr klappt. Mit der Verfügbarkeit von Kreditgeld, Banken und dem modernen Bankwesen, ist klar: Man kann sich Geld leihen und losproduzieren lassen mit der Erwartung, dass man später mehr hat. Man kann sich aber ja mal vorstellen, dass es das alles nicht gibt. Auch in diesem Fall sind Unternehmen (oder Abteilungen von Unternehmen) notwendigerweise in verschiedenen Stadien ihres Akkumulationsprozesses, ihres Bestrebens, mehr und mehr Geldmacht bei sich anzuhäufen. Einige fangen vielleicht gerade erst an, große Warenmengen zu verkaufen, während andere Maschinen erstehen oder Arbeiter einkaufen wollen. Einige Firmen haben Geld, dass sie gerade nicht ausgeben können, während wieder andere gerade Geld brauchen. Damit entsteht sowohl das Mittel als auch der Bedarf nach Kredit. Wenn ein Unternehmen A z.B. 100 BTC investiert und damit 10 BTC Gewinn erwirtschaften will, es aber nur 70 BTC hat, könnte es sich 30 BTC von einer anderen Firma zu einem Zinssatz von 10% leihen. Selbst abzüglich der 3 BTC Zinsen würde es noch Gewinn machen, nämlich 10 – 3 = 7 BTC Gewinn. Für das Unternehmen B, welches 30 BTC verleiht, ist dieses Geschäft, sollte es erfolgreich sein, auch lohnend. Das ist besser, als das Geld einfach zu behalten, denn dann würde es genau nichts einbringen. Wenn es ums Wachstum geht, dann ist es eine schlechte Geschäftsentscheidung, Geld einfach herumliegen zu lassen, während jemand anders es investieren und vermehren könnte und man selbst etwas von diesem Kuchen abbekäme. Diese einfache Form von Kredit entwickelt sich spontan unter den Bedingungen des freien Marktes. Das wissen auch die Bitcoin-Anhänger: Im Jahr 2011 gab es mehrere Versuche, Kreditgenossenschaften zu gründen, um das Geld mehrerer Leute zu bündeln und weiterzuverleihen – natürlich gegen Zinsen.

Weiterhin ist Erfolg unter dem Diktat des freien Marktes abhängig davon, wie viel Geld jemand mobilisieren kann. Je mehr Geld ein Unternehmen investieren kann, desto besser sind seine Erfolgschancen und desto höher der (potentielle) Ertrag auf dem Markt. Bessere Technologie, Produktionsmethoden, Verträge zum Vertrieb und die Ausbildung der Arbeiter, all diese Dinge stehen zur Verfügung – für einen Preis, versteht sich. Mit der Möglichkeit des Kredits kommt also auch die Notwendigkeit des Kredits in die Welt. Wenn Masse von Geld das einzige ist, was man für den Erfolg oder wenigstens seine Möglichkeit braucht, und wenn die Verfügung über Geld auch wieder für Geld, also Zins zu kaufen ist, dann muss jede Firma von ihren Konkurrenten erwarten, dass sie sich Geld leihen und mit der nächsten Investition den Markt aufräumen. Schlauerweise bemühen sie sich unter diesen Bedingungen um einen Kredit, um diejenige zu sein, die die nächste Investitionsrunde startet. Dies motiviert natürlich die Konkurrenz wiederum dazu, dasselbe zu tun. Die Verfügbarkeit von Kredit schafft so die Basis für das große Kreditgeschäft, da die Nachfrage nach Kredit mehr Nachfrage nach Kredit schafft.

Sogar ohne modernes Bankwesen oder Kreditgeld, also selbst wenn noch mit Gold bezahlt würde, kann man zwei Beobachtungen über die Beziehung vom Kapital zum Geld und zur Geldversorgung machen:

Wenn ein Unternehmen A einem anderen Unternehmen B Geld leiht, wird dadurch die Menge an aktiven Zahlungsmitteln in der Gesellschaft erhöht. Geld, welches sonst einfach nur herumliegen würde, weil es nicht auf dem Markt wäre und für nichts gebraucht würde, wird benutzt und in Umlauf gebracht. Mehr Geld steht der gleichen Menge an Waren gegenüber, ohne dass eine einzige neue Banknote gedruckt oder ein einziger neuer Bitcoin „abgebaut“ würde. Das heißt, die aktive Geldmenge in einer Gesellschaft ist nicht fest, selbst wenn Gold Geld ist und selbst wenn sich der Wert des Geldes nicht ändert.

Stattdessen reguliert das Kapital die Geldversorgung selbst, und zwar so wie sie zu seinen Geschäftsbedürfnissen passt: Firmen „aktivieren“ mehr Geld, wenn sie eine bestimmte Investition als lohnend betrachten. Für sie ist die richtige Menge Geld jene Menge, die es wert ist, investiert zu werden. Geld, das dazu verwendet werden kann, mehr Geld zu machen – und das ist eben das erste und zentrale „Bedürfnis“ des Kapitals.16

Wachstum garantiert Geld

Wenn jemand Geld zur Bank oder zu irgendeiner Kreditgenossenschaft bringt oder es einfach jemand anderem leiht, um Zinsen zu verdienen, ist der Wert dieses Geldes für den Kreditgeber nur garantiert durch den ökonomischen Erfolg des Kreditnehmers. Wenn der Schuldner pleite geht, ist das Geld weg. Unabhängig von Geldsubstanz hängt der Kredit am Erfolg.

Um sich vor einem Ausfall zu schützen, verlangen Kreditgeber Sicherheiten. Etwa irgendeinen Vermögenswert, der im Falle eines Kreditausfalls abgetreten werden muss. Wenn nun andererseits Kredit durchschnittlich erfolgreiches Geschäft bedeutet, dann ist ein Schuldschein selbst ein solcher Vermögenswert. Wenn Anna Bernd etwas schuldet und Bernd einen Kredit bei Christian beantragt, kann er Annas Schuldschein als Sicherheit verwenden. Wenn Bernd dann nicht zahlen kann, bekommt Christian das, was Anna Bernd schuldet. Wenn Kredit seine Bestimmung erfüllt und Wachstum anschiebt, dann werden Schulden selbst zu einem Vermögenswert, fast so gut wie schon verdientes Geld. Schließlich soll dieses in Zukunft ja verdient werden. Zahlungsversprechen bekommen – und bekamen auch schon in der Vergangenheit – die Eigenschaft, Zahlungsmittel zu sein.

Christian kann nun Kredit bei Eva beantragen, indem er wieder Annas Schuldschein als Sicherheit benutzt. So entstehen Kreditketten, in denen es Annas Erfolg braucht, damit eine ganze Reihe von Kreditgeschäften funktionieren. All das ohne modernes Bankwesen oder Kreditgeld. Diese Kreditverhältnisse entwickeln sich spontan unter den Bedingungen des freien Marktes und man kann sie nur verhindern, indem man solche Praktiken verbietet: den Markt reguliert – also genau das tut, was liberale Bitcoin-Anhänger nicht wollen.

Das Ersetzen von Geld durch solche Sicherheiten bleibt jedoch zeitlich begrenzt. In einer Kreditkrise oder Rezession zerstört jede bankrotte Schuldnerin das Geld in den Händen all derer, die nach ihr in der Kreditkette kommen. Annas Pleite gefährdet Bernds, Christians und Evas Geschäfte. Ihre Sicherheiten sind dahin. Im allerschlimmsten Fall würden die Zahlungsmittel, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen, wieder auf das harte Geld reduziert werden, was der Kredit ja eigentlich ersetzen sollte. Nur weil es an Bargeld fehlt (Gold, Bitcoin...), ist die ganze Konstruktion gefährdet, also die Konstruktion, dass Wachstum die Geldmenge regelt und das Geld garantiert. In einer Krise ist die Bestimmung von Kredit, Geld zu ersetzen, kaputt.

Zentralbanken

Hier kommen die Zentralbanken ins Spiel. Sie ersetzen die Geldsubstanz von Geld mit etwas, was zu seinem Zweck passt: Ein Geld nämlich, dessen Wert vom Wachstum, das es anschiebt, garantiert wird. Mit der Einführung der Zentralbanken wird die Wirtschaft von den Beschränkungen des Goldschatzes befreit. Wenn es ein lohnendes Geschäft gibt, dann gibt es dafür Geld – Geld, dass sich nach den Bedürfnissen des Kapitals richtet. Etwas, was das Kapital vorher mit Geld gemacht hat, ist nun „eingebaut“. Von den Zentralbanken können sich die Privatbanken jederzeit Geld leihen (manchmal sogar „kaufen“). Alles Geld in der Gesellschaft hat nun also nicht nur den Zweck, Wachstum anzuregen, sondern auch die explizite Notwendigkeit. Es ist geliehen von der Zentralbank und muss sich vermehren, um die Zinsen bedienen zu können. Der Wert von modernem Kreditgeld ist bloß von seiner Eigenschaft gedeckt, kapitalistisches Wachstum anzuschieben. Wenn es dieses Wachstum anschiebt – und nur dann –, erfüllt Geld seine Funktion.

Fazit

Ein systematischer Gegensatz von Interessen, der resultierende Ausschluss vom Reichtum, die Unterwerfung von allem unter das kapitalistische Wachstum – so sieht eine Gesellschaft aus, in der Tausch, Geld und Privateigentum die Produktion und den Konsum bestimmen. Das ändert sich auch nicht, wenn dieses Geld seine Substanz in Gold oder Bitcoins statt in Kredit hat. Armut gibt es in dieser Gesellschaft nicht, weil es Kreditgeld gibt, sondern sie hat ihren systematischen Grund in Tausch, Geld und Wirtschaftswachstum. Das mag die marktradikalen Liberalen nicht stören, aber das sollte schon Kritik von Linken stoßen, die sich zum Teil auch für Bitcoin begeistern.

PS: Dieser Text erschien zuerst in gekürzter Form auf Englisch auf Metamute. Eine deutschsprachige Version der Kurzfassung erschien später auf Streifzüge.


 

1 Das zentrale Dokument über Bitcoin, in dem die Idee dieser digitalen Währung beschrieben wird, ist „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ von Satoshi Nakamoto. Einige Details des Netzwerks sind jedoch nirgends in der Literatur explizit beschrieben, sondern nur im offiziellen Bitcoin-Client eingebaut. So weit wir wissen, gibt es keine offizielle Spezifikation außer: https://en.bitcoin.it/wiki/Protocol_specification

2 Als Peer-to-peer-Netzwerk wird ein Netzwerk bezeichnet, in dem die Teilnehmer sich direkt verbinden ohne die Notwendigkeit zentraler Server (wobei einige Funktionen dennoch einen Server benötigen können). Berühmte Beispiele einer solchen Technik sind Napster, BitTorrent oder auch Skype.

3 Vermutlich auf Druck der US-Regierung haben alle großen Online-Bezahlsysteme die Zahlungen an Wikileaks eingestellt (http://www.bbc.co.uk/news/business-11938320). Auch das Benutzen von Kreditkarten für Online-Spielplattformen ist meist von deren Herausgebern verboten.

4 Nach der Veröffentlichung eines Artikels auf einer amerikanischen Newsplattform (http://gawker.com/5805928/the-underground-website-where-you-can-buy-any-drug-imaginable) wurden zwei US-Senatoren darauf aufmerksam und baten den Kongress die Seite abzuschalten. Bis jetzt scheinen allerdings scheinen diese Versuche nicht wirklich erfolgreich gewesen zu sein.

5 Eine Strömung, die vor allem in den USA Anhänger findet, wo sie als „Libertarians“ bekannt sind. Im deutschsprachigen Raum sind solche Ideen vor allem in der Hacktivism-Szene verbreitet.

6 Übersetzt von (https://forum.bitcoin.org/index.php?topic=5643.0;all): „If we're both self-interested rational creatures and if I offer you my X for your Y and you accept the trade then, necessarily, I value your Y more than my X and you value my X more than your Y. By voluntarily trading we each come away with something we find more valuable, at that time, than what we originally had. We are both better off. That's not exploitative. That's cooperative.”

7 Übersetzt von: “A community is defined by the cooperation of its participants, and efficient cooperation requires a medium of exchange (money)...” Wei Dai, „bmoney.txt“(http://weidai.com/bmoney.txt). In diesem Text wird die grundsätzliche Idee, auf der Satoshi Nakamoto's Bitcoin-Protokoll aufbaut, zum ersten Mal beschrieben.

8 „The real problem with Bitcoin is not that it will enable people to avoid taxes or launder money, but that it threatens the elites’ stranglehold on the creation and distribution of money. If people start using Bitcoin, it will become obvious to them how much their wage is going down every year and how much of their savings is being stolen from them to line the pockets of banksters and politicians and keep them in power by paying off with bread and circuses those who would otherwise take to the streets.“ (http://undergroundeconomist.com/post/6112579823)

9 Wir sind uns bewusst, dass Bitcoin durch nichts anderes als durch die Liste der Transaktionen repräsentiert wird. Zur einfacheren Präsentation hier nehmen wir aber einfach an, dass es so ein eindeutiges Merkmal gibt wie die Seriennummer auf einem Euroschein.

 10 „Commerce on the Internet has come to rely almost exclusively on financial institutions serving as trusted third parties to process electronic payments. [...] Completely non-reversible transactions are not really possible, since financial institutions cannot avoid mediating disputes. [...] With the possibility of reversal, the need for trust spreads. Merchants must be wary of their customers, hassling them for more information than they would otherwise need. A certain percentage of fraud is accepted as unavoidable. These costs and payment uncertainties can be avoided in person by using physical currency, but no mechanism exists to make payments over a communications channel without a trusted party.” Satoshi Nakomoto, „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“, 2009.

11 Für eine Einführung in das Thema kryptografisches Geld siehe Burton Rosenberg (Ed.), „Handbook of Financial Cryptography and Security“, 2011.

12 Manchen, die „Das Kapital“ von Marx gelesen haben, könnte jetzt einfallen, dass dies implizieren würde, das Bitcoin auf einem Wertkonzept aufbaue, dessen Substanz nicht vergegenständlichte abstrakt menschliche Arbeit sei. Viel eher würde es auf dem Wert von abstrakter Computerarbeit oder etwas ganz anderem beruhen. Dieser Einwand beruht jedoch auf einem Missverständnis. Mit Rechenzeit verdient man, wenn man Glück hat, 50 BTC. Dies ist jedoch nur eine bedeutungslose Nummer. Was man mit 50 BTC anstellen kann, wie viel Verfügungsmacht oder Befehlsgewalt über sozialen Reichtum diese repräsentieren, ist eine ganz andere Sache. 50 BTC haben Wert, weil sie auf gesellschaftlichen Reichtum zugreifen und nicht, weil ein Computer zufällig die richtige Nummer ausgewählt hat. Für die Wertbestimmung ist es nicht zuerst wichtig, wie das Geld in die Gesellschaft kommt, sondern als was es in dieser gilt.

13 Die Idee ist, dass man dann Rechenzeit zur Verfügung stellt, um an den Transaktionsgebühren zu verdienen. Diese sollen graduell wachsen, da das Transaktionsvolumen zunimmt.

14 Wem Kreditgeld nichts sagt, der mag sich darunter Geld vorstellen, welches nicht zum Beispiel einen bestimmten Batzen Gold repräsentiert, sondern das von einer Zentralbank einfach „gedruckt“ wird. Alle modernen Gelder sind so.

15 Manche Unternehmen, wie zum Beispiel Kaufhausketten, kaufen und verkaufen nur, das macht hier aber keinen Unterschied.

16 Übrigens: Wenn Firmen, die Kredite aufnehmen, letztlich durchschnittlich erfolgreich sind, produzieren sie mehr Waren und Dienstleistungen. Mehr Waren, die der Geldmenge gegenüberstehen. Daher bedeutet ein Anstieg des Geldvorrats, also der Verfügungsmacht auf gesellschaftlichen Reichtum, nicht notwendigerweise Inflation, wie von vielen Bitcoin-Anhängern angenommen.